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Gschieß ums Fensterln: Jetzt mischt sich die Politik ein

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Ein Bursch’ auf dem Weg zum Madl: So stellt man sich das Fensterln vor. Ilse Aigner findet’s charmant. © dpa

Passau - Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität in Passau hatte moniert, dass bei einem Gaudi-Sportwettkampf beim Fensterln Frauen zu Objekten degradiert werden würden. Nun haben sich die Hüter der Tradition - bis hin zum Ministerpräsidenten - zu Wort gemeldet.

Viel Aufregung ums Fensterln gab es in den vergangenen Tagen an der Universität Passau. Die Gleichstellungsbeauftragte der Uni hatte moniert, dass bei einem Gaudi-Sportwettkampf beim Fensterln Frauen zu Objekten degradiert werden würden. Ein Aufschrei ging durch den Freistaat: Bayerische Tradition ist in Gefahr! Bis hin zum Ministerpräsidenten persönlich meldeten sich die Hüter der Tradition.

Horst Seehofer hält es mit dem urbayerischen Motto „Leben und leben lassen“. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner findet es „charmant, wenn die Männer um die Frauen werben. Bei uns in Altbayern macht man das so“.

Einer hat bei der Diskussion bis jetzt geschwiegen: Michael Ritter. Dabei hätte er zu diesem Thema besonders viel zu sagen, denn er ist beim bayerischen Landesverein für Heimatpflege für die Themen Brauch, Tracht und Sprache zuständig. Wenn es einen Experten fürs Fensterln gibt, dann muss es der 50-Jährige sein. In der tz erklärt er nun, was es damit auf sich hat.

Zu dem Theater an der Passauer Uni will Michael Ritter jedoch gar nichts sagen, da kenne er die Hintergründe zu wenig. Als frauenfeindlich bewerte er das Fensterln aber überhaupt nicht, schließlich „findet das in gemeinsamem Einvernehmen statt: Die Frau gewährt dem Burschen Einlass“. Und wenn sie lieber doch nicht wolle, lasse sie das Fenster halt einfach zu.

Überhaupt sieht Ritter das Fensterln eher als Klischee denn als Brauch. „Transportiert vom derb-zotigen Bauerntheater und Bayern-Sexfilmchen der Siebzigerjahre.“ Das habe mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Es habe aber durchaus einen vergleichbaren Brauch gegeben, nämlich „das ans Kammerfenster gehen“. Dabei unterhielten sich junge Leute durch besagtes Fenster. „Das konnte jeder sehen und das war auch nicht verboten, sondern wurde von den Eltern gebilligt.“ Die jungen Leute hatten sonst kaum Möglichkeiten, sich kennenzulernen. „Bei meinen Eltern war das noch so“, weiß Michael Ritter. Heute seien die Zeiten anders, auch die Freundin seines Sohnes übernachte bei ihnen zu Hause. Das sei inzwischen ganz normal.

Überhaupt solle man die Diskussion nicht so aufbauschen. „Diese Diskussion sollte man drei Nummern niedriger hängen, das ist keine Frage des Untergangs der bayerischen Kultur“, sagt der Heimatpfleger. Bräuche veränderten sich und hätten sich stets den verschiedenen Rahmenbedingungen angepasst. Gleichzeitig bedauert er die zunehmende Profanierung und Kommerzialisierung. „Da werden die Menschen von Interessensgruppen auf ein falsches Gleis geführt.“

Der umstrittene Wettkampf in Passau wurde übrigens abgesagt – wegen schlechten Wetters …

Volker Pfau

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