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Kardinal Marx zum 70. Geburtstag: „Ich habe nicht gedacht, dass es so schwer wird“

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Kardinal Reinhard Marx in der Kapelle im Palais Holnstein an der Kardinal-Faulhaber-Straße in München. Das Palais ist sein Amts- und Wohnsitz. Das Altarbild von Brigitte Stenzel („Verkündigung“) bedeutet dem Münchner Erzbischof viel. Ein Bild, vor dem er betet und meditiert.
Kardinal Reinhard Marx in der Kapelle im Palais Holnstein an der Kardinal-Faulhaber-Straße in München. Das Palais ist sein Amts- und Wohnsitz. Das Altarbild von Brigitte Stenzel („Verkündigung“) bedeutet dem Münchner Erzbischof viel. Ein Bild, vor dem er betet und meditiert. © Marcus Schlaf

Vor 15 Jahren hat der Westfale das Amt als Münchner Erzbischof angetreten, am 21. September wird Kardinal Reinhard Marx 70 Jahre alt.

Was treibt ihn an, was hat er noch vor, wie sieht er die Chancen für die katholische Kirche und was wünscht er sich zu seinem 70. Geburtstag? Antworten von Reinhard Marx im Exklusiv-Interview mit unserer Zeitung.

Die Geseker Schützen kommen zum Oktoberfest-Anstich und zu Ihrem Geburtstag nach München – lassen Sie es ordentlich krachen, Herr Kardinal?

Nein, ich glaube dafür besteht auch kein Anlass. Die Schützen haben sich auch einfach selber angemeldet für den Umzug auf dem Oktoberfest. Vor zehn Jahren war auch eine Gruppe da. Das finde ich auch okay, und ich werde sie auch besuchen auf der Wiesn.

„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn-#s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell davon, als flögen wird davon...“ Kennen Sie diese Verse?

Ja, natürlich, das ist aus dem Buch der Psalmen. Das bete ich jede Woche und da kommt auch der schöne Satz vor: „Herr, lehre uns, unsere Tage zu zählen“....

...und das bedeutet für Sie?

Gerade deswegen, weil unsere Zeit begrenzt ist, sollen wir jeden Tag ernst nehmen: Das Gute, das Herausfordernde, auch das Negative, das passiert oder das man verarbeiten muss. Das Leben ist kostbar, weil es flüchtig ist.

Wie schnell ist Ihr Leben verflogen?

Wenn man älter wird, hat man den Eindruck, es wird immer schneller. Man weiß, jetzt, mit 70, geht der Endspurt los – mit 70 Jahren. Mein Vater ist 64 Jahre alt geworden, meine Mutter 89. Jetzt beginnt die letzte Phase, das wird mir immer bewusster. Da gilt es noch mehr zu sagen: „Herr, lehre mich, die Tage zu zählen...“ und das, was noch bleibt an Zeit, gut zu gestalten.

Kardinal Marx feiert 70. Geburtstag: „Mit 70 kann ich nicht durch die Gegend rennen wie mit 40“

Was haben Sie vor?

Zunächst einmal die Aufgaben, die ich gestellt bekomme, jeden Tag in guter Weise und positiver Grundsteinstellung anzunehmen. Wir können nicht alles erledigen in unserem Leben. Die Überlegung: „Was willst Du noch hinterlassen, welche Fußspuren willst Du noch setzen?“ ist eine Versuchung, die auch in mir steckt. Das ist ein bisschen eitel, aber verständlich. Im Kopf und im Herzen weiß ich: Es ist ein Fragment, das übrig bleibt. Unsere Hoffnung ist, dass das zusammengesetzt wird. Wir Christen nennen das das Ewige Leben – besser wäre: die Vollendung des Lebens. Das können wir nicht machen. Wir hoffen, dass das zusammengesetzt wird zu dem Bild, das Gott von uns hatte, als er uns erschaffen hat.

Aber es gibt bestimmt noch Fragmente, die Sie hinzufügen wollen?

