„Massenkinderhaltung“: Bayerische Kita-Fachkräfte mit Wut-Brief an Ministerin
Von einer Kita-Krise würde Sozialministerin Scharf nicht sprechen. Das äußerte sie in einem Interview. Die Kita-Fachkräfte sind stocksauer und reagieren mit einem offenen Brief.
Bayern - In Bayerns Kindertagesstätten (Kitas) brennt die Luft und das nicht erst seit gestern: Personalmangel steht seit Monaten im Zentrum der angespannten Lage, die sich weiter zuspitzt. Sozialministerin Scharf äußerte sich kürzlich in einem Interview mit der Mainpost dazu, von einer Krise wollte sie allerdings nicht sprechen. Der Kita-Fachkräfteverband reagierte darauf mit einem offenen Brief und zweifelt die Kompetenzen der Ministerin an.
Keine Kita-Krise in Bayern? Kita-Fachkräfte reagieren mit offenen Brief an Ministerin Scharf
Auf die Frage, ob es eine Kita-Krise im Freistaat Bayern gebe, antwortete die Sozialministerin Ulrike Scharf im Mainpost-Interview mit den Worten: „So würde ich es nicht formulieren.“ Es gebe laut ihrer Einschätzung in vielen Bereichen einen Fachkräftemangel, auch Kitas seien davon betroffen. Werde ein Blick auf die Anzahl der Beschäftigten in Kitas geworfen, sei zu erkennen, dass sich die Anzahl der Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren um 78 Prozent gesteigert habe. „Wir haben heute 114.000 Beschäftigte in den Kitas. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir hier stehenbleiben dürfen.“ Ihre Antwort lässt aber einen wichtigen Fakt außer Acht.
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Es gibt seit Jahren mehr Geburten in Deutschland, Tendenz steigend. Das Statistische Bundesamt berichtet wie folgt: „Nach vorläufigen Ergebnissen erreichte die Geburtenzahl für 2021 mit 795.500 Neugeborenen den höchsten Stand seit 1997.“ Davon erblickten 134.321 Kinder 2021 alleine Bayern das Licht der Welt. Ein Aufwärtstrend in den Geburtenzahlen ist auch im Freistaat zu verzeichnen. Folglich dessen gibt es auch zunehmend mehr Kinder, die einen Kita-Platz brauchen. Das bekommen auch hiesige Kindertagesstätten zu spüren.

„Bei uns auf dem Land im Landkreis Rosenheim stehen Einrichtungen leer, da kein Personal vorhanden ist“, heißt es in einem offenen Brief des Verbands Kita-Fachkräfte Bayern an Ministerin Scharf. Verfasst wurde er von Annerose Ettenhuber, Andrea Steiner und Marianne Strauß. Die drei Frauen haben entscheidende Gemeinsamkeiten: Sie sind Mütter, Erzieherinnen und Kita-Leiterinnen. Sie möchten innerhalb des Briefs klarstellen: „Wir nennen es sehr wohl Krise beziehungsweise einen sauberen Kollaps mit Ansage.“ Aus Sicht der drei Frauen bestehe der Eindruck, der Plan der Politik, um dem Personalmangel entgegenzuwirken, laufe auf „Massenkinderhaltung“ hinaus. „Wir zweifeln sehr an Ihren Kompetenzen“, so die Kita-Leiterinnen.
Kita-Fachkräfte: „Genügend Kita-Plätze schaffen“ reicht nicht aus
Scharfs Antworten im Mainpost-Interview zielten zu wenig auf die verheerenden Zustände innerhalb der Kitas ab. So äußerte sie unter anderem: „Entscheidend sind zwei Dinge: Wir müssen genügend Plätze für die Kinderbetreuung schaffen.“ Eltern seien dann unzufrieden, wenn es keine Möglichkeit gebe, ihre Kinder in einer Kita unterzubringen. Der zweite Part sei, mehr Menschen für Kita-Berufe zu begeistern. Hier sei ein Weiter- und Fortbildungsprogramm gestartet worden. Zudem wurde die Ausbildung von fünf auf vier Jahre verkürzt. „Wir stellen fest, dass die Nachfrage nach diesem Beruf groß ist“, so Scharf. Das sei laut den Kita-Leiterinnen aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn es bestehe ein wesentliches Problem, was so nicht gelöst werde.
Die Qualität der Ausbildung leidet durch zu wenig Praxis.
„Die Qualität der Ausbildung leidet durch zu wenig Praxis. Die jungen Leute haben oft keine Ahnung mehr von Arbeit, sehen die Arbeit nicht. Da braucht es praktische Erfahrungen und Anleitung“, heißt es im offenen Brief der Kita-Leiterinnen. Die sei aber angesichts des Personalmangels nicht da. Zusätzlich hapere an den gestiegenen Lohn-, Lebensunterhaltungs- sowie Energiekosten. Träger vor Ort können ihre Angestellten nicht bezahlen, wenn der Basiswert der Regierung nicht angehoben werde. Und damit nicht genug.
„Sprachlos und traurig“: Kita-Fachkräfte erbost über Aussagen von Ministerin Scharf
Viele der vorhandenen Erzieher und Erzieherinnen seien „am Rande ihrer Belastungsgrenze“. Die Kita-Leiterinnen appellieren im offenen Brief an die Ministerin: „Kommen Sie zu uns und machen Sie sich ein Bild, welchen Rahmenbedingungen und Problemen wir gegenüber stehen.“ Quer- oder Seiteneinsteiger zu mobilisieren, reiche nicht aus, um Lücken im Dienstplan zu schließen, zumal der pädagogische Auftrag der Kitas nicht erfüllt werden kann. „Uns macht es sprachlos und traurig, wie unsere Kinder, angeblich unser ‚höchstes Gut‘ sich in unsere Gesellschaft einfügen und funktionieren müssen.“
Der Kita-Fachkräfteverband fordert: „Erziehung, Bildung und Betreuung durch die Eltern und dem pädagogischen Fachpersonal müssen mehr wertgeschätzt und angemessen honoriert werden. Gesellschaft, Politik und Arbeitswelt müssen sich an den wirklichen Bedürfnissen der Kinder orientieren und nicht umgekehrt.“
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