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Historiker: Lebensgefahr für Christen in Ägypten

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© Michael Hesemann/dapd

München – Der Historiker und Bestsellerautor Michael Hesemann (48) warnt im Interview: Ägypten wird zu einem Scharia-Staat, der die koptischen Christen immer stärker verfolgt. Nach dem Mohammed-Schmähfilm könnte die Lage noch brenzliger werden.

Nach einigen Aufsehen erregenden Werken zur Kirchengeschichte ("Der erste Papst: Auf der Spur des historischen Petrus", "Jesus von Nazareth, Archäologen auf den Spuren des Erlösers")  schrieb Hesemann zuletzt gemeinsam mit dem Bruder des Papstes, Prälat Georg Ratzinger, den Bestseller „Mein Bruder, der Papst“, der mit einer Gesamtauflage von bislang mehr als 150.000 verkauften Exemplaren in zehn Sprachen übersetzt wurde.

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In seinem neuen Buch „Jesus in Ägypten: Das Geheimnis der Kopten“ (Herbig Verlag, 24,99 Euro) betrachtet der Historiker und Bestseller-Autos Michael Hesemann die Geschichte der koptischen Christen in Ägypten und er beleuchtet deren aktuell dramatische Lebenssituation. © Herbig Verlag

In seinem neuen Buch „Jesus in Ägypten: Das Geheimnis der Kopten“ lässt der beim Vatikan akkreditierte Journalist die geheimnisvolle Welt der uralten christlichen Tradition der ägyptischen Kopten lebendig werden. Hesemann beleuchtet darin auch die aktuelle dramatische Lebenssituation der Kopten, die zunehmend gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt sind.

Nach der Vorstellung seines neuen Buches bei der Domspatz Soirée am Montag im Münchner Kirchenzentrum St. Philipp Neri trafen wir ihn zum Interview:

Herr Hesemann, ist der arabische Frühling mittlerweile zum Winter für die koptischen Christen geworden?

Hesemann: Das muss man leider sagen. Die Kopten sind vom Regen in die Traufe gekommen. Die Hoffnungen, als Muslime und Kopten gemeinsam für ein neues, demokratisches Ägypten demonstriert haben, als Christen Muslime beschützt haben und umgekehrt, als sich Halbmond und Kreuz umarmt haben – diese schönen Tage sind leider vorbei. Die islamistische Moslembruderschaft stellt nun den Präsidenten und zusammen mit den Salafisten eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Die Kopten träumen von einem säkularen Staat. Doch Ägypten wird mehr und mehr ein Scharia-Staat. So eine Staatsform kennt natürlich keine Religionsfreiheit mehr. In einem Scharia-Staat wird der Muslim, der zum Christentum konvertiert, mit dem Tode bedroht. Ägypten bewegt sich hin zu einem Staat, in dem Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt und getötet werden – was im dritten Jahrtausend unmöglich sein sollte.

In der muslimischen Welt sorgt der islamfeindliche Schmähfilm für neue Gewalt. Dahinter soll ein koptischer Christ namens Nakoula Bassely Nakoula stehen...

Hesemann: Genauso wie nicht alle Katholiken und Protestanten Engel sind, so gibt es auch bei Kopten Idioten. Der Mann, der hinter diesem Film steht – oder immerhin als Frontmann dafür einsteht – ist ein verurteilter Bankbetrüger, der über zwei Jahre im Gefängnis gesessen hat. So viel zur moralischen Integrität dieses Mannes!

Wie reagieren die Kopten auf den Mohammed-Film?

