Wie gut ist der neue Basis-Polestar 2? Fahrtest mit dem neuen Elektroauto

Großer Elektroflitzer zum kleinen Preis. Den Polestar 2 gibt es jetzt als Basismodell, schon für 35.930 Euro und mit einer Reichweite von 440 Kilometern.
- Polestar hat sein Modell 2 geschrumpft und günstiger gemacht.
- Nur ein Motor, Frontantrieb statt Allrad – und 184 PS weniger.
- Wie viel Fahrspaß steckt noch im schwedischen China-Auto?
Der Name ist Anspruch. Polestar. Polarstern. Das ist der hellste Himmelskörper am Nordhimmel. Im Sternbild des kleinen Wagens. Kleine Wagen hat die Firma Polestar, Tochter des schwedischen Autobauers Volvo und des chinesischen Konzerns Geely, nicht im Angebot. Der Polestar 2 ist eine viersitzige Limousine und mit einer Länge von 4,61 Metern eher im Segment von 3er/4er BMW oder Mercedes C-Klasse unterwegs. Allerdings von Anfang an rein elektrisch. Wie mittlerweile so üblich, starten Autohersteller ihre neuen Modellreihen immer mit dem stärksten Auto. Bei Polestar war es das Topmodell mit zwei Elektromotoren, Allrad-Antrieb und 408 PS. Jetzt gibt es die Basisvariante mit nur einem Motor, 224 PS aber trotzdem mit üppiger Ausstattung für einen Preis von 35.930 Euro (Umweltprämie* abgezogen). Zum Vergleich: Der kleinste Dreier kostet „nackt“ schon über 2.000 Euro, der C180 von Mercedes gar 5.000 Euro mehr. Benziner, wohl gemerkt.
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Auch Thors Hammer ist wieder mit von der Partie
Wir sind gespannt. Das Topmodell des Polestar 2 haben wir noch in bester Erinnerung. Die Fahrdynamik der Elektro-Limousine ist ein echter Leckerbissen. Wie die beiden E-Aggregate auf Vorder- und Hinterachse ansetzen und losstarten und in 4,7 Sekunden Tempo 100 erreichen, das ist fast schon vergnügungssteuerpflichtig. Dabei vernascht man locker den ein oder anderen Turbo-Benziner aus der alten Welt. Aber wie wird sich der „kastrierte“ Polestar fahren, der ja dem Schwestermodell ja wie ein Ei dem anderen gleicht? Im Design zurückhaltend, nordisch mit klaren und kühlen Linien und mit dem ein oder anderen versteckten optischen Gag. Thors Hammer zum Beispiel, das Werkzeug des mythischen Nordgottes, findet sich wie auch bei Volvo als Licht-Animation in den Front-Scheinwerfern. Innen ist das Auto genauso klar. Bei den Farben lautet das Motto „All shades of grey“, dazu schwarze Hochglanz-Farbe und gewebte Stoffbezüge auch auf dem Armaturenbrett. Soweit wie möglich nachhaltig und vegan.

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Der große Bildschirm zählt zur Grundausstattung
Auch digital lieben es die schwedischen Chinesen einfach. Warum ein eigenes Betriebssystem aufsetzen, wenn es Android von Google auch für das Auto gibt? Und so fällt die Bedienung des elf Zoll großen Touchscreens mit seiner Kachelstruktur von Anfang an leicht. Über das Google-Navi und seine Zuverlässigkeit muss man an dieser Stelle nichts mehr sagen. Hier ist Echtzeit wirklich Echtzeit. Der 12 Zoll große Tacho zählt ebenso wie der große Infotainment Bildschirm und der digitale Schlüssel (via Polestar-App) bei allen Modellen zur Standard-Ausstattung. Andere Hersteller jonglieren da noch mit unterschiedlichen Displaygrößen im Aufpreis-Shop.
Ab geht’s auf die Autobahn
Leiste schleichen wir uns auf die Autobahn, ganz in der Nähe des Kölner Polestar-Stützpunkts. Im Gegensatz zum Topmodell haben wir jetzt 184 PS weniger und nur noch einen Motor mit Frontantrieb. Macht 7,4 statt 4,7. Und das ist jetzt kein Zahlendreher. Statt 4,7 Sekunden braucht der kleine Polestar 7,4 Sekunden von 0 auf Tempo 100. Das sind immerhin drei Sekunden – aber es fühlt sich ganz und gar nicht so an. Der Frontantrieb zieht das Auto richtig gut weg. Und wahrscheinlich spielt auch das geringere Gewicht (173 Kilo weniger) eine Rolle, dass der Leistungsunterschied nicht so auffällt. 1,940 Kilo wiegt der Basis-Polestar, allerdings mit der kleinen 64 kWh-Batterie (61 nutzbar). Wer nicht auf das Gewicht schaut, der sollte sich die größere 78 kWh (75 nutzbar) zulegen. Bringt bis zu 540 Kilometer Reichweite und damit rund 100 mehr als bei der kleineren Batterie.

