Jagd nach dem Isarmörder: Kripochef gibt nicht auf

München - Zwei Jahre ist nun her, dass Domenico L. grundlos am Isarufer erstochen wurde. Vom Mörder fehlt weiterhin jede Spur. Was die Familie bewegt, wie die Polizei noch heute ermittelt, lesen Sie im großen tz-Report:
Jeder Tag ohne ihn ist ein trauriger Tag für all jene, die ihn liebten: Vor zwei Jahren – am Abend des 28. Mai 2013 – wurde der Ingenieur Domenico L. (31) auf dem Gehweg der Erhardtstraße an der Isar erstochen. Der in München lebende Italiener wurde ein Zufallsopfer – ermordet von einem bis heute unbekannten Fremden, der grundlos Domenicos Verlobte auf dem Fahrrad angespuckt hatte.
Die Familie hat keine Hoffnung mehr
Wieder ist ein Jahr vergangen. Noch ein Jahr der Trauer, des Schmerzes, der Wut und der Liebe, die kein Ziel hat. Weil Domenico L. tot ist – erstochen, 31-jährig, heute vor mittlerweile zwei Jahren, an einem dieser lauen Abende an der Isar. Für seine Familie in der süditalienischen Heimatstadt Potenza ist es der furchtbarste Tag des Jahres.
In

der italienischen Sprache bedeutet das Wort „scomparso“ sowohl „verstorben“ als auch „verschwunden“. Das macht es für die Familie so unerträglich: Mimmo, wie ihn seine Freunde nannten, ist weg. Er betreute die Kids im Jugendzentrum, war als Helfer in Madagaskar, schaffte es aus dem Armenhaus am Südzipfel Europas ins Ausland und als Luft- und Raumfahrtingenieur gewissermaßen bis zu den Sternen. „Es ist eine tägliche Qual“, sagt Domenicos zwei Jahre älterer Bruder Paolo L. der tz. „Sie wird für uns ein Leben lang dauern.“ Wer hat ihn ermordet? Warum? Keine Antworten auf so viele Fragen. Diese Ungewissheit foltert die Familie. Ein Unbekannter hatte Domenicos Verlobte Giulia (Name geändert) auf dem Radl angespuckt und dann Domenico, der den Täter zur Rede gestellt hat, erstochen. Der Mörder ist bis heute nicht gefasst. Er hat auch die Zukunft dieser jungen Liebe zerstört.
Domenicos Bruder Paolo hatte noch Monate nach der Tat der Polizei Vorwürfe gemacht: Statt den Täter sofort mit allen Mitteln zu suchen, hätten die Ermittler stundenlang die Verlobte vernommen, weil sie offenbar eine Verbindung des Täters zu dem Pärchen vermuteten. Später sagte Paolo L., sein Bruder sei behandelt worden wie ein „Opfer zweiter Klasse“. Womöglich sei der Täter ein Neonazi.
Für solche Kritik fehlt Paolo L. mittlerweile die Kraft. „Ich glaube nicht mehr, dass der Täter gefasst wird.“ Fast ein Jahr habe er nicht mehr bei der Münchner Polizei zum Stand der Ermittlungen nachgefragt. Es gebe ja nichts Neues. „Das zu hören, würde noch mehr weh tun. Die Polizei wird sich schon melden, wenn sie einen Täter findet.“ Aber dass dieser Irre immer noch frei herumläuft, das werde die Familie niemals akzeptieren können.
Aber der Kripo-Chef gibt nicht auf
In den vergangenen beiden Jahren hat die Münchner Mordkommission 15.000 Personen überprüft, ist 700 Hinweisen nachgegangen und

hat 5500 Speichelproben mit der Täter-DNA vergleichen lassen. Die ehemalige Soko Cornelius (30 Beamte) ist mittlerweile auf eine Ermittlungsgruppe von sechs Beamte geschrumpft. Doch ein Altfall ist dieser Mord noch lange nicht, die Ermittlungen gehen weiter: „Jeder Polizist in München hat diesen ungelösten Fall im Hinterkopf und ist sensibilisiert. Und wenn irgendwo jemand durch Spuckattacken, Messerangriffe oder unmotivierte Angriffe auffällt, wird eine Speichelprobe veranlasst, ebenso bei bestimmten Todesfällen“, bestätigt Markus Kraus, Chef der Münchner Mordkommission.
Von Anfang an waren auch die Beamten der Operativen Fallanalyse – kurz Profiler genannt – in den Fall eingebunden. Für eine tiefergehende psychologische Beurteilung und Einschätzung des Täters jedoch gab es kaum Fakten: „Die Tat an sich auf dem dunklen Gehweg unter den hohen Bäumen wurde nur von der Verlobten aus einiger Entfernung beobachtet. Es gab keine Vorgeschichte und keine Beobachtungen danach. Da wird es dann auch für die Profiler schwierig. Aus diesem Grund gab es auch kein Phantombild.“
Immer wieder gab es Momente, in denen die Mordkommission hoffte, auf eine heiße Spur gestoßen zu sein. Doch jedesmal machte der DNA-Abgleich alle Hoffnungen zunichte. In der DNA jedoch – der Täter hatte sich selbst geschnitten und noch am Tatort Blut verloren – liegt auch die große Hoffnung: „Die Erfahrung zeigt, dass es jederzeit Treffer geben kann. Auch noch Jahre und Jahrzehnte danach. Der Fall ist lösbar und wir werden die Hoffnung niemals aufgeben.“
Noch heute pflegt die Mordkommission Kontakt zur Anwältin der Familie in Süditalien. Auch Domenicos Verlobte Giulia – das junge Paar hatte in einer gemeinsamen Wohnung in Haidhausen gelebt und war am Abend des Mordes auf dem Heimweg gewesen – hat München inzwischen verlassen.
Der Fall
28. Mai 2013: Gegen 22 Uhr spuckt ein Fremder Domenicos Freundin an, als die beiden an dem Fußgänger vorbeiradeln. Domenico kehrt um, stellt den Fremden – und wird erstochen.
2. Juni 2013: In seiner italienischen Heimatstadt Potenza wird das Opfer unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beerdigt.
5. Juni 2013: Die Soko Cornelius lobt 10.000 Euro Belohnung aus.
27. Juni 2013: Die Mordkommission bittet Klinik-Ärzte und psychiatrische Einrichtungen um Hinweise.
5. Oktober 2013: Die ZDF-Fahndungssendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ greift den Isarmord auf. Es gibt danach zehn Hinweise – doch alle versanden, wie so viele andere auch. Bisher.
David Costanzo / Dorita Plange