Hesemann: Die Kopten haben auf den Film mit Schock reagiert, sie haben sich öffentlich von diesem Film distanziert und sogar mit Muslimen dagegen demonstriert. Denn sie wissen: Auf der Ebene dieses billigen Schmähflims kann kein interreligiöser Dialog und vor allem kein Bemühen um gegenseitige Anerkennung stattfinden. Mohammed, den die Muslime ja als Propheten Gottes verehren wird dargestellt als grenzdebiler Lüstling und halber Höhlenmensch. Das ist natürlich für jeden auch nur halbwegs gebildeten Menschen völlig inakzeptabel. Zum Glück haben die Kopten frühzeitig reagiert. Wir können nur hoffen, dass auch weiterhin keine Ausschreitungen gegen Kopten stattfinden. Es gibt aber leider an Gewaltpotential im Islam, wo selbst der kleinste Anlass schlimme Folgen haben kann. Wie vor kurzem erste geschehen, als ein in einer koptischen Reinigung verbranntes Hemd eines Muslimen schwere Ausschreitungen auslöste.

Christen, die sich dem Gebot der Gewaltlosigkeit verpflichtet fühlen, stehen solchen Ausschreitungen per se ziemlich wehrlos gegenüber.

Hesemann: Sie stehen ihnen absolut hilflos gegenüber! Die einzige Forderung, die man stellen kann, ist die Forderung nach einem säkularen Staat! Der Unterschied zwischen Christentum und Islam besteht darin, dass das Christentum von Anfang an eine Trennung aus Staat und Religion vorsah. Wir Christen projizieren unsere Hoffnung auf das Jenseits, auf ein Leben nach dem Tod. Jesus hat gelehrt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Und: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ Auch der Heilige Paulus hat die jungen Gemeinden aufgefordert: „Akzeptiert die Obrigkeit!“ Da war man an politischer Macht nie interessiert. Die Moslembrüder in Ägypten wollen dagegen die Gottesstaat auf Erden mit der Scharia einführen. Die Hoffnung für die Kopten besteht eigentlich in einer Demokratie mit einem säkularen Staat. Allerdings: Wenn die Mehrheit islamisch wählt, dann kommen die Muslimbrüder an die Macht. Insofern war Mubarak zwar ein Diktator, aber für die Kopten das kleinere Übel, weil er sie wegen ihrer Religion nicht behelligt hat.

Eine wirkliche Demokratie-Bewegung scheint in Ägypten nicht mehr absehbar?

Hesemann: Die Proteste gegen das Mubarak-Regime kamen ja unter den jungen, weltoffenen, städtischen Schichten auf, der sogenannten „Facebook-Generation“. General Ahmed Shafik, der die Wahl gegen den Moslembruder Mohammed Mursi verloren hat, hat in Kairo zwei Drittel der Stimmen bekommen – aber er hat die Wahl nicht gegen die ungebildeten Massen auf dem Land gewinnen können.

Was halten Sie von einem Reiseboykott gegen Ägypten, das vom Tourismus abhängig ist.

Hesemann: Ich befürchte, solch ein Boykott würde die Falschen Treffen. Die großen Hotelketten stellen bevorzugt Kopten ein, weil sie offener gegenüber Touristen sind. Auch wenn die Russen gerne tief in die Wodkaflasche schauen – das sind orthodoxe Christen, mit denen sie keine Probleme haben. Ein Reiseboykott würde in erster Linie Kopten arbeitslos machen. Auf der politsichen Ebene muss dagegen Druck ausgeübt werden – etwa mit der Drohung, keine Entwicklungshilfe mehr zu zahlen, wenn die Religionsfreiheit nicht gewährleistet wird.

Sie beschreiben in ihrem Buch ausführlich den tiefen Wunderglauben der Kopten. Wenn sich die politische Lage in Ägypten weiter in Richtung Scharia-Staat und Christenverfolgung entwickelt: Hilft den Kopten am Ende wirklich nur noch ein Wunder?

Hesemann: Wie es momentan aussieht, hilt nur noch das Gebet. Wir alle haben auf den arabischen Frühling gehofft. Doch statt einer Demokratie kamen die Moslembrüder in Ägypten an die Macht. Nur wenn sich diese Bewegung blamiert und die Menschen merken, dass Religion und Regierung getrennt gehören, dann könnten die Menschen ihre Hoffnung bei anderen politischen Kräften suchen – wie auch immer diese dann aussehen würden. Vielleicht ist irgendwann eine linke Bewegung wie unter Nasser denkbar. Aber solange das nicht eintrifft, müssen die Kopten auf ein Wunder hoffen.

