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Berichterstattung zum Amoklauf: Wenn Gerüchte zu Fakten werden

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Keine Verbindung: ARD-Nachrichtensprecher Jens Riewa versucht mit einem Reporter in München Kontakt aufzunehmen. Als die Zuschaltung Probleme bereitet, wiederholt er, was er zuvor bereits gesagt hat. Informationen sind in den Minuten nach dem Amoklauf rar. Screenshot: MM
Keine Verbindung: ARD-Nachrichtensprecher Jens Riewa versucht mit einem Reporter in München Kontakt aufzunehmen. Als die Zuschaltung Probleme bereitet, wiederholt er, was er zuvor bereits gesagt hat. Informationen sind in den Minuten nach dem Amoklauf rar. © Screenshot: MM

München - Der Amoklauf von München zeigt, Fernsehreporter geraten durch die sozialen Netzwerke unter Zeitdruck. Was folgt, ist Kritik über spekulative Nachrichten und Panikmache. Ist das berechtigt?

Ein Foto aus einem Einkaufszentrum kursiert am Freitagabend kurz nach dem Amoklauf in München im Netz. Verletzte Menschen sind zu sehen, auch eine Leiche. Und viel Blut. Schnell findet das Bild seinen Weg auch in die Berichterstattung von „Sat.1 Bayern“. In den Minuten nach der Schießerei, in denen Fakten rar sind, greifen die Medien nach jedem Strohhalm. Schnell wird aber klar, dass es sich bei diesem Foto um einen Fake handelt. Die Szene stammte von einem Überfall in einem Shoppingcenter in Südafrika. Mit den Geschehnissen in München hatte das nichts zu tun. Später entschuldigen sich die Verantwortlichen von „Sat.1 Bayern“ für diesen Fehler. Das ist nicht der einzige Fauxpas, den sich die Fernsehsender an diesem Abend leisten.

Die Nachrichten überschlagen sich

Als kurz vor 18 Uhr erste Meldungen von der Schießerei im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) an die Öffentlichkeit dringen, überschlagen sich die Nachrichten. ARD und ZDF blenden in ihre laufenden Sendungen entsprechende Laufbänder ein. Das Erste zieht die „Tagesschau“ dann rund eine halbe Stunde nach vorn und beginnt bereits um 19.23 Uhr mit der Berichterstattung. Schnell reagiert, doch was dann kommt, ist zunächst wenig glanzvoll.

Sprecher Jens Riewa versucht Kontakt mit dem ARD-Reporter Eckhart Querner vor Ort aufzubauen. Zunächst gibt es Schaltprobleme. „Herr Querner, hören Sie mich?“ Nichts. Jens Riewa wiederholt also die Informationen, die er bereits gesagt hat. Dann klappt es doch noch mit der Verbindung zu Querner. Viel mehr kann der aber auch nicht sagen, das Gelände ist schließlich abgesperrt. In den ersten 45 Minuten der Berichterstattung wiederholt „Tagesschau“-Sprecher Riewa wieder und wieder, was bereits gesagt war. Die Nachrichtenlage – unklar. Erst drei Tote, dann neun, dann doch wieder nur sechs. Nach dem ersten Chaos beruhigt sich die Berichterstattung. Hunderte Tweets und Facebook-Posts können nach und nach eingeordnet werden, es gibt erste Informationen von der Polizei. Erst dann können die Journalisten ihre Arbeit sauber aufnehmen – bei den Live-Medien kann wieder durchgeatmet werden.

