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Groß-Razzia: Hier geht die Ösi-Polizei "All in"

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Die Polizei ließ zunächst alle Pokerchips in Umschläge einpacken

München - Viele Bayern fahren zum Pokern über die Grenze nach Österreich. Den dortigen Behörden ist das Glücksspiel ein Dorn im Auge. Jetzt steht der Poker-Tourismus vor dem Aus.

"Finanzpolizei – wir führen jetzt eine Amtshandlung durch." Um 21.05 Uhr ging nichts mehr. Rien ne va plus - "Schluss mit Spielen".

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Nicht nur für Roulette-Spieler, auch für Pokerfreunde und vor allem Casinobetreiber ist das der Albtraum. 35 österreichische Polizisten, darunter etwa die Hälfte von der Finanzpolizei, haben kürzlich eine Groß-Razzia im Poker Royale in Kufstein durchgeführt. Es ist das zweite Mal, seit das Poker-Casino im September 2009 eröffnet hat. Andere Spiele gibt es hier nicht. An den Tischen sitzen neben einheimischen Österreichern viele Bayern. 70 Prozent seiner Gäste seien Deutsche, sagt Casino-Manager Christian Seyferth, der Großteil komme aus der Region zwischen München und Kufstein - Wolfratshausen, Bad Tölz, Rosenheim. Mit dem Auto brauchen die Poker-Touristen bei freier Fahrt weniger als eine Stunde nach Kufstein, ins österreichische Grenzgebiet. Es könnte sich ja lohnen.

2003 ist die Poker-Welle von den USA nach Deutschland geschwappt, als ein Nobody mit dem bezeichnenden Namen Chris Moneymaker bei der World Series of Poker aus läppischen 39 US-Dollar Einsatz 2,5 Millionen gemacht hat. Seitdem wollen auch Hundertausende Deutsche Moneymaker sein – Geldmacher. Einer hat es Anfang November geschafft: Pius Heinz. Der gebürtige Kölner hat bei der inoffiziellen Poker-WM den Jackpot von 8,7 Millionen US-Dollar (umgerechnet 6,3 Millionen Euro) geknackt. Der 22-Jährige studiert Wirtschaftspsychologie in Köln, wohnt aber seit August in Wien. Das ist kein Zufall.

Denn während Pokern in Deutschland den noblen staatlichen Casinos wie in Bad Wiessee und Bad Reichenhall vorbehalten ist, feiern die legeren Kartenspielhäuser in Österreich Hochkonjunktur. In Kufstein gibt es zwei davon, die Konkurrenz sitzt in Innsbruck und Salzburg. Kaum Dresscode, niedrige Einsätze, kein Rauchverbot: Die bayerischen Zocker kommen gerne. "Sie schätzen unsere Gemütlichkeit, unsere Tiroler Lockerheit", wirbt Seyferth.

Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpolizei, sieht das nicht so locker. "Es ist ein Phänomen", sagt er unserer Zeitung. "Das Glücksspiel verlagert sich überall dorthin, wo weniger Verfolgungsdruck herrscht." Lehner hat es zu seiner Aufgabe gemacht, den Druck zu erhöhen, und verweist auf mehrere rechtskräftige Urteile gegen Spielhöllen. Doch ohne ein solches gibt es nach österreichischem Recht auch keine ernsthaften Konsequenzen. Seyferth weiß: "Über uns hängt ein Damoklesschwert."

Den österreichischen Behörden ist das Pokern, das seit gut einem Jahr in einer Gesetzesnovelle dort explizit als Glücksspiel benannt wird, ein Dorn im Auge. Erlaubt ist nur noch das sogenannte "kleine Wirtshauspoker" ohne Bankhalter, also Croupier, und mit Einsätzen bis zu 50 Cent, bei Turnieren bis zu zehn Euro mit maximal 100 Teilnehmern. Lehner erklärt: Pokern sei deshalb ein Glücksspiel, weil es vorwiegend vom Glück bestimmt sei. Er bewertet dabei eine einzelne Spielrunde: "Wie die Karten dabei fallen, das ist Glück." Pokerspieler hingegen argumentieren stets mit der Serie von Runden, mit Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Gegenfrage, warum denn bei einem Glücksspiel oft die gleichen Profis gewinnen.

