Proteste bei grüner Woche: "Gegen Agrarfabriken – für Bauern"

München - Am Freitag beginnt die weltgrößte Agrarmesse. Die tz sprach mit Jochen Fritz, einem der Organisatoren der geplanten Großdemo unter dem Motto "Wir haben Agrarindustrie satt".
Rund 400.000 Besucher zog die Grüne Woche in Berlin 2015 an. Am Freitag beginnt die weltgrößte Agrarmesse 2016, auf der Hunderte Land- und Forstwirte sowie Tierzüchter ihre Angebote und Produkte präsentieren. Nicht nur die Terrorgefahr und verstärkte Sicherheitsmaßnahmen versalzen den reinen Genuss beim Kosten der landwirtschaftlichen Spezialitäten – auch die lautstarke Kritik an Wachstumsdiktat, Dumpingpreisen und Qualitätsmängeln könnte die Stimmung dämpfen. Bundespräsident Joachim Gauck hat am Donnerstag bei einem Vorabbesuch schon einen sachlichen Dialog angemahnt, um eine nachhaltigere Landwirtschaft zu erreichen. Das spricht den Veranstaltern der Großdemo am Samstag aus dem Herzen. „Wir haben Agrarindustrie satt“ (www.wir-haben-es-satt.de) lautet die Parole der zahlreichen Organisationen, die auf die Straße gehen. Die tz sprach mit Jochen Fritz von "Meine Landwirtschaft", einem der Organisatoren.
Herr Fritz, Sie organisieren auch heuer wieder die Demo während der Grünen Woche. Können Sie schon einschätzen, wie groß sie wird?
Jochen Fritz, Sprecher der Kampagne Meine Landwirtschaft/Wir haben es satt: Wir erwarten wieder mehrere Zehntausend Menschen. Ich bin sicher, es wird sich eindrucksvoll zeigen, dass sehr viele Menschen Bauernhöfe statt Agrarindustrie haben wollen.
Ist Ihr Ziel einer ökologischen Landwirtschaft näher gerückt?
Jochen Fritz: Wir

fordern eine ökologischere und bäuerlichere Landwirtschaft – wir haben ja auch konventionelle Bauern dabei. Die Zustandsbeschreibung: In manchen Bereichen ist die Situation katastrophal. Die Milchviehhaltung ist zum Beispiel ein Bereich, wo die Bundesregierung unbedingt handeln muss. Hier wird eine ganze Branche im Stich gelassen; viele müssen ihre Betriebe aufgeben. Andererseits kaufen immer mehr Menschen ökologische Produkte und organisieren sich in Bewegungen für ökologische Landwirtschaft.
CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt sieht „gute Chancen für mehr Tierwohl“?
Jochen Fritz: Da hat er recht. Im Bereich Tierwohl tut sich was. Es ist bestimmt auch ein Erfolg dieser Bewegung, dass das Thema öffentlich geworden ist. Es gibt die Tierwohlinitiative, der auch der Bauernverband angehört.
Was sind Ihre dringendsten Forderungen an die Politik in Deutschland und in der EU?
Jochen Fritz: Auch um die Tierwohlinitiative durchzusetzen, brauchen wir unbedingt eine Kennzeichnung. Es müssen Steuergelder umgeschichtet werden, von der Flächenprämie, die jeder Bauer bekommt, hin zu Prämien, die man bekommt, wenn man zum Beispiel seine Ställe zu einer artgerechten Tierhaltung umrüstet. Man kann den regionalen ökologischen Landbau unterstützen, und da ist Bayern auch schon recht weit.
Wie sieht es mit den Kon-trollen in den Ställen aus?
Jochen Fritz: Wenn wir weiter so große Konzerne unterstützen wie Straathof, die an einer Stelle in Mecklenburg-Vorpommern 10 000 Sauen halten, tun sich Amtsveterinäre schwer, solche Bestände im Blick zu halten. Bei einer Vielzahl von kleineren Betrieben, wie es sie in Süddeutschland noch gibt, ist das einfacher. Da gibt es auch nicht solche Machtverhältnisse.
Steht Bayern bei der Stallgröße gut da?
Jochen Fritz: Ja und nein. Bayern fördert zwar erfreulicherweise den ökologischen Landbau. Andererseits findet leider auch im Freistaat ein Konzentrationsprozess von Schweine- und Hühnerbetrieben auf wenige Höfe statt.
Ist der Bauernverband ein Gegner oder ein Partner Ihres Bündnisses?
Jochen Fritz: In der Analyse, dass wir derzeit eine verheerende Situation auf den Höfen haben, sind wir uns einig. Über den Weg heraus aus dieser Lage gibt es unterschiedliche Meinungen: Der Bauernverband setzt auf die Exportorientierung, während wir raus wollen aus dem Entscheidungszwang zwischen Wachsen oder Weichen. Wir brauchen eine qualitätsorientierte Produktion und den Schulterschluss zwischen Bauern und Verbrauchern.
Wie verhalten sich die Verbraucher bzw. wie sollten sie sich verhalten?
Jochen Fritz: Sie sind bereit, Qualitätsprodukte zu kaufen und auch mehr Geld zu zahlen. Um den Verbrauchern beim Einkauf zu helfen, muss aber eine viel klarere staatliche Kennzeichnung geschaffen werden. Herkunft, Gentechnikfreiheit, Art der Haltung müssen sofort erkennbar sein. Bisher gibt es nur die Bezeichnung ökologischer Landbau, aber kein Siegel für artgerechte Tierhaltung.
Kann man Lebensmittelkonzerne von Ihrer Linie überzeugen?
Jochen Fritz: Wenn die Nachfrage nach ökologischen Produkten da ist, wird auch der Lebensmitteleinzelhandel bereit sein zu reagieren. Er tut es zum Teil ja schon.
Wie groß ist die Gefahr durch das Freihandelsabkommen TTIP?
Jochen Fritz: Das wäre natürlich kontraproduktiv. Wenn wir die Verbraucherstandards auf die der USA senken, könnte hier auch wieder Fleisch von hormonbehandelten Tieren angeboten und die Tore für Gentechnik geöffnet werden. Die Bauern wären einem Markt ausgesetzt und müssten noch billiger produzieren. Gerade eine Qualitätsproduktion wird durch Freihandelsabkommen immer unterlaufen. Das wird als Handelshemmnis gesehen.
Interview: Barbara Wimmer