AOK-Bilanz: Wenn der Doktor pfuscht

München - Auch Ärzte machen Fehler – schreiben Tabletten falsch auf, erkennen schwerste Krankheiten nicht, amputieren das falsche Bein. Die AOK hat nun eine Bilanz der Behandlungsfehler vorgestellt.
Seit dem Jahr 2000 haben sich 21 380 Patienten bei der AOK Bayern mit einem Verdacht auf einen Behandlungsfehler gemeldet, berichtet die Krankenkasse. „Das sind zunächst einmal über 21 000 besorgte Patienten, über 21 000 Schicksale“, sagt Verwaltungsratsvorsitzender Fritz Schösser und forderte mehr Rechte für die Patienten. Denn nur in 3129 Fällen konnten Gutachten im Auftrag der AOK den Ärzten tatsächlich Fehler nachweisen. Und das sind nur die Fälle von Mitgliedern in Bayern, die auch zur Patientenberatung gegangen sind …
Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen: So hat Prof. Matthias Schrappe vom Institut für Patientensicherheit an der Uni Bonn hunderte Studien analysiert und kommt, analog zu US-amerikanischen Studien, allein in den Krankenhäusern zu deutlich mehr Geschädigten. Von allen 17 Millionen Klinik-Patienten in Deutschland dürfte ein Prozent einen echten Behandlungsfehler erleiden – 170 000 pro Jahr.
Von diesen wiederum überlebt jeder Zehnte den Ärzte-Pfusch nicht – 17 000 Tote im Jahr, viermal mehr als im Straßenverkehr! Das Problem betrifft auch die Praxis-Ärzte: Jeder dritte Mediziner gab in einer anonymen Umfrage zu, dass ihm regelmäßig Fehler unterlaufen, unter denen Patienten leiden müssten.
„Sollte ein Behandlungsfehler vorliegen, ist der Patient meist in einer schwierigen Position, da er es ist, der den Fehler beweisen muss“, sagt AOK-Chef Helmut Platzer. „Deshalb hat der Gesetzgeber die Krankenkassen bevollmächtigt, ihre Versicherten zu unterstützen, wenn sie Schadenersatzansprüche durchsetzen wollen.“
Dabei will die Krankenkasse die Halbgötter in Weiß nicht zu Buhmännern machen. Sie fordert einen besseren Umgang mit Fehlern: Nur wer sie zugebe, könne dafür sorgen, dass sie in Zukunft nicht geschehen.
DAC
Infektion nicht erkannt: Mädchen behindert
Das Kind war doch nur ein Jahr alt, das Mädchen entwickelte sich prächtig. Plötzlich bekommt sie eines Abends Fieber und Erbrechen. Am nächsten Tag gehen die Eltern mit ihr zur Kinderärztin: ein normaler Infekt. Doch zu Hause hat die Kleine einen Krampfanfall, mit dem Notarzt kommt das Mädchen ins nächste Krankenhaus in Oberbayern. Dort wird sie untersucht, bekommt aber nur Antibiotikum. Am folgenden Tag erleidet sie zwei weitere Anfälle.
Erst am nächsten Tag messen die Ärzte die Hirnströme, erst am Nachmittag steht der Befund fest: dringender Verdacht auf eine Gehirnentzündung! Ein Kernspin bestätigt das Drama: Herpes-Infektion und Enzephalitis.
Endlich bekommt die Einjährige ein spezielles Medikament und wird in eine Uni-Kinderklinik verlegt. Sie bleibt 21 Tage, dann wochenlang Reha. Die Ärzte können das Leben retten. Das Mädchen bleibt geistig und körperlich schwerst behindert und schwere Epileptikerin.
Die Münchner Ärztin und Anwältin Dr. Monika Günther-Aschenbrenner vertritt die Familie. Wegen eines Behandlungsfehlers erklärt sich die erste Klinik bereit, außergerichtlich einen sehr hohen Betrag zu zahlen.
Ein zweiter Fall ging glimpflicher aus: Eine 58-Jährige muss per Endoskopie an der Galle untersucht werden, dabei beschädigt der Arzt den Dünndarm. Die Frau kommt sofort in eine Klinik und bleibt in Behandlung des Mediziners. Der aber lässt sich nicht mehr blicken. Der Frau geht es immer schlechter, sie bekommt Schmerzmittel, aber keine Visite. Nach zwölf Tagen kümmert sich ein Chirurg um die Frau, sie kommt sofort unters Messer und auf die Intensivstation. Nach drei Wochen Krankenhaus ist der Spuk vorbei, die Frau wird wieder gesund. Die Anwältin holte für die AOK einen Großteil der Behandlungskosten wieder rein.
Hier sind die Patienten gut beraten
Der Arzt sagt: Das ist bei Ihrer Krankheit ganz normal, machen Sie sich keine Sorgen! Was aber, wenn das alles gelogen ist und ein Kunstfehler dahintersteckt? Was, wenn Schäden bleiben?
Es gibt in Deutschland nicht nur eine Anlaufstelle: Die meisten Krankenkassen unterhalten Patienberatungen, die den Medizinischen Dienst der Krankenkassen mit einem Gutachten beauftragen können. Außerdem erteilt die Unabhängige Patientenberatung allgemeine und persönliche Auskünfte. In München liegt die Beratungsstelle in der Waltherstraße 16a in der Nähe des Goetheplatzes, Tel. 089/18 91 37 22. Die Beratung im Auftrag der Krankenkassen tragen der Sozialverband VdK und die Verbraucherzentralen.
Die AOK rät in einem Gedächtnisprotokoll und anhand der vorhandenen Unterlagen, alle Behandlungsschritte festzuhalten. Jeder Patient habe Anrecht auf die komplette Krankenakte – nur gegen Erstattung der Kopierkosten. In der Beratung würde dann geklärt, welche Beschwerden durch welche Ursachen entstanden sein könnten – oder durch welche Fehler. Zu beachten sei, dass Ansprüche auf Schmerzensgeld gegen einen Arzt nach drei Jahren verjähren.