Klimaforscher über Unwetter und Hitzewellen der vergangenen Wochen: „Bereitet uns Kopfzerbrechen“

Die Wetterextreme der letzten Wochen besorgen auch die Klimaschützer. Professor Matthias Garschagen von der LMU berichtet, welche Risiken und Szenarien schon bald auf uns zukommen könnten.
München - Sommertage mit 50 Grad wie in Nordamerika, Unwetter* mit Golfball-großen Hagelkörnern – beides könnte bald kein Extrem mehr sein, sagt Klimaforscher Matthias Garschagen. Der 39-Jährige aus Ismaning (Kreis München*) forscht an der LMU zu Mensch-Umwelt-Beziehungen und ist Autor im Weltklimarat. Er sieht städtebauliche Herausforderungen auf uns zukommen – aber auch soziale.
Die extremen Wetterereignisse häufen sich. Wie viele Sorgen bereitet das Ihnen als Klimaschützer?
Diese Wetterereignisse sind ein Blick in die Zukunft. Ich kenne die Modellrechnungen, was passiert, wenn sich das Klima weiter erwärmt. Nicht nur die Häufigkeit von Extremereignissen wird zunehmen, sie werden auch intensiver und die Dauer wird zunehmen. Was wir die letzten Wochen beobachtet haben, bereitet uns Kopfzerbrechen – auch wenn es uns nicht überrascht. Wir sind ja jetzt schon vom Klimawandel getrieben, haben bereits eine Erwärmung von über einem Grad. Und selbst damit haben wir schon ordentlich zu tun. Das wird aber nichts im Vergleich zu dem sein, was auf uns zukommt, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten.
50 Grad in Nordamerika - Auch bei uns möglich?
Müssen wir uns auch auf Sommer mit 50 Grad wie in Nordamerika einstellen?
Es müssen nicht 50 Grad sein, damit es problematisch wird. Extreme Tagestemperaturen hatten wir ja schon. Bei uns sind vor allem die Nachttemperaturen ein Problem. Der Deutsche Wetterdienst hat berechnet, dass das Potenzial für sehr heiße Tage, also solche mit Temperaturen über 30 Grad, und tropische Nächte, die nicht unter 20 Grad abkühlen, weiter steigt – im Fall eines verschärften Klimawandels sehr deutlich. Darauf müssen wir uns einstellen.
Müssen wir in Bayern auch mit einem großen Starkregen-Risiko leben?
In den Gebirgsregionen und im Alpenvorland gibt es Staulagen, sie sind deutschlandweit mit am intensivsten von Starkregen* betroffen. Das ist eine besondere Herausforderung.
Haben Sie Empfehlungen für Städte? Gibt es Möglichkeiten, das Klima zu beeinflussen?
Ein Ansatzpunkt ist die Bebauung. Wir machen das Problem, durch die Art wie wir Städte verdichten, tendenziell schlimmer. Natürlich ist es teuer, Flächen offen zu lassen. Weitere Versiegelung oder die Zubauung von Kaltluftschneisen verstärkt das Problem aber. Selbst wenn wir es schaffen, den Klimawandel zu bremsen, müssen wir uns aber anpassen an die Auswirkungen, die jetzt schon im Klimasystem vorhanden sind. Wir müssen über Renaturierung und Wasserflächen in den Städten nachdenken, wir müssen Flächen wieder von Versiegelung freimachen. Das sind große planerische Herausforderungen. Dazu kommen gesellschaftliche Konflikte.
Welche?
Stellen Sie sich vor, man würde auf einer zweispurigen Straße in München einen Fahrstreifen einsparen, um zu begrünen. Der Protest wäre groß. Aber es gibt noch andere soziale Probleme. Bei starken Hitzewellen haben Menschen mit Vorerkrankungen oder Senioren ein viel höheres Gesundheitsrisiko. Häufig kommt noch Isolation oder Armut dazu. Viele können sich keine professionellen Beschattungen oder Klimaanlagen leisten.

Schnee auf Stromleitungen, Dürresommer - Wie groß ist das Risiko für Versorgungsengpässe?
Wie groß ist das Risiko für lange Stromausfälle oder Versorgungsengpässe?
Wir sind in Deutschland schon nicht so weit davon entfernt gewesen. Es gab im Norden bereits große Stromausfälle durch Schnee* auf Stromleitungen. Vor einigen Jahren hatten wir einen großen Dürresommer. Damals mussten schon einige Kraftwerke ihre Leistung drosseln, weil das Kühlwasser die ohnehin sehr warmen Gewässer weiter aufgeheizt hätte. Und es gab bereits Engpässe, weil Tanker auf dem Rhein wegen niedrigen Wasserständen nicht mehr fahren konnten.
Wie gut sind wir auf solche Szenarien vorbereitet?
Eine Untersuchung hat vor Kurzem ergeben, dass vor allem die jüngere Generation auf solche Krisen tendenziell eher schlecht vorbereitet ist – weil sie es für nicht nötig hält. Sie haben also beispielsweise keine Vorräte zu Hause oder kein altes Radio, das ohne Strom funktioniert.
Wie viel Zeit bleibt uns noch, um gegenzusteuern?
Nicht viel. Wenn wir nicht schnell eine effektive Kehrtwende schaffen, werden wir schon im Laufe dieses Jahrhunderts massive Folgen spüren. Wir werden in vielen Bereichen an die Grenzen der Anpassungsfähigkeit kommen. Uns muss klar sein: Wir stoßen jetzt Prozesse an, die für lange Zeit unumkehrbar sind.
Video: Schwere Unwetter in Bayern - Hochwasser in Franken
Auch Hof wurde von schweren Unwettern getroffen. Dort wurde zeitweise sogar der Katastrophenfall ausgerufen.
Extreme Wetterereigisse als „kollektive Warnsignale“?
Die Wissenschaft warnt schon lange. Glauben Sie noch daran, dass es rechtzeitig ein Umdenken geben wird?
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Vielleicht sind diese extremen Wetterereignisse, die wir nun erleben, auch kollektive Warnsignale, die gesehen und verstanden werden.
Wie viel kann jeder Einzelne bewirken?
Jeder kann etwas bewirken, zum Beispiel mit dem Konsumverhalten. Aber auch im Freundeskreis oder unter Kollegen. Man kann sich dafür einsetzen, dass Fahrzeugflotten, Kantinen oder Stromtarife umgestellt werden. Wir leben in einer Demokratie und können alle mitbestimmen, welche Themen auf die politische Agenda kommen – und wie sie umgesetzt werden. Das ist ja auch passiert. Der Klimaschutz ist ein Thema, das nicht mehr nur von einem Teil des politischen Spektrums gesehen wird.
Gibt es auch in Ihrem Leben Bereiche, für die Sie sich vorgenommen haben, umweltbewusster zu leben?
Wir Wissenschaftler sind viel unterwegs. Durch Corona haben wir alle gelernt, dass viele Reisen ersetzbar sind durch Online-Konferenzen. Es wäre schön, wenn wir das großteils beibehalten. *Merkur.de/bayern ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
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