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Reiter: "Ich fand das unterirdisch"

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Von: David Costanzo

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Dieter Reiter will am Sonntag OB werden. © Jantz

München - Im tz-Interview spricht Dieter Reiter über die grüne Wahlempfehlung, radelnde Genossen, Fehler der Partei und den Angriff auf seine Familie.

Aktuelle Ergebnisse zur Stichwahl in München finden Sie am Sonntag, 30. März, ab 18 Uhr, hier!

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Weißwurstfrühstück bei der SPD am Oberanger: OB-Kandidat Dieter Reiter stellte sich dabei den Fragen von Vize-Chefredakteur Peter Schiebel (v.r.), Rathaus-Reporter David Costanzo und tz-Lokalchef Stefan Dorner. © Jantz

eht’s wirklich um die Wurst! In vier Tagen entscheiden die Münchner zum ersten Mal seit 30 Jahren in einer Stichwahl über ihr neues Stadtoberhaupt: Dieter Reiter (55/SPD) geht mit 40,4 Prozent im ersten Wahlgang vor Josef Schmid (44/CSU) mit 36,7 Prozent ins Rennen. Beim Weißwurstfrühstück (und leichtem Weißbier) mit der tz spricht Reiter über die grüne Wahlempfehlung, radelnde Genossen, Fehler der Partei und den Angriff auf seine Familie.

Vom Verwalter zum Gestalter

Prost, Herr Reiter! Am Sonntag geht’s politisch um die Wurst. Wie halten Sie es eigentlich kulinarisch mit der bayerischen Leibspeise?

Reiter: Es ist kein Geheimnis, dass es drunten im Schlachthof schöne Metzgereien gibt. Und die Würste essen wir mit Brezen und Senf, vor allem, wenn die Kinder zum Frühstück zu Besuch sind. Das ist mir lieber als ein Croissant. Ich bin da eher der rustikale Typ – auch wenn ich bei der Weißwurst nicht zur Zuzel-Fraktion gehöre.

Stichwahl in München: Das müssen Sie wissen!

Sie wohnen am Harras und pendeln täglich mit der U-Bahn. Eine Seniorin hat sie auf der Fahrt beauftragt, einen Wegweiser wieder anbringen zu lassen!

Reiter: Exakt das haben wir ja dann auch gleich gemacht.

Die Frau hatte beim nächsten Treffen noch einen Wunsch …

Reiter: Das stimmt, aber der ist ein bisschen teurer. Sie fordert nämlich die U5 nach Pasing, weil ihre Schwester dorthin ins Heim gezogen ist.

Und? Bekommen sie die?

Reiter: Nachdem sie offenbar alle wollen, werden wir diese Verlängerung Pasing/Freiham beschließen. Das müssen und werden wir noch 2014 schaffen. Dann folgt ohnehin noch eine exorbitant lange Bauzeit.

Wird es so eine „rollende Bürgersprechstunde“ in der U-Bahn auch unter einem OB Reiter geben?

Reiter: (lacht) In der Tat habe ich immer meinen Block dabei und die Leute können ihre Anliegen vorbringen. Ich bin ein erklärter Freund davon, dass sich ein OB den Leuten stellen muss. Das hat Alt-OB Thomas Wimmer auch gemacht. Mir schwebt vor, dass man sich einmal im Monat ein, zwei Stunden präsentiert.

Jetzt hat ein Ex-JU-Funktionär unter dem Titel „Inside CSU“ in den Raum gestellt, dass Ihre Tochter jobmäßig im Rathaus von Ihrem mächtigen Vater profitiert haben soll!

Reiter: Da ist nichts und da war nichts. Ich wundere mich, dass es so verzweifelt um die CSU steht, dass sie jetzt wieder zu alten Mitteln zurückgreifen muss. Ich habe den Kollegen Schmid gelobt für einen sehr fairen Wahlkampf. Ich hoffe, dass ich das auf der Zielgeraden nicht zurücknehmen muss. Ich fand das unterirdisch.

Sie wirken ziemlich verärgert!

Reiter: Wissen Sie, wenn ich es selber verbockt habe, wie damals die Reise auf Einladung des FC Bayern zum Champions-League-Finale, kann man das kritisieren. Dass ich sensibler hätte sein müssen. Aber was da jetzt mit der Tochter passiert, ist eine Sauerei – aus dem Nichts mit Dreck schmeißen, das ist der Hammer! Das werde ich dem Kollegen Schmid auch nochmal unter vier Augen näherbringen.