Nicht alle Sender berichten gleich intensiv

Das Ereignis an sich stellt die anfängliche Überforderung sowieso in den Schatten. Die Einschaltquoten sind hoch. Jeder fünfte Fernsehzuschauer zu dieser Zeit verfolgt die XXL-Ausgabe der „Tagesschau“ und der gleich darauffolgenden „Tagesthemen“. Insgesamt drei Stunden und 15 Minuten über den Amoklauf in München. Nicht alle Sender verfahren so. Das ZDF beispielsweise unterbricht nur hin und wieder die laufenden Sendungen für ein „heute spezial“ oder ein „heute journal spezial.“ RTL hingegen verlängert „RTL aktuell“ von einer Viertelstunde auf drei Stunden. Als nähere Informationen vorliegen, sprechen die Moderatoren der verschiedenen Sendungen mit diversen Experten. Auch die können natürlich anfangs kaum Licht ins Dunkel bringen. Doch die Berichterstattung wird zunehmend klarer – es bleibt Zeit, die hereinkommenden Nachrichten zu filtern.

Zweifelhafte Zeugen schaffen es ins TV

Das hätte auch dem ein oder anderen Nachrichtensender gut zu Gesicht gestanden. Zweifelhafte Zeugen schaffen es an diesem Abend bei CNN und n-tv auf den Bildschirm. Der amerikanische Sender Cable News Network spricht mit einer Frau namens Lauretta. Und die schürt mit ihrer Aussage den Gedanken an islamistischen Terror, den wohl viele hegen, als von der Schießerei berichtet wird. Lauretta sagt dem Sender am Telefon: „Ich hörte ,Allahu Akbar‘, ,Allahu Akbar‘.“ Sie kenne das, denn sie sei selbst Muslimin. Außerdem soll ihr achtjähriger Sohn mit dem Täter gemeinsam auf der Toilette gewesen sein und gesehen haben, wie der dort seine Waffe geladen hat. Nur CNN berichtet von dieser Zeugin. Später sollte sich ihre Aussage als erfunden herausstellen, niemand will etwas Ähnliches gehört haben.

Gerüchte halten sich hartnäckig

Viele Zuschauer in Deutschland beschweren sich gleichwohl darüber, dass die anderen Sender den vermeintlich islamistischen Hintergrund der Tat nicht aufgreifen. So schreibt Jan A. R. auf Facebook unter einen Bericht von N 24: „CNN berichtete schon vor zwei Stunden über ,Allahu Akbar‘-Rufe. Warum werden wir von ausländischen Medien umfassender informiert als von deutschen?“ Ein unbestätigtes Gerücht, weiter nichts. Selbst am Sonntag, zwei Tage nach der Tat, gibt es noch Dementis. Ein Sprecher des Bayerischen Landeskriminalamtes bestätigt: „Eine solche Aussage ist uns nicht bekannt.“ Welche Art von Kommunikation es im Detail gegeben habe, müsse erst noch überprüft werden.

Fast jede Spekulation wird aufgegriffen

Auch n-tv nimmt es mit den Fakten nicht so genau. Wer am Freitagabend sein Wissen nur aus dem Nachrichtensender der RTL-Mediengruppe bezieht, sitzt einer Fehlinformation nach der anderen auf. Aus „drei möglichen Tätern“ machen die Sprecherinnen „drei Täter“, nach denen die Polizei fahndet, Gerüchte werden zu Fakten. Statt ruhig und besonnen zu berichten, betreiben die Moderatoren eher Panikmache. Und die Auswahl der Augenzeugen? Mehr als zweifelhaft. Ein junger Mann sagt, der Täter habe Springerstiefel getragen und „Scheiß Ausländer“ gerufen. Das hat er aber nicht selbst beobachtet, ein Freund will es gehört und gesehen haben.

Es wird noch spekulativer. Als um kurz vor 22 Uhr ein Zeuge den Täter in einem Weihnachtsmannkostüm gesehen haben will, greift n-tv auch diesen Hinweis auf. Erst als am Samstag viele Fakten bekannt sind, kehrt der Nachrichtensender zu einer sachlichen Berichterstattung zurück. Der Abend lehrt eines: Mit dem Zeitdruck, den traditionelle Medien durch Twitter und Co. bekommen, müssen sie lernen, besser umzugehen.

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