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"Er quatschte islamische Sachen": So veränderte sich Paul H.

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Grafing - Wie kam es zur Bluttat von Grafing? Ein Experte spricht im tz-Interview über den gefährlichen Mix aus psychischer Vorerkrankung und Drogenkonsum.

Der 27-jährige

Drogen könnten die Psyche von Paul H. verändert haben.
Drogen könnten die Psyche von Paul H. verändert haben. © dpa/fkn

Paul H. aus Hessen hat am Montag wahllos auf vier Männer am S-Bahnhof in Grafing eingestochen. Peter Siegfried W. (56) aus Wasserburg hat den Angriff nicht überlebt. Der Familienvater, der bei der Regierung von Oberbayern als IT-Spezialist arbeitete, erlag seinen Verletzungen. Peter W. pendelte seit Jahren nach München und meistens sehr früh. Wie kann es zu so einer schrecklichen Tat kommen? Dr. Andreas Rose, Beauftragter der Bayerischen Psychotherapeutenkammer für Forensik, spricht im tz-Interview über den gefährlichen Mix aus psychischer Vorerkrankung und Drogenkonsum:

Herr Dr. Rose, der Täter von Grafing stand wohl unter Drogeneinfluss. Welche Auswirkungen haben illegale Substanzen?

Dr. Andreas Rose: Drogen wie Crystal Meth, Kokain aber auch Marihuana können beim Konsumenten Verfolgungswahn auslösen. Gut möglich, dass sich der Täter von Gott und der Welt bedroht gefühlt hat.

Aus dem familiären Umfeld weiß man: Paul H. hat große psychische Probleme.

Rose: In Verbindung mit Drogen ist das eine ganz gefährliche Kombination. Psychische Störungen kommen dann stärker zur Geltung. Kommen dann auch noch Schlafmangel und Einsamkeit hinzu, kann dieser Effekt sogar noch verstärkt werden.

Bei seiner Vernehmung sagte Paul H., er habe Wanzen gespürt, die Blasen an seinen Füßen verursachen. Er sei deshalb barfuß unterwegs gewesen …

Rose: Bei einer Überdosis ist das nichts Untypisches. Die Betroffenen sind zwar bei Bewusstsein, leben aber in einer anderen Realität. So kann es auch sein, dass er seine Mitmenschen nicht als das wahrgenommen hat, was sie eigentlich sind. Vielleicht hat er etwas Teuflisches in ihnen gesehen. Ein anderes Beispiel von vor einigen Jahren: Jugendliche springen lachend von einem Hochhausbalkon. Die Drogen verzerren die Realität.

Kann man solche Taten überhaupt verhindern?

Rose: Nicht zu 100 Prozent. Es befinden sich Hunderttausende in psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung. Die Zahl solcher Taten liegt im Promillebereich.

Zwei Tage zuvor ist Paul H. in psychiatrischer Behandlung gewesen, er wollte aber nicht bleiben. Wäre eine Zwangseinweisung die Alternative gewesen?

Rose: Im Nachhinein auf jeden Fall. Nur muss man als Behandler vorsichtig sein, die Gefährdung anderer Menschen erst erkennen. Man will niemanden zu Unrecht einsperren.

joh

Wann wird man eingewiesen?

Der Täter aus Grafing war psychisch auffällig, seine Angehörigen wollten ihn einweisen lassen, scheiterten aber. Wann kann man eine Person gegen ihren Willen einweisen lassen? „Sobald eine Eigen- beziehungsweise Fremdgefährdung vorliegt“, sagt ein Sprecher des Isar-Amper-Klinikums in Haar bei München. Ein Arzt prüfe die Situation, stelle dann eine Diagnose. Liege eine Eigen- oder Fremdgefährdung – beispielsweise durch auffälliges, aggressives Verhalten – vor, könne der Arzt eine Unterbringung auch gegen den Willen der zu behandelnden Person veranlassen. Ein Gericht muss diese Diagnose dann innerhalb von 24 Stunden prüfen und bestätigen. Andernfalls darf die Person die Klinik wieder verlassen beziehungsweise nicht gegen ihren Willen eingewiesen werden.

Kein Beweis für ein religiöses Motiv

Bekannte, die ihn zuletzt erlebten, fiel eine Veränderung auf. Paul H. (27), der Messerkiller von Grafing, ließ sich einen Bart stehen, „quatschte mal auch so islamische Sachen“. Doch driftete er wirklich in den radikalen Islamismus ab, weil er vor seiner Tat, die Opfer als „Ungläubigen“ bezeichnet hat?

Nichts spricht derzeit dafür. Das Bayerische Landeskriminalamt teilte nach einer Durchsuchung der Wohnung von Paul H. am Mittwoch mit, „Beweismittel, die auf einen religiös motivierten Hintergrund der Tat oder andere Straftaten hindeuten, wurden nicht gefunden.“

Entdeckt wurden ein Mobiltelefon und Speichermedien, diese werden ausgewertet. Im Gleisbereich in Grafing fand sich zudem ein Rucksack, den die Ermittler dem 27-Jährigen zuordnen. Auch zwei Handys wurden sichergestellt. Aufgrund von im Internet kursierenden Gerüchten betont das LKA weiter, dass der Mann „über keinen Migrationshintergrund verfügt“.

Der Ermittlungsrichter hat gegen den Beschuldigten die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach vorläufiger Bewertung leide er an einer psychischen Erkrankung. Es lägen dringende Gründe dafür vor, dass Paul H. während seiner Taten schuldunfähig war.

Der Zustand der drei Männer, die den Angriff teils schwer verletzt überlebten, wird als stabil bezeichnet. Einer von ihnen, Manfred M. aus Grafing (55), ließ der tz ausrichten: „Ich fühle mich im Krankenhaus bestens aufgehoben.“ Ein weiterer wird wohl wieder operiert.

jam/mc

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