Sie wollten selbst kampfeslustiger sein. Was ist Ihre Kritik an der CSU?

Reiter: Der Kollege Schmid verspricht sehr viel, weil er sich nirgends genau positionieren will. Am besten untertunneln wir ganz München, nur: Baustellen darf es keine geben! Er schlägt 20 U-Bahnen und zehn Ringtunnel vor. Wenn wir alles angehen, gibt es in München 50 Jahre Baustellen und 70 Bürgerbegehren. Das ist kein realer und ehrlich gemeinter Plan!

Und Sie nähern sich den Grünen an: Rücken Sie von den Tunnel ab?

Reiter: Ich habe nach wie vor meinen Standpunkt: Tunnel dort, wo sie Menschen schützen! Landshuter Allee und Tegernseer Landstraße kann ich mir vorstellen!

Und im Englischen Garten?

Reiter: Da führen wir dann die Igel zusammen (lacht). Nein, im Ernst: Das ist ein schönes, wichtiges Projekt, aber keines, das in der Verkehrsplanung ganz oben steht. Wir werden das realisieren, wenn es eine vernünftige Beteiligung von privater Seite und des Freistaats gibt.

Was sind Ihre Top 3-Projekte beim öffentlichen Nahverkehr?

Reiter: Wie gesagt, die U5 nach Pasing und Freiham. Wir brauchen die U9 (Implerstraße, Hauptbahnhof, Münchner Freiheit), um für Entlastung im Zentrum zu sorgen. Und die Querverbindung mit Ringschluss im Münchner Norden an der U2/U3. Die bestehenden Linien müssen noch besser vertaktet werden. Und auch die Tramstrecken werden weitergebaut.

Ihr grüner Wunschpartner ist gegen die 2. Stammstrecke – und Sie?

Reiter: Es geht nicht mehr, dass wir als Stadt mit der Stange im Nebel stochern und keiner weiß, was der Bund und die Bahn vorhaben. Ich habe in Berlin in drei Ministerien 13 Gespräche geführt: Und wir wissen gar nichts! Wir müssen den Aufgabenträger dazu zwingen, Farbe zu bekennen!

Was heißt das konkret?

Reiter: Wenn es keine zweite Röhre gibt, muss man schauen, ob ein Südring eher Chancen hätte. Ich bin kein Ideologe und hänge nicht an dieser Röhre. Ich will eine Lösung für die Münchner – und das noch 2014 geklärt haben.

Wie groß ist da die Hoffnung?

Reiter: Wir müssen diesen Bypass für das überlastete Netz hinbekommen. Es geht um eine der wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen Deutschlands. Da darf es nicht mehr ständig heißen im Bund: „Ja schon, aber da ist auch noch das Autobahnkreuz Kelheim auf der Dringlichkeitsliste ...“

Haben Sie bei diesen Geschenken an die Grünen keine Sorge, dass Sie die SPD-Wähler abschrecken? Ihre Fraktion hat auch gegen den Radweg an der Rosenheimer Straße gestimmt.

Reiter: Da prüfen wir derzeit eine Ersatzroute. Wenn sich die Begeisterung der Radler darüber in Grenzen hält, muss man sagen: „Lass uns den Radweg machen!“ Wir erleben einen unglaublichen Boom des Radlfahrens, deswegen muss man den Radlern auch Straßenraum zuerkennen.

Die Frage war, ob Sie Sorge haben, dass SPD-Wähler zu Hause bleiben!

Reiter: Das glaube ich nicht. Auch SPD-Wähler fahren Fahrrad. Ich will ja nicht den Autoverkehr verbieten.

Sie haben als Kandidat 159 000 Wähler im Vergleich zu 2008 verloren. War’s ein umgedrehter Ude-Effekt?

Reiter: Es gibt mehrere denkbare Gründe. Die Leute könnten gedacht haben: „Wenn der Ude sagt, der Reiter soll es werden, dann wird das schon klappen.“ Vielleicht hat auch der riesen Wahlzettel abgeschreckt. Jetzt gibt’s einen kleinen, auf dem man nur ein Kreuz machen muss.

Beim ersten Wahlgang ist die SPD als Partei historisch eingebrochen. Welche Fehler wurden gemacht?

Reiter: Wir haben es nicht geschafft, positive Themen zu setzen, sondern haben uns wegen zwei leerstehender Häuser vor uns hertreiben lassen.

Was ist mit den Kliniken?