Solange ich Bischof bin – das hängt von meiner Gesundheit ab –, will ich das tun. Und zwar gut tun. Kirchenrechtlich gibt es die Vorschrift, dass ich mit 75 Jahren meinen Rücktritt anbieten muss. Für mich ist aber wichtiger: Kann ich das noch geistig und körperlich und mit der Zustimmung der anderen gut machen. Ich muss vielleicht nicht mehr die großen Reisen machen und überregionale Aufgaben wahrnehmen – ein bisschen mache ich noch in Rom und in der Bischofskonferenz. Ich will mich nicht einfach verabschieden, aber ich will mich konzentrieren. Ich habe vieles sehr gerne gemacht, aber es muss nicht mehr alles sein.

Also ziehen Sie sich peu á peu zurück?

Nein, ich würde auch nicht sagen, dass ich weniger arbeite. Vielleicht mit ein bisschen mehr Ruhe. Nach meiner Zwangspause wegen des Armbruchs, nehmen jetzt die Termine wieder zu. Es muss aber ein bisschen Luft sein, mit 70 kann ich nicht durch die Gegend rennen wie mit 40.

Kardinal Marx zum Missbrauchsskandal: „Amtszeit hier in München ist im Grunde geprägt durch die Diskussion und die Aufarbeitung“

Wie beschreiben Sie die letzten 13 Jahre, seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der Kirche?

Das war schon ein Einschnitt! Ich kann mich erinnern, dass wir damals, 2010, mit dem Domkapitel zusammengesessen haben, und ich gesagt habe: „Meine Herren! Eines ist klar – das wird ein Einschnitt sei, so dass wir eine Zeit vorher und eine Zeit nachher haben. Es wird nicht mehr sein, wie es vorher war.“ Mir war klar, dass wir daran lange, lange arbeiten müssen. Meine ganze Amtszeit hier in München ist im Grunde geprägt durch die Diskussion und die Aufarbeitung. Ich muss aber auch sagen: Bei all dem Furchtbaren, das wir sehen: Wir haben auch viel gemacht. Das vermisse ich manchmal in der Öffentlichkeit: Dass nicht gesehen wird, was in den letzten 13 Jahren auch geleistet worden ist. Keine andere Institution beackert das Thema so gründlich wie wir – auch der Staat nicht! Für unser Bistum kann ich sagen: Allein was wir an Personen und an Geld in den letzten 10 Jahren in Aufklärung, Aufarbeit, Prävention und Begleitung eingebracht haben – das geht in die Millionen. Und das ist auch gut so. Es gibt keine andere Möglichkeit. Meine Zeit als Bischof wird davon geprägt sein – auch in 50 und 100 Jahren. Hoffentlich wird man dann sagen: Die haben aber was getan, die haben es nicht schleifen lassen. Das wäre mein Wunsch.

Also, etwas das bleibt...

Ich hätte natürlich lieber noch einen Papstbesuch oder zwei Seligsprechungen hier gehabt, aber ich kann mir die Zeit nicht aussuchen. Jetzt habe ich die Aufgabe mit anderen hier, die engagiert arbeit. Die kann ich nicht allein lassen. Wir bemühen uns, wir machen aber auch Fehler. Daraus kann man lernen – und wir sind vorangekommen. Die Aufgabe der Kirche bleibt ja. Das merken jetzt einzige: Was ist, wenn die Präsenz der beiden Kirchen marginal wird?

Die Kirchenaustrittszahlen sind ja erschreckend...