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Praxistest Schnelladen und Reichweite
Apropos Reichweite. Sie ist ja bekanntermaßen die Achillessehne der Elektromobilität. Zusammen mit der Ladegeschwindigkeit. Beides ist beim Polestar 2, zumindest auf dem Papier, alltagstauglich. Allerdings sollte man trotzdem prüfen, wie man sein Elektroauto einsetzen will. Denn mit 155 kW (116 kW bei der kleinen Batterie) ist die Langstrecke schwer zu bezwingen. Die Probe aufs Exempel erfolgt an einem Hypercharger an der Autobahn. Mit 55 Prozent Ladung und 250 Kilometer Reichweite stecken wir an. Und ab zur Pausen-Standard-Prozedur. Rein in die Raststätte, Toilette, Kaffee – und noch 148 Mails checken. Wer weiß, was dann passiert an der Ladesäule. Nach 35 Minuten wieder zurück am Auto. Das Ergebnis: Jetzt sind wieder 87 Prozent Ladung drin, das reicht für weitere 390 Kilometer. Hört sich gut an, bedeutet aber: Wenn man häufig längere Strecke auf der Autobahn zurücklegen will, dann braucht man viel Geduld. Eine schnelle Currywurst essen und dabei 400 Kilometer auftanken, das geht nicht. Da muss man dann schon ein mehrgängiges Menü vertilgen, damit der Polestar wieder voll im Saft steht. Oder häufige Pausen einlegen. Beides ist nicht unbedingt tauglich für Menschen, die – wie gesagt – häufig längere Entfernungen zurücklegen wollen. Voll tauglich ist der Polestar allerdings auf der Kurz- und Mittelstrecke. Hier sind Reichweiten und Ladeleistung völlig ausreichend.

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Das sind die nächsten Modelle von Polestar
Nicht ausreichend ist in Zukunft natürlich die Modellpalette der Sino-Schweden. Mit gerade mal zwei Autos auf der Straße haben sie zwar die Aktienmärkte so angeregt, dass Polestar mit 20 Milliarden an der Nasdaq genauso hoch bewertet wird wie der einstige Mutterkonzern Volvo. Aber da muss nachgelegt werden – einerseits um die Fantasie der Anleger auch weiterhin zu bedienen und zweitens, um die Märkte zu befeuern. 2021 wurden 29.000 Autos hauptsächlich in Europa abgesetzt, in vier Jahren sollen es bereits 290.000 sein. Schon 2023 soll der Polestar 3 kommen. Auch die Schweden können sich dem SUV-Boom nicht entziehen – der so genannte „Luxury Aero SUV“ soll preislich auf dem Niveau eines Porsche Cayenne liegen, sagen die Hersteller selbst und deuten damit auch dezent an, dass sie ins absolute Luxus-Segment vorstoßen wollen. Der Polestar 4 (2023) und Nummer 5 (2024) nehmen als „Premium Sport SUV“ und als „Luxury Sport GT 4-Türer“ Macan und Panamera ins Visier.
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Ohne einen Wermutstropfen geht es nicht
Hehre Ziele, aber zurück zur Mittelklasse. Unser Fazit zum Standard-Modell: Dieser Polestar ist vom Design her einfach zum Dahinschmelzen und was das Preis-Leistungsverhältnis angeht ein echter Star. Einen Tropfen Wermut haben wir dennoch im schwedischen Sekt gefunden. Die Ladeleistung ist für die Langstrecke einfach (noch) zu dürftig.
Technische Daten Polestar 2 Standard Range Single Motor
- - 1 permanenterregter Synchronmotor
- - Leistung: 165 kW (224 PS)
- - Drehmoment: 330 (Nm
- - Antrieb: 1-Gang-Getriebe, Front
- - 0-100 km/h: 7,4 Sekunden
- - Spitze: 160 km/h
- - Akku (nutzbar): 61 kWh
- - Ladezeit: 7 std. 20 min. (AC bis 11 kW; 0 – 100 Prozent)
- 40 min (DC bis 116 kW; 0 – 80 Prozent)
- - Normverbrauch (WLTP): 16,3 – 18,9 kWh/100 km
- - Reichweite: 440 km
- - Länge / Breite / Höhe: 4,61 / 1,86 / 1,48 m
- - Leergewicht/Zul. 1940 kg
- - Anhängelast gebr. 1500 kg
- - Kofferraum 405 (vorne 35 l) – 1095 l
- - Preis: ab 35.930 (Prämien abgezogen)
Rudolf Bögel *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.