Alles Gute, du Engel von Schwabing!

München - Ihr Lokal "Bei Gisela" in Schwabing war das gebündelte Lebensgefühl der Münchner Freiheit. Heute wird das Schwabinger Original 85 Jahre alt. Die tz gratuliert.
"Ob angezogen oder als ein Nackter, der Nowak hat am ganzen Leib Charakter. Ich hätt’ schon längst ein böses End’ genommen“ – und jetzt kommt’s: Sind Sie ein alter Schwabinger? Dann können Sie den letzten Vers mitsing

en: „Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen.“ Der Nowak – der gehörte zur Schwabinger Gisela wie ihr Lokal zur Stadt. Die singende Wirtin von Bei Gisela, dem heutigen Vereinsheim in der Occamstraße – das war das gebündelte Lebensgefühl der Münchner Freiheit, der Herzschlag der Stadt im Kleinen.
Die Schwabinger Gisela, bürgerlich Gisela Dialer, feiert heute ihren 85. Geburtstag. Die tz durfte sie gestern zu Hause besuchen, in ihrer kleinen Wohnung direkt über dem Viktualienmarkt. Zwei Öl-Porträts hängen an den Wänden, eines aus den 50ern, eines zehn Jahre später.
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Uns empfängt eine warmherzige, blitzwache, gelassene Dame voller Güte und Weisheit. Große Worte macht sie nicht. Warum denn in den 50ern und 60ern alle zu ihr gingen? „Eigenlob stinkt“, sagt sie mit lachenden Augen und schweigt. Und schließlich: „Das war einfach ein Muss, wenn man nach dem Essen, nach dem Theater noch wegging.“
Edward Kennedy, Ruth Leuwerik, Orson Welles, Udo Jürgens („Der hat bei mir angefangen“), Erich Kästner, Kirk Douglas („Das war ein toller Mann, sehr zurückhaltend, sehr charmant“) – die Liste ist atemberaubend. Doch Gisela erzählt das, als würde sie die Speisekarte rezitieren. Für sie, das spürt man, zählt der Mensch, nicht der Star. Vielleicht ein Grund, warum Bei Gisela ein Stück Heimat wurde. Aber das würde sie nie selbst sagen.
Nein,

ein unruhiger Geist sei sie nie gewesen. Kaum zu glauben bei dieser Vita (siehe unten): Noch in Moers wollte sie Motorrad-Rennfahrerin werden, weil der Nachbar eine Kfz-Werkstatt hatte und sie auf dem Motorrad mitnahm. Hier begann sie eine Ausbildung. Einen Lappen hatte sie nicht. „Ich war erst 16.“ Dann zog es sie zur Oma nach Bonn, doch sie hielt es nicht lange aus. Weiter nach Frankfurt zum Vater („Meine Eltern waren geschieden“), wo sie im Palmengarten an den Wochenenden in Ami-Shows mit Ausdruckstanz Geld verdiente. Auf Umwege kam sie schließlich über Garmisch nach München, arbeitete im Mutti-Bräu, damals Pfälzer Hof („Kloputzen, Küchenhilfe“) und heute die Lach & Schieß. Donnerstags gab’s Kabarett, wo Sammy Drechsel („ein späterer Flirt“) sie drängte: „Du musst auf die Bühne und deine Zarah-Leander-Nummern singen!“ Giselas herrlich tiefe Alt-Stimme schlug ein.
1952 wurde sie die jüngste Wirtin der Republik. Und sang jeden Abend Chansons, irgendwann zwischen 22 und 2 Uhr. Vor sechs Uhr ging’s nie ins Bett. Urlaub? „Nie gemacht.“ Sieht sich Gisela als Idol der Frauenbewegung – schließlich sind die Nowak-Strophen sehr schlüpfrig? „Nein. Ich war so, sehr frei.“ Ein Sterntalerkind sei sie, und: „Einen Schutzengel habe ich auf jeden Fall, einen ganz guten.“ Wir trinken ein Schnapserl. Gisela sagt: „Im Leben ist nichts selbstverständlich. Man muss lernen, zufrieden zu sein. Das kann man lernen. Ich musste es. Auf unser Wohl!“ Wir stoßen an.
Matthias Bieber
tz-Stichwort Gisela Dialer
Gisela Jonas-Dialer wurde 1929 im niederrheinischen Moers geboren. Nach einem bewegten Leben landete sie Anfang der 50er in München und eröffnete 1952 als jüngste Wirtin der Republik ihre Kultkneipe Bei Gisela, wo sich alle die Klinke in die Hand gaben – vom Normalo bis zum Hollywood-Star. Jeden Abend sang sie auf ihrer kleinen Bühne Chansons, 90 hatte sie im Repertoire. 1974 schloss sie das Lokal. Zum 85. gibt’s heute eine Party in der Schwabinger Galerie Roucka in der Feilitzschstraße.