"Der Rechtsstaat steht am Abgrund"
München - Im tz-Interview erklärt der ehemalige Ex-Ministerialbeamte Wilhelm Schlötterer, warum er den inhaftierten Gustl Mollath retten will. Dabei kritisiert er Justizministerin Beate Merk scharf.
2,33 Millionen Zuschauer verfolgten am Montag die ARD-Sendung Der Fall Mollath. Eine Dokumentation, die darstellte, wie ein gut situierter, bis dahin völlig unbescholtener Bürger in der Psychiatrie landet – und dort seit mehr als sieben Jahren gegen seinen Willen festgehalten wird. Obwohl das, was als sein Wahn galt – die Schwarzgeld-Geschäfte seiner Frau – sich inzwischen als wahr bestätigt hat. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) bleibt aber dabei: Mollaths „Gefährlichkeit ist der Grund, dass er untergebracht ist“. Die Ministerin wies gestern den in dem Film erhobenen Vorwurf, sie habe das Parlament belogen, als „falsch und verleumderisch“ zurück. Doch was ist die Wahrheit? Der Ex-Ministerialbeamte Wilhelm Schlötterer, der in seinem Buch Macht und Missbrauch das bayerische Amigo-System angeprangert hatte, engagiert sich für die Freilassung Mollaths. In der tz erklärt er, warum.

Warum engagieren Sie sich für den seit 2006 in der Psychiatrie eingesperrten Gustl Mollath?
Wilhelm Schlötterer: Nach dem Erscheinen meines Buches Macht und Missbrauch hat sich Gustl Mollath schriftlich an mich gewandt und mich um Hilfe gebeten. Ich habe dann die Unterlagen in die Hand bekommen und sofort erkannt, dass der Mann rechtswidrig in die Psychiatrie eingeliefert wurde – und da musste ich helfen. Ich war drei Jahrzehnte im Staatsapparat tätig, als Ministerialbeamter im Finanzministerium. Unter Ministerpräsident Goppel habe ich derartiges nie erlebt. Ich bin zutiefst traurig darüber, dass der Rechtsstaat inwzischen so nah am Abgrund steht.
Es gibt mittlerweile kaum noch Zweifel, dass Herrn Mollath Unrecht getan wurde – aber er ist immer noch eingesperrt! Wie erklären Sie sich das?
Schlötterer: Solange Frau Merk an der Spitze der bayerischen Justiz steht, sehe ich die objektive Anwendung des Rechts nicht als gewährleistet an. Es geht hier um Freiheitsentzug, das hat bei der Justiz normalerweise absoluten Vorrang. Der Wiederaufnahmeantrag von Mollaths Anwalt datiert vom 18. Februar diesen Jahres, der der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 19. März – dass immer noch nichts passiert ist, ist ein Skandal hoch zehn!
Aber es müsste doch eigentlich auch im Interesse von Ministerin Merk sein, die Affäre Mollath schnell vom Tisch zu bekommen, oder?
Schlötterer: Ich kann da nur spekulieren: Es kann zum einen sein, dass Frau Merk vermeiden will, dass offiziell festgestellt wird, dass er zu Unrecht eingesperrt war. Und es kann sein, dass man fürchtet, dass Mollath nach seiner Entlassung weitere Unterlagen über Schwarzgeldverschiebungen auspackt, die der CSU vor der Landtagswahl schaden könnten.
Mollath durfte teilweise nur in Handschellen zum einstündigen Hofgang, er wurde nachts stündlich mit der Taschenlampe geblendet und geweckt: Seine Haftbedingungen sind offensichtlich deutlich schlimmer als in einer gewöhnlichen Justizvollzugsanstalt…
Schlötterer: Dieses Ausleuchten der Zelle, mit dem angeblich ein Selbstmord verhindert werden soll, ist eine sinnlose, unzumutbare Maßnahme.
Ein Anleger hat in der ARD-Sendung ausgesagt, dass nicht nur Frau Mollath, sondern auch andere HypoVereinsbank-Berater seiner Familie angeboten hätten, Schwarzgeld in die Schweiz zu schaffen. Wie beurteilen Sie das?
Schlötterer: Die HypoVereinsbank hat in München, Nürnberg und möglicherweise noch an anderen Standorten anscheinend einen regelrechten Kurierdienst unterhalten. Warum wird dem nicht nachgegangen? Möglicherweise, weil der Freistaat Bayern damals zu zehn Prozent an der HVB beteiligt gewesen ist und sie deshalb geschont wird. Zudem hat die HVB 1995 bis 2000 rund 500 000 Mark an die CSU gespendet, aufgeschlüsselt über Tochtergesellschaften, damit es nicht meldepflichtig wird. Wenn hier ein Strafverfahren eingeleitet wird, verliert man vielleicht einen wichtigen Spender.
Die Schwarzgeld-Vorwürfe, die Gustl Mollath erhoben hatte, haben sich inzwischen als berechtigt herausgestellt. Aber er hat in seiner Verteidigung vor Gericht auch wirr anmutende Schriften vorgelegt, die durchaus Zweifel an seinem Geisteszustand erlauben…
Schlötterer: Man hat Mollath bewusst in eine wirre Ecke gedrängt! Als Mollath von seiner Frau bezichtigt wurde, er habe sie misshandelt, verteidigte er sich vor dem Amtsgericht, indem er Schriftstücke aus seiner Zeit in der Friedensbewegung vorlegte, mit denen er zeigen wollte, dass er nichts mit Gewalt im Sinn hat. Darüber mag man vielleicht die Stirn runzeln. Aber diese Unterlagen hat Ministerin Merk gezielt als wirres Sammelsurium bezeichnet. Was sie aber verschwiegen hatte, als sie vor dem Landtag aus Mollaths Schriften zitierte, waren die detailliert aufgeführten Nummernkonten in der Schweiz.
Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Herrn Mollath?
Schlötterer: Vor ein paar Tagen. Er hat Hoffnung, da er weiß, dass es inzwischen viele Menschen gibt, die sich für ihn einsetzen. Die ARD-Sendung konnte er wahrscheinlich sehen, da Freunde ihm kürzlich einen Fernseher für die Zelle spendiert haben.
Interview: Klaus Rimpel