Ja, und es ist zu wenig bewusst, dass die Kirchensteuer einen Riesenbeitrag leistet für das, was in den Gemeinden geschieht. Nehmen wir nur die wunderschönen Kirchen bei uns: Wo die Leute hineingehen und begeistert sind. Ein Fest sind diese Barockkirchen! Ohne Kirchensteuer könnten wir das gar nicht auf dem Niveau halten! Soll das der Staat machen? Dass das nicht wertgeschätzt wird, finde ich manchmal traurig. Dass die Kirchensteuerzahler einen große Beitrag leisten für die Kirche und das gesamte Gemeinwesen wie etwa die Kindergärten. Da gehen jedes Jahr Millionen Euro an Kirchensteuern hinein. Die Kirchensteuerzahler zahlen zweimal: Einmal durch ihre Steuern und durch ihre Kirchensteuer. Und durch ihr Kirchgeld: Ich sage den Kirchensteuerzahlern dafür herzlichen Dank! Aber die anderen sollten auch Dankeschön sagen.

Sie gehören zu den Initiatoren des Synodalen Wegs, mit dem die strukturellen Ursachen des Missbrauchs aufgearbeitet werden sollen. Der Vatikan hat das Projekt ja immer wieder abgebremst. Was erwarten Sie jetzt von der Weltsynode im Oktober?

Meine Doktorarbeit hieß sinnigerweise vor 35 Jahren: „Ist Kirche anders?“ Es ging darum, ob die Prinzipien der katholischen Soziallehre, die gesellschaftlichen Erkenntnisse auch auf die Kirche übertragbar sind. Meine Antwort war: „Ja, aber...“ Nicht ganz, aber doch sehr stark. Elemente, die in der Gesellschaft sind wie Mitbestimmung und Demokratie, das sind auch Anrufe an die Kirche. Die Kirche muss nicht monarchisch strukturiert sein, die äußere Gestalt der Kirche kann sich verändern, die Substanz – das Evangelium und die Sakramente – das bleibt. Aber äußerlich kann die Gestalt auch aus der Zeit fallen. Jetzt ist die äußere Gestalt auch in einer Verwandlung, die stärker die Beteiligung aller einbeziehen muss. Das entspricht dem Evangelium. Wenn das geschieht, ist das nicht ohne Schmerzen. Weil das Alte stark ist und das neue sich erst durchsetzen muss.

Die Schmerzen haben Sie ja beim Streit um den Synodalen Weg deutlich erlebt...

Ja, und deswegen geht das nur in einer synodalen Weise. Das war mir immer klar: Das geht nur in einem Miteinander. Ich erhoffe mir, dass vielleicht nicht von heute auf morgen alle Wünsche der einen Seite und alle Ängste der anderen Seite sich bewahrheiten, sondern dass sich ein Prozess entwickelt, in dem die Transformation der äußeren Gestalt der Kirche Schritt für Schritt voranschreitet. Das ist in einer Weltkirche natürlich sehr schwer. Deswegen braucht mal Regionalität und Subsidiarität.

Dass Sie nicht dabei sind in Rom, hat viele Gläubige überrascht. Sie nicht auch?

Ich bin ja nicht mehr im engeren Beraterkreis des Papstes dabei. Da war es selbstverständlich, dass diese Berater aus der C9-Gruppe an den Synoden teilgenommen haben. Deswegen habe ich mein Pensum an Synoden eigentlich auch erfüllt.

Aber Sie sind doch eine wichtige Stimme im deutschen Episkopat...

Das ist die Entscheidung des Papstes, dass auch mal andere drankommen. Ich habe dazu keine Kommentierung. Er hätte es tun können – hat er aber nicht.

Sind Sie enttäuscht?

Eigentlich nicht, weil ich so viele Synoden mitgemacht habe. Es ist bei mir jetzt doch das Gefühl: Jetzt können andere mal ihre Stimme einbringen. Aber: Lust habe ich immer, irgendwas zu machen (lacht)

Können Sie bei der Synode jetzt noch einwirken?

Im direkten Geschehen bin ich nicht präsent. Aber das ist ja erst der Anfang. Es gibt ja nächstes Jahr wieder eine Synode und in der Zwischenzeit wird in den Ortskirchen diskutiert. Wir haben ja mit dem Synodalen Weg Themen gesetzt und einige starke Impulse gesetzt, das hat nicht alle erfreut. aber ich stehe dazu! Wir werden das weiter auf Diözesan- und deutscher Ebene verfolgen. Der Wunsch des Papstes ist, dass die Synode nicht nur eine römische Angelegenheit für vier Wochen ist, sondern sie die ganze Kirche umfasst. Das ist ja bisher weltweit noch nicht der Fall. Wenn man sich anschaut, wie viele Prozent der Katholiken sich an der Vorbereitung beteiligt haben, sollte man nicht zu optimistisch sein. Trotzdem ist es ein Anfang!

