Wohn-Wahnsinn: So verzweifelt sucht ein Hartz-IV-Empfänger

München - Seit Jahren haben immer mehr Bedürftige Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber es gibt immer weniger davon. Auf dem freien Markt explodieren die Preise. München hat keinen Platz für Arme.
Das Leben meint es seit 20 Jahren nicht gut mit ihm: Damals wurde Seyfi D. (48) am Großmarkt von einer Palette Zitronen begraben, mehrere Bandscheibenvorfälle lähmen ihn zeitweise. Seitdem sind weitere Leiden wie Diabetes, Herzinfarkt und Panikattacken dazugekommen. Er verliert seinen Job als Wachmann – und seine Familie. Heute lebt Seyfi D. allein mit Tochter Marie (12, Name geändert) in Laim. Nur wie lange noch? Die Miete ist zu teuer für Hartz IV, das Amt zwingt sie zum Umzug – sie suchen verzweifelt eine günstige Wohnung!
Die Krankheit führt zur Kündigung, Hartz IV wird zur Wohnungsfalle, zum Schicksal kommen unsoziale Sozialgesetze: „Es ist ein Teufelskreis“, sagt D., den die Ärzte bis heute krankschreiben. Er ist nicht allein darin gefangen: Seit Jahren haben immer mehr Bedürftige Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber es gibt immer weniger davon. Auf dem freien Markt explodieren die Preise. München hat keinen Platz für Arme.
Dreieinhalb Zimmer, 87 Quadratmeter: 1060 Euro zahlt Seyfi D. in der alten Familienwohnung mit Nebenkosten, ohne Heizung. Für seine Tochter und ihn darf das Amt aber nur noch 732 Euro überweisen. Bei Hartz IV wird nur die „angemessene“ Miete übernommen. Seit Oktober gerät der Vater immer tiefer in die Schulden – jetzt fürchtet er die Räumungsklage! Was dann droht? „Man hat mich beruhigt, wir hätten immer ein Dach über dem Kopf“, erzählt D., der als kleiner Bub aus der Türkei nach München kam. „Ich im Männerwohnheim und meine Tochter im Jugendheim …“
Mehr als 100 Anbietern hat er schon geschrieben, meist ohne Rückmeldung. „Es gibt bezahlbare Wohnungen, aber man bekommt sie nicht“, sagt er. Derzeit stehen im Internet zu dem Preis zehn Zweizimmerwohnungen, während Tausende Münchner suchen.
Einmal hätte D. sogar eine Wohnung in Obersendling bekommen. Von dort aus hätte Marie mit der S-Bahn ins Gymnasium fahren können. Die Miete lag bei 755 Euro, ein Onkel hätte die fehlenden 23 Euro per Dauerauftrag übernommen. Aber das Amt sagte Nein – das geschenkte Geld hätte bei der Stütze abgezogen werden müssen. Wegen 23 Euro!
Natürlich hätten Seyfi D. und seine Tochter Anspruch auf eine Sozialwohnung, sie haben die höchste Dringlichkeit! Trotzdem habe er vom Wohnungsamt seit Monaten nur ein Angebot bekommen: D. war binnen einer halben Stunde in Moosach – der Vermieter entschied sich für einen anderen Bedürftigen. Den Ämtern macht D. keinen Vorwurf: „So sind die Gesetze.“ Schließlich würde er am liebsten wieder gesund werden, um sich und seine Tochter aus der Hartz-IV-Falle herauszuarbeiten.
Können die Behörden wirklich nicht helfen? Seit die tz recherchiert, ist Bewegung in den Fall geraten! Das Jobcenter erklärt: „Aufgrund der gesundheitlichen und familiären Lage prüfen wir mit der Landeshauptstadt, ob eine Härtefallregelung infrage kommt.“ Ein Hoffnungsschimmer: Dann könnten die beiden erst einmal in der Wohnung bleiben und ohne Angst vor dem Heim nach einer neuen Bleibe suchen.
Immer weniger Sozialwohnungen
Die Schere geht auseinander: Zuletzt gab es noch 75.572 Sozialwohnungen in München. Das sind im bundesweiten Vergleich zwar viele, aber vor 20 Jahren waren es rund 20.000 mehr! Grund: Apartments mit Preisbindung werden oft von Investoren mit billigen öffentlichen Krediten gebaut. Haben die Eigentümer die Kredite getilgt, dürfen sie normale Mieten kassieren. Das geschieht jährlich mit Hunderten Wohnungen – ohne, dass die Stadt gegengesteuert hätte. Im Gegenteil: Die Stadt erreicht die selbst gesteckten Neubauziele nicht (tz berichtete).
Gleichzeitig steigt die Zahl der Berechtigten ohne Sozialwohnung stetig an – zuletzt auf 12.661. Darunter finden sich zudem immer mehr besonders dringliche Fälle – zuletzt 8152. Die Berechtigten müssen oft Jahre auf ein Apartment warten, denn 2013 wurden zum Beispiel nur 3433 Sozialwohnungen vergeben.
David Costanzo