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Sommerwelle rollt über Bayern: Experten warnen vor hoher Dunkelziffer - „Corona im Herbst nicht vorbei“

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Themenbild Corona Sommerwelle.
Die Sommerwelle rollt über Bayern - doch © Frank Hoermann / Imago Images

Wie schätzen Experten die aktuelle Corona-Sommerwelle in Bayern ein? Wen trifft es am härtesten? Und wie wird der Herbst? Die wichtigsten Antworten zur aktuellen Pandemieentwicklung.

München – Die Corona-Beschränkungen sind weitgehend aufgehoben, die Menschen genießen ihren Sommer. Doch gleichzeitig steigen mit der neuen Omikron-Untervariante BA.5 die Fallzahlen wieder – Deutschland steckt mitten in einer Corona-Sommerwelle. Wie ist die aktuelle Lage in den Krankenhäusern? Und wie steht es um die angekündigten neuen Impfstoffe? Ein Überblick.

Die aktuellen Corona-Zahlen in Bayern: Achtung Dunkelziffer!

Das Robert-Koch-Institut (RKI) verzeichnete gestern eine 7-Tage-Inzidenz von 665 (Bayern: 637). Zum Vergleich: Höchststand der Pandemie war der 26. März mit einer Inzidenz von 1758. Zwischenzeitlich fiel die Inzidenz im Mai auf etwa 200, seit Juni steigen die Zahlen wieder. Experten weisen darauf hin, dass die Dunkelziffer hoch sein dürfte. Denn in die Statistik des RKI fließen nur positive PCR-Tests ein. Es ist aber davon auszugehen, dass sich viele Menschen bei einem positiven Schnelltest ohne zusätzlichen PCR-Test einfach selbst isolieren. In der Realität dürfte die Inzidenz also höher sein als vom RKI angegeben.

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Patientenzahl steigt: Die Lage in den Kliniken

Die Belegung mit Corona-Patienten in den Kliniken nimmt wieder zu – wenn auch noch weit unter dem Niveau aus dem Winter. In Bayern stieg die Gesamtpatientenzahl vergangene Woche wieder auf mehr als 2000 Personen – 150 davon lagen auf der Intensivstation. Zum Vergleich: In der Hochphase Mitte März waren es 5000 Patienten (470 Intensiv). Rund um Pfingsten lag die Zahl bei 1200 (120 Intensiv). „Ein großer Teil der Patienten kommt mit Covid als Nebendiagnose in die Klinik, aber einige leider auch explizit wegen Corona“, sagt München-Klinik-Chef Axel Fischer. Für die Klinikmitarbeiter ist der Aufwand so oder so hoch – denn jeder Covid-Patient muss isoliert werden. „Der Personalmangel ist immer noch ein Dauerproblem“, sagt Eduard Fuchshuber von der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Jetzt kämen wieder vermehrt Ausfälle hinzu. Auch wenn derzeit kaum geplante Operationen verschoben werden müssen: „Uns macht es Sorgen, dass Corona in vielen Köpfen schon vorbei zu seien scheint“, sagt Fuchshuber. „Die Vorsicht geht verloren.“

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Die Risikogruppen: Wer erkrankt schwer?

Das RKI hat gemeinsam mit den Krankenkassen untersucht, welche Vorerkrankungen einen schweren Covid-19-Verlauf begünstigen. Besonders gefährdet sind demnach Leukämie-Patienten oder Personen mit Tumor- oder Demenzerkrankungen. Der Altersdurchschnitt bei den Todesfällen mit einer Corona-Infektion hat sich seit Beginn der Pandemie nur geringfügig verändert: Er lag in allen Wellen zwischen 78 und 84 Jahren. Eine Stichprobe in der München Klinik: Ende vergangener Woche befanden sich dort 87 Covid-Patienten, 9 davon auf der Intensivstation. „Es trifft vor allem die Älteren“, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie. Die Hälfte der Patienten ist älter als 75, drei Viertel älter als 65. Etwa die Hälfte der Patienten hatte eine Booster-Impfung. „Bei den Jüngeren hat die Hospitalisierung meist Gründe“, sagt Wendtner, „beispielsweise eine Immunerkrankung – oder der Booster ist schon lange her.“