Marx: „Kommt aus Euren Wohnzimmern heraus, da müsst ihr etwas mittun“

Die deutsche Kirche mit ihren Papieren zu Sexualmoral oder den Zölibat ja einiges vorgelegt.

Ich denke, wir haben da schon etwas in Bewegung gebracht. Die Kirche ist keine Demokratie, das weiß ich wohl. Das muss ja auch nicht sein. Aber einige Verhaltensweisen, etwa die Diskussion, das miteinander ringen, einen gemeinsamen Beschluss fassen – das ist sehr ähnlich. Da gibt es immer einige, die sich beteiligen. Und die anderen müssen sich fragen: Will ich was tun oder will ich das über mich ergehen lassen? Da muss ich schon sagen: Kommt aus Euren Wohnzimmern heraus, da müsst ihr etwas mittun.

Sie haben die Segnung homosexueller Paare befürwortet. Erlauben Sie solche Segnungen hier – anders als in Köln?

Bei dem Thema haben wir beim Synodalen Weg bewusst gesagt: Segnung für Menschen, die sich lieben. Bewusst keine Fokussierung auf eine Gruppe. Wir haben gesehen, dass es Paare gibt, die kirchlich gesehen keine Sakramente empfangen dürfen – jetzt. Aber sind sie deshalb pastoral draußen? Das kann ja nicht sein. Und deswegen bin ich der Meinung, dass das auch erfolgen soll. Wir wollen eine Handreichung machen auf der Ebene der Bischofskonferenz. Aber darauf müssen die Pfarrer nicht warten: Wenn Menschen, die sich lieben, einen Segen erbitten, werden die Seelsorgerinnen und Seelsorger einen Weg finden, das zu tun.

Segnen Sie ein homosexuelles Paar, wenn Sie darum gebeten werden?

Das kommt auf den Einzelfall an. Denken Sie an Herzog Franz, der bei dem großen Gottesdienst zu seinem 90. Geburtstag mit seinem Partner als Paar im Chorgestühl saß. Das wäre vor 20 Jahren wohl nicht möglich gerwesen. Aber damit habe ich doch kein Problem! Ich habe sie beide angesprochen. Sie solle ich nicht segnen dürfen?

Kardinal Marx: „Die Frage ist, wie können wir heute in dieser offenen Gesellschaft neu von Gott sprechen“

Im Bistum Essen können jetzt auch Laien die Taufe spenden, darunter viele Frauen. Warum geht das hier nicht?

Wir wollen wirklich versuchen, auf der Ebene der Bischofskonferenz zusammenzubleiben. Wir haben das diskutiert. Das sind Einzelpunkte, da muss man genauer hinschauen. Wir wollen ein Gremium schaffen, das der Intention des Synodalen Rates entspricht und da müssen wir so etwas besprechen. Ich kann ja nicht als Bischof einfach sagen: Da marschiere ich einfach durch. Im Priesterrat und bei den Dekanen wird das zum Teil auch ganz anders gewertet. Die sehen keine solche Notlage, dass Taufen auch von Laien gespendet werden. Das muss man versuchen, in einer Gemeinsamkeit zu lösen. Ich bin nicht dagegen, dass man darüber gut nachdenkt. Aber dann auch in einer Art bund Weise, die nachvollziehbar ist und auch akzeptiert wird. Ich will nachher keinen neuen Streit in den Pfarreien.

Wo können Sie denn etwas machen?

