Polizei räumt Protestcamp der Flüchtlinge - mehrere Festnahmen
München - Das Protestcamp der Flüchtlinge am Sendlinger Tor ist geräumt. In einer stundenlangen Aktion beendete die Polizei den Hungerstreik der dort Ausharrenden. Es gab Festnahmen.
Livestream vom Sendlinger Tor
Bis tief in die Nacht zu Samstag war die Polizei mit der großangelegten Räumungsaktion am Sendlinger Tor beschäftigt. Da sich die dort seit Tagen ausharrenden und in den Hungerstreik getretenen Flüchtlinge uneinsichtig zeigten, wurden fünf Personen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte festgenommen. Zudem kamen 15 Personen in Gewahrsam, von drei Versammlungsteilnehmern wurden die Identitäten festgestellt. Erst um 4.30 Uhr war die ganze Aktion beendet.
Gegen 17.30 Uhr am Freitag hatte die Polizei begonnen, das Protestcamp am Sendlinger Tor in München zu räumen. 600 Beamte waren im Einsatz, 62 Flüchtlinge befanden sich laut Polizei im Camp. Die Organisation „Refugee Struggle“ sprach auf Twitter von einem „Polizeikessel“.
Wie unsere Reporterin vor Ort berichtete, wurden die Flüchtlinge von der Polizei über Lautsprecherdurchsagen auf Englisch und Deutsch zum Gehen aufgefordert. Gezwungen wurden sie nur als „ultima ratio“, so ein Polizeisprecher. Die Räumung war eine gemeinsame Entscheidung von Stadt und Polizeibehörden. Unsere Kollegen vor Ort berichteten allerdings, dass sie keine Politiker vor Ort gesehen hätten.
Die Flüchtlinge, die hier campierten, waren durch einen vorherigen Marsch nach Nürnberg geschwächt, hieß es von der Polizei. Zudem seien sie seit Montag im Hungerstreik und die Nächte sind und bleiben kalt. Mit der Ankündigung des trockenen Hungerstreiks war die Grenze erreicht, so die Polizei.
Die Stadt hatte schon vorab dafür gesorgt, dass die Flüchtlinge die Nacht in den Unterkünften des Kälteschutzes verbringen konnten. Einige wurden vor Ort notärztlich versorgt. KVR-Chef Thomas Böhle (SPD) sagte, es gelte in solchen Fällen zwischen dem Demonstrationsrecht und der Gesundheit der Teilnehmer abzuwägen. Nach der medizinischen Expertise des Referats für Gesundheit und Umwelt sei am Freitag um 12 Uhr entschieden worden, dass die Gefahr für Leib und Leben zu groß sei. Böhle: „Wir haben die Lage von Anfang an beobachtet. Im Laufe der Zeit gab es immer mehr Rettungseinsätze. Das hat uns alarmiert.“
Bis Freitagmittag mussten bereits 18 Flüchtlinge notärztlich versorgt werden.
Narges Nasimi, Sprecherin der Demonstranten, zeigte sich unterdessen geschockt: „Wir wussten bis kurz vor der Räumung nicht, dass wir gehen sollten.“ Sie betonte, die Flüchtlinge seien zur Räumung gezwungen worden. Bereits im November vor zwei Jahren hatte die Polizei ein ähnliches Protestcamp in München aufgelöst.
Einzelne Demonstranten kletterten auch während der Räumung am Freitag auf einen Baum
Damals hatten Flüchtlinge eine ganze Nacht lang auf Bäumen ausgeharrt und waren erst am Morgen entkräftet heruntergeklettert. Nach einem anschließenden Gespräch hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) einen Brief an Landes-, Bundes- und Europapolitiker geschickt und sie zum Gespräch über die Flüchtlingspolitik eingeladen.