Von BA.1 bis BA.5: Die dominanten Corona-Varianten in Bayern

Vorherrschend in Bayern ist aktuell der Erreger BA.5, eine Omikron-Sublinie. In dieser Woche lag der Anteil dieser Variante laut einer Stichprobe des RKI bei rund 66 Prozent. Virologe Christian Drosten sagt: „Die BA.5-Variante ist einfach sehr übertragbar, und die Menschen verlieren gleichzeitig ihren Übertragungsschutz aus der letzten Impfung.“ Hospitalisierungs- und auch Todeszahlen werden dadurch wieder ansteigen, fürchtet Drosten. „Insgesamt werden aber viel weniger Menschen schwer erkranken und sterben als noch 2021.“

Anteil der einzelnen Varianten an den Neuinfektionen in Deutschland.
Anteil der einzelnen Varianten an den Neuinfektionen in Deutschland. © AFP

Neue Impfstoffe: Wie geht’s weiter?

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich kürzlich für eine neue Impfkampagne vor dem Winter ausgesprochen. Impfstoffentwickler wie Biontech und Moderna arbeiten derzeit an angepassten Vakzinen für die Omikron-Variante, die Zulassung wird frühestens für September erwartet. Beide Hersteller legten kürzlich Daten vor, wonach die angepassten Impfstoffe auch gegen die derzeit dominanten Virustypen eine effiziente Immunantwort anregen. Doch es gibt auch Zweifel unter Experten: „Leider schießen die neuen Impfstoffe am Ziel vorbei, weil die Entwicklung mit der Variante BA.1 begann, die aber längst nicht mehr dominant ist“, sagt Clemens Wendtner von der München Klinik. „Deswegen halte ich es für sinnvoll, nicht auf die neuen Impfstoffe zu warten und schon jetzt vor allem Ältere und Vulnerable zu boostern, bevor sich die die Welle richtig aufgebaut hat.“ Aktuell empfiehlt die Ständige Impfkommission den zweiten Booster nur für Menschen ab 70, Pflegeheimbewohner, Immunerkrankte und medizinisches Personal. Wendtner hält es für sinnvoll, die Empfehlung auch für Menschen ab 60 Jahren auszusprechen.

Wer bekommt noch kostenlose Tests?

Die kostenlosen Tests für alle hat der Bund abgeschafft. Weil ein negativer Test für den Zugang zu vielen Pflegeheimen oder Kliniken aber immer noch Pflicht ist, bekommen Besucher dieser Einrichtungen die Tests weiterhin ohne Zuzahlung. Um den Anspruch an der Teststation nachzuweisen, reicht in Bayern künftig eine unterschriebene Selbsterklärung, heißt es vom Gesundheitsministerium. Eine Bestätigung der Klinik oder des Heims ist nicht nötig.

Medikamente: Wann hilft Paxlovid?

Es gebe sehr überzeugende Medikamente für Covid-Patienten, die viel zu wenig eingesetzt würden, sagte Karl Lauterbach kürzlich. Seit Februar ist in Deutschland beispielsweise das Medikament Paxlovid auf dem Markt. „Wir wenden Paxlovid bei sehr vulnerablen Patienten schon an“, erklärt Clemens Wendtner von der München Klinik. Allerdings muss das Medikament innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome verabreicht werden – und es darf nur PCR-positiven Patienten verschrieben werden. Wendtner sagt: „Besser wäre, das Medikament schon vorab zu Hause im Medikamentenschrank haben zu können, sodass man bei einem positiven Schnelltest reagieren kann.“

Blick in die Glaskugel: Wie wird der Herbst?

Eine Prognose über die Infektionslage im Herbst wagt derzeit kaum ein Virologe. Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat drei mögliche Szenarien entworfen. Im günstigsten Fall dominiert eine harmlose Virus-Variante, die keine weitreichenden Schutzmechanismen erfordert. Arbeitsausfälle und Belastungen im Gesundheitswesen seien trotzdem zu erwarten – auch wegen der Influenza. Das „Basisszenario“ hingegen geht von einer gleichbleibenden Corona-Krankheitslast aus – und könnte erneut „flächendeckende Maßnahmen“ wie Masken und Abstand in Innenräumen erfordern. Im ungünstigsten Fall dominiert eine neue, aggressivere Virus-Variante, die selbst vollständig Geimpften schwer zusetzt. Dann wären dem Expertenrat zufolge allgemeine Schutzmaßnahmen bis zum Frühjahr nötig. Für Axel Fischer von der München Klinik ist klar: „Corona wird im Herbst nicht vorbei sein und die Kliniken weiter belasten.“

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