Am einfachsten ginge es bei der Predigt der Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten innerhalb der Messe. Das ist zwar von Rom noch mal untersagt worden, aber daran müssen wir weiterarbeiten. Es wird ja auch gemacht – und ich diszipliniere das nicht. Aber das sind nicht die Hauptthemen.

Welche sind das?

Die Frage ist, wie können wir heute in dieser offenen Gesellschaft neu von Gott sprechen. Dass es einen Sinn macht, das Evangelium zu leben und Christus zu glauben. Für mich ist das Geheimnis Gottes größer geworden und anziehender. Die Gestalt Jesu ist für mich vielfältiger geworden und attraktiver – und die Kirche etwas weniger wichtig. Sie ist nur ein Instrument, aber ein sehr wichtiges. Sonst wird die Dimension dessen, was das Wort Gott bedeuten kann und was dieser Mann aus Nazareth wollte, verdunkelt. Jeder sucht sich seine Sache – und deswegen brauchen wir die Gemeinschaft des Volkes Gottes. Im Grunde geht es um die Frage: Hat die Religion überhaupt noch einen Sinn für die Menschen? Aus meiner Sicht kann es nur den Sinn haben zu heilen, Hoffnung zu geben, aufzurichten, Menschen zusammenzuführen, ein Fest des Lebens zu feiern.

Beim Interview in der Bibliothek: Unsere Redakteurin Claudia Möllers mit Kardinal Marx.
Beim Interview in der Bibliothek: Unsere Redakteurin Claudia Möllers mit Kardinal Marx. © Marcus Schlaf

So viele Leute sind heute bedrückt vom Krieg, finanzieller Not, Zukunftangst. Das ist doch die Chance für die Kirche.

Ja, ich hoffe, das das geschieht. Ich versuche in meinen Predigten, diesen Ton anzuschlagen. In den Kirchen ist der Ort, wo sich der Himmel öffnet.

Steht dieser Himmel auch denen offen, die aus der Kirche ausgetreten sind? Sollten Ausgetretene nicht zur Kommunion zugelassen werden?

Nicht alle Ausgetretenen sind gleich. Wer bin ich, dass ich sage: Den schließe ich aus. Ob jemand zu Kommunion geht, ist letztlich eine Gewissensentscheidung. Aber ich sage dann auch: Überleg bitte, was bedeutet Dein Kirchenaustritt? Bist Du gegen den Papst? Siehst Du auch das ganze Volk Gottes, das auch Deinen Beitrag braucht? Wenn das mit der Tendenz weitergeht, werden wir viele Dinge für die Menschen nicht mehr tun können. Das muss man wissen. Ich möchte im Jubiläumsjahr 1300 Jahre Korbinian die Einladung an alle richten, die ausgetreten sind: Überlegt es Euch noch einmal! Wir brauchen Euch!

Gibt es etwas, das Sie bedauern in Ihrem Leben?

Ja, dass ich das Missbrauchsthema zuerst zu wenig ernstgenommen habe. Als das in Amerika bekannt wurde, haben wir gedacht: Bei uns ist das nicht so. Das habe ich ja auch bei meinem Rücktrittsgesuch 2021 erklärt: das war nicht im Horizont, das konnte man sich nicht vorstellen. Für mich ist das ein Schock gewesen, dass mein Idealbild von Kirche, das ich als Seminarist und junger Priester hatte, so konfrontiert wurde mit einer dunklen Seite. Das ist für mich das bis heute Erschütterndste. Aber ich muss damit leben und wir müssen das besser machen. Ich bleibe dabei: Ohne dieses Volk Gottes geht es auch nicht. Ich kann auch nicht alle Priester reduzieren auf diese Seite.

Würden Sie heute, wenn Sie jung wären, wieder Priester werden?

Natürlich ist diese Frage rein hypothetisch. Mit dem Wissen von heute? Ja, Priester, glaube ich schon. Das füllt mein Leben auch aus. Ich bin ja nicht als Priester unglücklich. Ohne die Messe könnte ich nicht leben. Aber ich hab nicht gedacht, dass es so schwer wird. Ich bin vor 44 Jahren mit großem Enthusiasmus und einer wahnsinniger Freude in den Dienst gegangen. Hab auch viel Schönes erlebt, unglaublich starke Erfahrungen und Begegnungen. Aber eben auch das andere. Jetzt mit 70 muss ich sage. Es war schwerer, als ich gedacht habe.