Reiter: Auf der Straße interessiert das ein Prozent der Menschen. Aber es hat natürlich ins Bild gepasst.

Und dass über die Jahre einiges liegen geblieben ist – gerade als der OB nicht so oft da war?

Reiter: Das am OB festzumachen, ist aberwitzig. Er ist zwar der Chef der Verwaltung. Aber wir haben 30 000 Beschäftigte und viel Spitzenpersonal. Da sind handwerkliche Fehler passiert. Es ist nicht akzeptabel, dass wir unseren Wohnungsbestand nicht kennen. Oder wenn Knall auf Fall bekannt wird, dass die Kliniken in Schieflage sind. Oder bei den Schultoiletten: Wir haben vor zwei Jahren ein 12-Millionen-Sonderprogramm beschlossen. Dummerweise sind die Mittel nicht abgeflossen. Da muss man nachhelfen.

Sie geben also der CSU recht!

Reiter: Es sind ja auch einige der wenigen Kritikpunkte. Jedes Jahr ziehen 20 000 Menschen nach München, Familien werden gegründet. Ich habe nicht den Eindruck, dass die sagen: schrecklich! Was soll die Opposition auch sagen, wenn 95 Prozent der Münchner zufrieden sind? Es sitzt ja niemand im Rathaus und sagt: „Ich bin für schmutzige Toiletten!“ Mit Visionen hat das nichts zu tun. Das ist Anprangern von operativen Missständen. Ich habe nicht gehört, was Schmid anders machen will, außer, dass es in der Verwaltung krankt. Und das werde ich besser lösen als er, weil ich mich da besser auskenne.

Hätte Ihr Slogan dann nicht zukunftsgerichteter lauten müssen, statt „Damit München München bleibt“?

Reiter: Ich stehe nach wie vor dazu. Es muss ja nicht alles so bleiben, wie es ist. Der Slogan entstand nach vielen Gesprächen auf der Straße: Die Münchner wollen, dass unser München ein München für alle bleibt.

Warum wollen Sie das den Bürgern nicht in einem TV-Duell erklären?

Reiter: Das war nie ausgemacht. Im Anschluss an das 22. Kandidatengespräch hätte ich auch keine Lust gehabt, noch eines zu vereinbaren. Ich hab’ auch keine neue Ideen vom CSU-Kollegen gehört, zu denen es sich rentiert, Stellung zu nehmen.

Wird Sabine Nallinger von den Grünen unter Ihnen 2. Bürgermeisterin?

Reiter: Über Personalien reden wir mit den Inhalten nach der Stichwahl.

Braucht es wirklich eine Koalition im Stadtrat? Die meisten Entscheidungen werden doch einstimmig getroffen.

Reiter: Diese graue Theorie von Herrn Schmid ist ja ganz nett, gleichzeitig hat auch er sich intensiv um die Grünen bemüht! Allein beim Haushalt halte ich es für undurchführbar. Ich war als Vize-Kämmerer lang genug an Verhandlungen beteiligt – schon in einer Koalition sind die nicht einfach. Oder bei der Erhaltungssatzung gegen Mietervertreibung. Die CSU hat nach 20 Jahren zwölf Monate vor der Wahl zugestimmt. Das könnte sich ändern. Das ist wirklich eine politische Frage: Wie schaffen wir, dass München für alle bezahlbar bleibt?

Für so eine Mehrheit braucht Rot-Grün-Rosa eine Mini-Partei. Wer ist Ihnen lieber: Linke oder ÖDP?

Reiter: Beide. Eine stabile Mehrheit ist mir lieber. Wir haben das sondiert, und da hat niemand abgelehnt.

Wenn Sie verlieren: Wird man Sie als Oppositionsführer im Stadtrat sehen?

Reiter: Das wird man nicht. Ich habe einen Wahlauftrag bis 2015 als gewählter Referent für Arbeit und Wirtschaft. Ich habe aber Spaß daran gefunden, vom Verwalter zum Gestalter zu werden. Man kann dann sagen: Das mit dem Radlweg machen wir jetzt!

Was machen Sie nach der Stichwahl – Ihren Griechenland-Urlaub?

Reiter: Es geht am ersten Tag los mit Verhandlungen. Ich habe einen Hoffnungsschimmer, dass ich vielleicht fünf Tage weg kann– nach Kreta. Das hängt davon ab, wie weit wir sind. Und am 2. Mai ist erste Stadtratssitzung.

D. Costanzo, S. Dorner, P. Schiebel

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