Ab 2013 dürfte sich das Problem in Wohlgefallen auflösen. Dann gibt es in Österreich nur noch staatliche Lizenzen wie in Deutschland. Bis dahin gilt in der Praxis scheinbar die urbayerische Devise: A bisserl was geht immer. Und so schaut die Finanzpolizei, der laut Lehner viele Anzeigen von Privatpersonen und Konkurrenten vorliegen, den Casinobetreibern während dieser gesetzlichen Übergangsphase besonders genau auf die Finger - wie neulich im Poker Royale.

Ins gelegentliche Klimpern der Chips und das Rascheln der

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Auch der Dealer musste seine Chips einpacken

Plastikkarten mischt sich ein gedämpftes Bellen. Dem Polizeihund ist der Raum offenbar zu verraucht. Schnell stehen zwei Beamte vor jedem der fünf aktiven Tische im Erdgeschoss und legen gelbe Nummernschilder auf jeden Tisch. Ein Knips mit der Kamera, und das Beweisfoto ist im Kasten. "Wir führen jetzt eine Amtshandlung durch", wiederholen sie. Heißt: Wer sich widersetzt, bekommt Ärger mit der Bundespolizei, die sich im Schlepptau befindet. Ein Hauch von Frust mischt sich in den Zigarettendunst. Aber Angst? Angst hat keiner. Pokerfaces.

"Was spielen Sie hier?", will ein Beamter vom Dealer wissen, der nur die aktuelle Runde noch beenden darf. Einer der neun Spieler gewinnt sieben Euro mit einem Assen-Pärchen, kein sonderlich großer Pot. Der Kartengeber antwortet: Texas Hold'em No Limit - wie an den meisten anderen Tischen. Heißt: Standard-Minimum-Einsätze in Höhe von 50 Cent. Die Dealer, die vom Trinkgeld der Spieler leben, werden an diesen Tischen kaum reich.

Dann geht auch für ihn wirklich nichts mehr. Die Beamten nehmen die Personalien aller Spieler auf, inklusive Telefonnummer. "Warum wollen Sie meine Daten?", fragt einer nach. "Die Amtshandlung ist nicht gegen Sie gerichtet", beruhigt der Beamte, denn das Glücksspielgesetz wendet sich im Normalfall nur an den Veranstalter.

Jetzt schlägt auch die Stunde des Casino-Managers. Seyferth zeigt Präsenz und klappert die Tische ab. "Keine Sorge, es geht nachher weiter. Sie bekommen Ihre Chips wieder", verspricht er. Die Spieler scheinen ihm mehr zu vertrauen als den Beamten. Der Manager schnappt sich das Mikro und bittet seine Gäste, sich kooperativ zu zeigen.

Jeder Spieler muss seine Chips vor den Polizisten nachzählen und in

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Seyferth verspricht den Spielern, dass sie ihre Chips zurückbekommen

einen großen, weißen Umschlag packen. Name und Betrag mit Kugelschreiber drauf und zum Rest der privaten Daten auf die Liste. Auch der Dealer muss. Keiner sträubt sich. Weil alle mitspielen, wirft Seyferth eine Lokalrunde. Die Stimmung an den Tischen steigt. "Service!", rufen die Durstigen. Um 22.15 Uhr geht das Spiel an Tisch 6 weiter. Die letzte Mitspielerin, die einzige Dame am Tisch, ist von einer Einzelbefragung im Nebenraum zurück. Dort wollten die Beamten Einzelheiten zum Pokerspiel erfahren, um Schlüsse auf die Geschäfte des Casinos zu ziehen. Erst eine halbe Stunde später verlassen die letzten Beamten das Casino. Die Tische und die Chips bleiben da.

Bei der letzten Razzia während eines internationalen Turniers im März 2010 war das anders, als die Polizei Chips und Tische beschlagnahmte. Auch in dieser Sache ist die letzte Hand noch nicht gespielt: Das Poker Royale ist wegen illegalen Glücksspiels in der ersten Instanz verurteilt worden. Das Berufungsverfahren läuft noch. Die Mühlen der Justiz mahlen, die Dealer der Casinos mischen - auch im Poker Royale.

Seyferth greift sich das Mikro: "Wir sind jetzt wieder unter uns. Razzia, Stromausfall: Im Poker Royale ist immer was geboten. Wenn es Ihnen gefallen hat, empfehlen Sie uns weiter!"

Tobias Kimmel

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