Sie haben mal gesagt, Sie hätten Gewissheiten verloren. Was ist an die Stelle getreten?

Ich habe die Gewissheit im Sinne einer idealen Vorstellung von Kirche verloren. Das war vielleicht auch ein bisschen dumm. Ich habe gedacht: diese dunkle Seite von Kirche ist Geschichte. Aber das ist Gegenwart! Aber mein Glaube ist nicht schwächer geworden, sondern hat sich intensiviert auf das Wesentliche. Neu zu sehen, was diesen Jesus von Nazareth umgetrieben hat. Dass jetzt das Reich Gottes angebrochen ist. Es wird eine größere Transformation der äußeren Gestalt der Kirche geben – aber die Botschaft wird weitergehen. Jetzt müssen wir – auch mit 70 – die Wege dafür ebnen. Müssen Entscheidungen treffen, uns von Ballast befreien, etwa bei Immobilien. Die kommenden Generationen werden zurückschauen und sagen: Damit hätten sie auch früher beginnen können – aber so ist es halt.

Mit 75 Jahren sind Sie nach Kirchenrecht gehalten, dem Papst Ihren Rücktritt anzubieten. Sie haben das ja schon mal getan 2021 als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal. Wären Sie jetzt gerne ein Emeritus?

Ich habe das ernst gemeint, das war für mich kein Spiel. Da ging es um die frage: Ich kann meine Verantwortung nicht davon abhängig machen, ob ich da mal einen Fehler gemacht, dort eine Akte übersehen habe. Die Haltung, habe ich das Ganze wahrnehmen wollen, habe ich zu wenig die Opfer gesehen? Das bleibt. Ich hätte auch irgendwo seelsorgliche Aufgaben übernehmen können. Wenn es meinen Nachfolger gestört hätte, wäre ich auch woanders hingegangen. Der Papst hat einen langen Antwortbrief geschrieben – da hätte ich nicht sagen können: Das akzeptiere ich nicht.

Also gibt es vor dem 75. Geburtstag kein weiteres Rückstrittsangebot Ihrerseits?

Das weiß man nicht. Das kommt auf die Gesundheit an. Ich hänge nicht so am Amt, dass ich sage: Ganz egal, wie ich beinander bin, ich bleibe im Amt. Im Augenblick sehe ich mich durchaus in der Lage, das Amt wahrzunehmen. (Lacht).

Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?

Das Bistum sagt: Unser Chef wird 70. da feiern wir einen Gottesdienst und im Anschluss gibt es einen Hoagarten, wie man in Bayern sagt (schmunzelt). Am 23. September ist um 17 Uhr die Messe, anschließend ist auch Gelegenheit, mir zu gratulieren. Meine private Feier mache ich extra mit meinen Verwandten und Freunden aus der Schule, vom Weihekurs. Mit ihnen gehe ich nach einem Gottesdienst auf die Wiesn – das bietet sich an.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten zu Ihrenm Geburtstag, was würden Sie sich wünschen

Dass ich in meinem Amt geistig und körperlich einander bleibe. Zweitens: Dass sich meine Anwandlungen von Melancholie und Resignation nicht durchsetzen. Dass die Freude lebendig bleibt. Das ist eine Gnade, und die muss ich immer wieder erbitten. und eine gute Sterbestunde. Ich denke oft an den Tod. Das macht mir keine Angst. Aber die Frage, wie man stirbt, ob man leiden muss, ob man dement wird. Da kann man drum beten, dass der Herrgott sich dann erbarmt und mir eine gute Sterbestunde schenkt. Dass man in guter Weise gehen kann. Das ist vielleicht sogar mein Hauptwunsch.

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