Auch während der Räumung am Freitag kletterten einzelne Mitglieder der Gruppe „Refugee Struggle for Freedom“ auf einen Ahornaum, während ihre Mitdemonstranten auf der anderen Seite des Platzes skandierend vom Platz zogen. „We are here, we will fight“, riefen die Flüchtlinge. Zu deutsch: Wir sind hier, wir werden kämpfen. Acht Personen harrten bei Redaktionsschluss noch auf dem Baum aus. Die Polizei ließ sie zunächst gewähren.
„Baumbesetzer“ sorgen für stundenlangen Aufruhr
Unter dem Baum versammelten sich zudem etwa 60 Unterstützer. Die Flüchtlinge äußerten, dass sie „notfalls bis zum Tode alles in Kauf nehmen“ würden. Die Polizei griff ein, als auch ein danebenliegender Baum von mehreren Personen erklommen wurde. Da die Einsatzkräfte die „Baumbesetzer“ nicht vom Herabsteigen überzeugen konnten, verkündeten sie die Auflösung der unzulässigen Folgeversammlung via Lautsprecher. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch 18 Flüchtlinge auf den beiden Bäumen, 13 Unterstützer umstellten den Stamm des ersten Baums.
Zur Sicherheit der emporgekletterten Personen entfernte die ebenfalls angerückte Feuerwehr um 0.45 Uhr die Fahrradständer unter den Bäumen und legte stattdessen Sprungkissen, Weichbodenmatten sowie Strohballen aus. Weil die „Baumumsteller“ bis 1.30 Uhr trotz des ausgesprochenen Platzverweises weiter ausharrten, wurden sie von den Einsatzkräften „mit unmittelbarem Zwang vom Baum weggebracht und in polizeiliches Gewahrsam überführt“.
Mittels erneuter Lautsprecherdurchsage wurden die Flüchtlinge gegen 2.20 Uhr zum letzten Mal zum Verlassen der Bäume aufgefordert. Lediglich zwei Personen folgten der Ansage. Erst als die Polizisten eijne halbe Stunde später damit begannen, die übrigen Flüchtlinge von den Bäumen zu holen, kletterten sieben weitere Personen freiwillig hinab. Die übrigen neun „Baumbesetzer“ mussten „mittels unmittelbarem Zwang durch ein Höheninterventionsteam der Polizei aus dem Baum geholt werden“. Verletzte habe es nicht gegeben.
Flüchtlinge am Sendlinger Tor im Video
Flüchtlinge haben mit zusätzlichem Durststreik gedroht
Rund 80 Flüchtlinge in München wollten nach fünf Tagen im Hungerstreik nun auch aufs Trinken verzichten. Wenn Politiker sie weiter ignorierten, beginne der trockene Hungerstreik am Samstag, hatte ein Sprecher der Organisation „Refugee Struggle for Freedom“ am Freitag gesagt. Die Flüchtlinge waren bei einem Protestmarsch durch Bayern unter anderem vors Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gezogen. Am Montag hatten sie ihr Protestcamp am Sendlinger Tor wieder bezogen und essen seither nichts mehr.
Die Pressekonferenz, die sie am Freitag am Sendlinger Tor gaben, sehen Sie
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Während der Pressekonferenz waren zwei Flüchtlinge zusammengebrochen. Sanitäter hatten die Männer umgehend versorgt. Nach Angaben einer Sprecherin mussten bisher zwölf Campbewohner ins Krankenhaus gebracht werden. Die Flüchtlinge, vorwiegend aus afrikanischen Staaten, fordern ein Bleiberecht und ein Ende von Abschiebungen in vermeintlich sichere Herkunftsländer. Zudem kritisieren sie, dass sie in den Asylunterkünften nichts zu tun hätten.
Das Münchner Kreisverwaltungsreferat hat die Demonstration unter Auflagen bis zum Beginn eines Weihnachtsmarkts am 14. November auf dem selben Platz genehmigt. Bis dahin müssen die Bewohner des Camps zulassen, dass Vertreter des Referats für Gesundheit und Umwelt, Rettungsdienste und Feuerwehr sich um die Menschen kümmern.
kg/ans