Trotz Multipler Sklerose: Ihre unendliche Liebe hält sie am Leben

Landsham - Die unheilbare Krankheit Multiple Sklerose bestimmt das Leben der Häupliks. Doch Andrea und Jörg halten zusammen und lassen sich nicht unterkriegen.
Es beginnt ganz harmlos. Immer wieder zuckt Andreas linkes Auge. Ganz leicht. Erst denkt sich die hübsche 24-Jährige nicht viel dabei. "Wird schon wieder weggehen", sagt sie sich. Tut es aber nicht. Als die junge Frau aus Landsham bei Heimstetten eines Morgens ihre Lider gar nicht aufbekommt, geht sie zum Arzt. Zig Untersuchungen folgen - bis Andrea Häuplik in einem kahlen Zimmer auf ihre Diagnose wartet. Ein Mediziner nimmt ihr gegenüber Platz und spricht die Worte, die ihr Leben für immer verändern: "Sie haben Multiple Sklerose." Die Nachricht ist wie ein Schlag. "Ich? MS? Ich bin doch noch so jung."
Gut 21 Jahre ist das nun her. Heute sitzt Andrea in einem

Rollstuhl, ihre Arme zucken unkontrolliert, ihr Kopf ist nach rechts gedreht, als Ehemann Jörg (42) ihr die Kaffeetasse mit Strohhalm an den Mund hält. "Seit damals kämpfen wir jeden Tag gegen diese Krankheit", sagt der Siemens-Angestellte. Dann fügt er leise an: "Den Verfall kann man ja nicht aufhalten, man kann nur versuchen, damit zu leben."
Leben! Das wollte das Paar immer. Aufgeben kam für sie nie infrage, als damals ihre Lebensplanung zerbrach. "Wir wollten immer Kinder, eine große Familie gründen." Ein halbes Jahr vor der Diagnose hatten Andrea und Jörg geheiratet. "Wir waren das glücklichste Paar der Welt", stellt die heute 45-Jährige fest. Nachdem plötzlich feststand, dass sie an MS leidet, macht sie ihrem Mann ein Angebot - aus Liebe: "Wenn du dich jetzt scheiden lassen willst, verstehe ich das", sagt sie 1995 unter Tränen. Aber ihr Jörg schüttelt nur den Kopf. "Nein, wir gehen da zusammen durch", verspricht er. Es ist ein Schwur - aus Liebe. Ein Schwur, den er bis heute gehalten hat.
Gnadenlose Krankheit
Die Krankheit kennt keine Gnade - Andreas Körper zerfällt unaufhaltsam. Bei MS handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems. Bei jedem Schub sterben mehr Nervenzellen. Das Leiden ist unheilbar - auch weil die Forschung noch nicht wirklich weiß, was die Zerstörung auslöst, was im Körper passiert. Gut 200.000 Betroffene gibt es in Deutschland. Und bei fast jedem verläuft das Krankheitsbild irgendwie anders.
Andrea versucht damals, nach der Diagnose, so selbstständig wie möglich weiterzuleben. Sie arbeitet bei einer Computerfirma, kümmert sich um den Haushalt, geht einkaufen. "Doch dann bin ich das erste Mal mitten in einem Laden zusammengebrochen", erzählt sie. Die Schwindelgefühle werden schlimmer. Ihre Beine fühlen sich auch immer öfter taub an. 1996 muss sie ihre Arbeit aufgeben. Sie braucht mittlerweile einen Rollator, um sich langsam bewegen zu können.
Betteln um Medikamente
Ihr Mann tut alles, um das Leben seiner Liebsten irgendwie zu erleichtern. Er baut die Wohnung in Landsham um, er besorgt ein Krankenhausbett, er bereitet jeden Tag die Mahlzeiten vor. Zudem liest er jeden Forschungsbericht über neue Medikamente. "Da kommt man sich oft sehr alleingelassen vor", erzählt er. Niemanden scheint das Schicksal seiner Andrea zu interessieren. Bei den Krankenkassen muss er um so manches Medikament regelrecht betteln. "Das werde ich nie verstehen", sagt er traurig. Auch weil Jörg Häuplik ein besonderer Typ Mensch ist: ein Helfer, ein Kümmerer. Er ist seit vielen Jahren bei der Feuerwehr, war bei der Flut im Einsatz, er engagiert sich in der Gemeinde. Aber zurück bekommt er wenig. "Damit muss ich wohl klarkommen. Ich weiß, dass viele Familien, in denen ein Mitglied schwer krank ist, oft alleingelassen werden."
Seit 2006 braucht Andrea einen Rollstuhl. Ein Entzündungs-Schub

hat ihr kurz zuvor jede Kraft in den Beinen genommen. Später stattet Jörg die Wohnung sogar mit Kameras aus. So kann er von seinem Arbeitsplatz aus sehen, falls seine Andrea mit dem Rolli stürzt oder irgendwie Hilfe braucht. Als sein Schatz nicht mehr alleine essen kann, muss zudem ein Pflegedienst engagiert werden, um sich besonders mittags um die Kranke zu kümmern. "Es gibt immer neue Herausforderungen", sagt Jörg. "Man muss da Optimist bleiben - und nie an die Zukunft denken. Immer nur an den nächsten Tag." Irgendwann wird er zu arbeiten aufhören müssen - er weiß das. Um ganz für seine Andrea da sein zu können. "Wenn es so sein soll …"
"Was bleibt uns denn für eine Wahl?"
Oft hat der gelernte Brandschutz-Experte schon gehört, wie tapfer er und seine Frau doch seien. Mal von Freunden, mal von Fremden. Es ist ein Lob, das Jörg wenig freut: "Was bleibt uns denn für eine Wahl? Schluss machen? Nein, sicher nicht. Jeder lebt doch für die schönen Momente im Leben!"
Denn die gibt es auch für die zwei Bayern. Ihre Auto-Ausflüge beispielsweise: An sonnigen Tagen nimmt Jörg seine Andrea oft und setzt sie vorsichtig auf den Beifahrersitz ihres alten BMW-Cabriolets. Dann braust das Paar über die Landstraßen rund um Markt Schwaben. Wenn Andrea der Wind durchs braune Haar bläst, wenn sie auflacht, verschwindet die dunkle Krankheit kurz in all dem Licht. Für einen Moment ist dann alles wie früher…
Stichwort: Multiple Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine nicht heilbare Autoimmunerkrankung, bei der körpereigene Abwehrzellen das zentrale Nervensystem und das Rückenmark angreifen. Die Folgen sind unter anderem Taubheitsgefühle, Lähmungen, Nervenschmerzen oder Koordinations- und Sehstörungen. Die Symptome werden mit der Zeit stärker, der Verfall kann aber durch Medikamente verlangsamt werden. Was viele nicht wissen: Das Leiden ist eine sogenannte Reiche-Länder-Erkrankung. Es gibt Regionen auf der Erde, wo MS so gut wie gar nicht auftritt - wie beispielsweise in Afrika oder auch in großen Teilen Südamerikas. Viele Forscher gehen daher davon aus, dass MS durch Stress und Alltags-Belastungen ausgelöst werden kann. Heißt vereinfacht gesagt: Der Körper kommt mit dem täglichen psychischen Druck nicht mehr klar und fängt an sich selbst "anzugreifen". Noch weiß die Forschung wenig über die Krankheit.
Armin Geier