Interview: Franz Rohleder

Zum Buch

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In seinem neuen Buch „Jesus in Ägypten: Das Geheimnis der Kopten“ (Herbig Verlag, 24,99 Euro) betrachtet der Historiker und Bestseller-Autos Michael Hesemann die Geschichte der koptischen Christen in Ägypten und er beleuchtet deren aktuell dramatische Lebenssituation. © Herbig Verlag

Man würde dem neuen Werk von Michael Hesemann Unrecht tun, wenn man es ausschließlich als Anklage gegen Menschenrechtsverstöße in Ägypten darstellen würde. Mit „Jesus in Ägypten: Das Geheimnis der Kopten“ ist Hesemann eine begeisternde und kenntnisreiche historische Analyse des koptischen Christentums gelungen. Fernab vom trocken-versachlichenden Ton eines Überblickswerkes wählt Hesemann die lebendige Darstellung eines Reiseberichts. So wird der Leser auf einer höchst spannenden Tour durch das Land am Nil gleichsam an die Hand genommen.

Den chronologischen Ausgangspunkt der Darstellung bildet die Flucht der Heiligen Familie vor den Häschern des Herodes nach Ägypten. In diesem Zusammenhang untersucht der Autor die historische Zuverlässigkeit der biblischen Berichte. Kann man diesen als zuverlässige Quellen trauen? Die Antwort ist ein uneingeschränktes Ja, das sich auf die Ergebnisse der neuesten archäologischen und neutestamentlichen Forschung stützt.

Ausgehend vom Evangelisten Markus, der nach dem Abfassen eines auf Predigten des Apostels Petrus basierenden Evangeliums, die dortige Tradition begründete, schildert der Historiker etwa, warum sich der Papst der Katholiken und der Papst der Kopten auf Augenhöhe begegnen.

Auf der Suche nach dem christlichen Ägypten, das jenseits der pharaonischen Monumente und dem islamisch dominierten Alltag allzu oft übersehen wird, begegnet dem Autor eine Christenheit, die noch heute kompromisslos genau das lebt, was vor fast zwei Jahrtausenden die Apostel und Kirchenväter lehrten. Er entdeckt eine Religion, die reich ist an großen Denkern, Ketzern und Heiligen, sanftmütigen Mönchen und unnachgiebigen Märtyrern.

Eine von Hesemanns zentralen Thesen lautet: Der koptische Glaube konnte nur durch seine tiefe Verbundenheit mit dem Übernatürlichen die vielen Verfolgungen und Repressalien durch die Geschichte hindurch überstehen. Der starke Wunderglaube der Kopten findet seinen Widerhall unter anderem in zahlreichen, gut dokumentierten Marienerscheiungen. Gestützt auf die Berichte hunderttausender Augenzeugen – viele von ihnen gläubige Muslime und somit einer Marienverehrung unverdächtig – erfährt der Leser vom Erscheinen einer meterhohen Madonna aus gleißendem Licht auf einer Kirche in Kairo. Alles Ausdruck einer Massenpsychose? Verfallen fast eine Million Menschen derselben Wahnvorstellung? Hier stößt der Leser an eine absolute Grenze naturwissenschaftlicher Erklärungen.

Nach der Lektüre bleibt vor allem eines haften: Die Kopten, die ihre Religion unabhängig von staatlichen Strukturen praktizieren müssen, leben eine beeindruckende Frömmigkeit und Glaubensfreude vor, die vielleicht in genau dieser Form auch Papst Benedikt XVI. vorschwebte, als er im September 2011 bei seinem Deutschlandbesuch eine „Entweltlichung“ des deutschen Katholizismus forderte.

Das Buch „Jesus in Ägypten: Das Geheimnis der Kopten“ ist im Herbig Verlag erschienen. Preis: 24,99 Euro

Papst Benedikt XVI. besucht den Libanon

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