Die "Schwabinger Gisela" ist tot

München - Die Stimme Schwabings ist verstummt: Gisela Dialer, bekannt geworden als „Schwabinger Gisela“, ist am Freitagnachmittag im Alter von 85 Jahren gestorben.
Im wilden München der 50er- und 60er-Jahre zählte die gelernte Kfz-Mechanikerin aus Nordrhein-Westfalen zu den schillernden Figuren, die Münchner Lokalkolorit mit einem Hauch von weiter Welt zu verbinden wussten – frivol und verrucht, aber doch gerade noch bieder genug, um im „Millionendorf“ bestehen zu können. Mit gerade einmal 23 Jahren eröffnete sie 1952 an der Occamstraße als jüngste Wirtin Deutschlands ihr Lokal „Bei Gisela“ (heute: Vereinsheim). Mit rauchiger Stimme besang sie da die „Schwabinger Laterne“ und den „Nowak“, dessen Verse bürgerliche Enge und verklemmte Sexualmoral aufs Korn nahmen. Sie traf ins Schwarze – so scharf, dass man sie sogar wegen „Unzüchtigkeit“ vor Gericht zerrte. Bis ins hohe Alter erzählte sie vergnügt, wie es ausging: „Der Richter hat mich freigesprochen. Er war einer meiner Stammgäste“.
Der Mann war in bester Gesellschaft: Erich Kästner und Kirk Douglas, Franz Josef Strauß und Edward Kennedy, Prinzessin Soraya, Orson Welles und der russische Weltraum-Pionier Juri Gagarin waren in der berühmten Kleinkunstbühne zu Gast, und der junge Udo Jürgens hatte hier seine ersten Auftritte. „Künstler, Schauspieler, Bosse aus der Wirtschaft, ganz normale Leute – alle kamen zu mir“, erzählte sie gerne. Und viele himmelten die Gisela an, verkörperte sie doch das Gegenteil der biederen Hausfrau.
1986 Neuauflage der "Schwabinger Gisela"
1974 kehrte „die Gisela“ München den Rücken – der Liebe wegen. Doch nach dem Tod ihres Mannes zog es sie nach München zurück. Mit Konstantin Wecker eröffnete sie das „Cafe Giesing“, 1986 wurde sie Wirtin im „Schwabinger Gisela“ an der Herzog-Heinrich-Straße.
Den Lebensabend verbrachte Gisela Dialer in einer kleinen Wohnung an der Westenriederstraße. Ihren 85. Geburtstag am 24. Januar feierte sie noch mit vielen Freunden in der Galerie Roucka. Im Februar, als sie dem Ehepaar Ude die von Roucka initiierte Auszeichnung „Schwabinger Laterne“ überreichte, mobilisierte sie alle Kräfte, um noch einmal von dieser Laterne zu singen.
Irgendwann aber waren die Kräfte aufgezehrt. „Ich kann und will nicht mehr“, vertraute sie ihrem Freund Roucka an. „Die letzte Woche war sie kaum mehr ansprechbar“, berichtet der Galerist. Ihre Schwester war bei ihr, als die Geschichte der „Schwabinger Gisela“ am Freitagnachmittag in der kleinen Wohnung zu Ende ging.
„In ihrer Kneipe waren alle willkommen“, sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter, als er vom Tod der Schwabinger Legende erfuhr. „Die Gisela, sie war Schwabing, sie war München – und sie wird uns fehlen.“
Wolfgang Roucka will am Montag in seiner Galerie an der Feilitzschstraße 14 ein „Gästebuch“ für Gisela Dialer auslegen.
Peter T. Schmidt