Durchbruch gelungen? Bayerische Ärzte heilen weltweit ersten Long-Covid-Patienten

Ärzten aus Bayern ist möglicherweise ein Durchbruch gelungen: Sie heilten den weltweit ersten Patienten mit Long Covid. Nun soll eine Studie folgen.
Erlangen - „Weltweit erster Heilversuch eines Patienten mit Long-COVID-Syndrom an Erlanger Augenklinik erfolgreich durchgeführt.“ Diese Nachricht veröffentlichte die Uniklinik Erlangen in einer Pressemitteilung. Sie dürfte für viele Betroffene ein Hoffnungsschimmer sein. Dank eines Medikaments, welches ursprünglich zur Bekämpfung von Herzerkrankungen entwickelt wurde, ist es einem Ärzteteam der Augenklinik „im Rahmen eines individuellen Heilversuchs“ erstmals weiltweit gelungen, dass ein Mann (59) mit Long-Covid-Syndrom beschwerdefrei wurde, heißt es.
Corona-Durchbruch? Bayerische Ärzte heilen weltweit ersten Patienten von Long Covid
Ob der Wirkstoff BC 007 auch anderen Betroffenen hilft, soll bald in einer klinischen Studie untersucht werden. „Momentan können wir leider nicht mehr Menschen mit dem Medikament behandeln, da es noch nicht alle Zulassungsstudien durchlaufen hat“, wird Prof. Dr. Christian Mardin, leitender Oberarzt der Augenklinik, in der Pressemitteilung zitiert. Die Bilder der OCT-Angiografie zeigen demnach: Die Durchblutung der Netzhaut eines Patienten nach Corona-Infektion ist im Vergleich zu der eines Gesunden verringert.

Das Ärzteteam der Augenklinik sowie der Medizinischen Klinik 1 (Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie) und der Medizinischen Klinik 3 (Rheumatologie und Immunologie) des Uni-Klinikums Erlangen hatten im Rahmen der ReCOVer-Studie im Vorfeld bereits herausgefunden: „Wer eine COVID-19-Infektion hinter sich hat, bei dem ist die Durchblutung der Augen auch viele Monate später noch deutlich eingeschränkt. Hintergrundgedanke zu dem vorgenommenen Heilversuch war es, dass die veränderte Durchblutung sicherlich nicht auf das Auge begrenzt ist, sondern beispielhaft für den gesamten Körper gesehen werden kann“, heißt es in der Pressemitteilung.
Weltweit erster Long-Covid-Patient geheilt: Ärzte berichten
Im Blut von ehemaligen Corona-Patienten fanden die Ärzte gemeinsam mit einem langjährigen Kooperationspartner und ehemaligem Mitarbeiter des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin, Dr. Gerd Wallukat, Monate nach der Infektion bestimmte Eiweißstoffe. Mit diesen beschäftigen sie sich im Zusammenhang mit der Glaukom-Erkrankung (grüner Star) schon seit Jahren: Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. „Darunter ist zu verstehen, dass sich die per se gute Immunabwehr gegen den eigenen Körper richtet und Stoffe bildet, die schädlich sein können. Das bringt teils schwerwiegende Folgen mit sich“, so Dr. Dr. Bettina Hohberger, Fachärztin der Erlanger Augenklinik.
Wenn der Körper vermehrt Autoantikörper bildet, greifen diese möglicherweise unterschiedliche Körperstrukturen an. Das Team fand bei Blutuntersuchungen heraus, dass Patienten nach einer Covid-Infektion mehrere dieser Eiweißstoffe aufweisen. „Wir kennen einen dieser Autoantikörper bereits von der Glaukom-Erkrankung und wissen von seiner schlechten Wirkung auf die Augendurchblutung“, wird Dr. Hohberger zitiert.
Video: Immer mehr Menschen von Post-Covid-Syndrom betroffen
Medikament für Herzerkrankung: Patient in Bayern von Long Covid geheilt
Durch die langjährige Kooperation mit Dr. Wallukat hatte die Ophthalmologin (Ophthalmologie = Augenheilkunde) von einem Präparat erfahren, das diese schädlichen Autoantikörper bindet. Dadurch wäre es möglich, die Autoantikörper unschädlich zu machen und so möglicherweise die Durchblutungsstörungen zu verbessern. „Das Medikament wurde vor einigen Jahren speziell für Patienten mit einer schweren Herzerkrankung von Dr. Wallukat, seiner Kollegin Dr. Annekathrin Haberland und ehemaligen Herzchirurgen des Deutschen Herzzentrums Berlin in eine Zulassungsstudie gebracht“, heißt es weiter. „Ursprünglich wollte ich damit meinen Glaukom-Patienten helfen“, so Dr. Hohberger. „Als wir dann die Ergebnisse sahen, die aus Kooperationsprojekten zu Long COVID entstanden sind, waren es wie viele kleine Puzzlestücke, die für uns zusammenpassten. Es war durchaus denkbar, dass sich auch die Long-COVID-Symptomatik dadurch bessern könnte.“
Ein langjähriger, an Glaukom erkrankter Patient des Erlanger Glaukomregisters berichtete schließlich nach überstandener Corona-Infektion von seinen Long-Covid-Symptomen: Geschmacksverlust, Konzentrationsstörungen sowie Abgeschlagenheit. Diese würden ihn in seinem beruflichen und privaten Leben extrem einschränken. Das Team der Augenklinik wollte daraufhin helfen. Im Rahmen eines individuellen Heilversuchs mit dem Berliner Medikament BC 007 erhielt der 59-Jährige das Präparat per Infusion. Er blieb noch drei Tage stationär am Uni-Klinikum Erlangen.
Geschmacksverlust und Konzentrationsschwierigkeiten: Mann aus Bayern von Long Covid geheilt
„Bereits innerhalb weniger Stunden zeigte sich eine Besserung. Bei seiner Entlassung fühlte sich unser Patient schon deutlich erholter als vor der Verabreichung und seine Autoantikörperwerte bestätigten diesen Eindruck“, so das Ärzteteam. Auch die Konzentrationsschwierigkeiten verschwanden, die Leistungsfähigkeit des Mannes stieg an und der Geschmackssinn kehrte zurück. „Insgesamt hat sich die Durchblutung der Kapillaren, die wir am Auge messen können, deutlich verbessert.“ Das Team der Erlanger Augenklinik geht deshalb davon aus, dass die Long-Covid-Beschwerden des Mannes dank der verbesserten Durchblutung verschwunden sind.
Weiter heißt es in der Pressemitteilung: „In Zusammenarbeit mit der Intensivstation der Medizin 1, auf der seit dem Frühjahr 2020 auch Corona-Patienten behandelt werden, und der Medizin 3 untersuchte das Forschungsteam der Augenklinik die Durchblutung der kleinsten Gefäße, der Kapillaren, bei COVID-19-Patienten. Den Blutfluss machten sie mithilfe einer innovativen, schmerzfreien und nicht-invasiven Methode sichtbar: der OCT-Angiografie (optische Kohärenzangiografie). Nur im Auge und am Nagelfalz – dem Übergang zwischen Nagelbett und Finger – ist es möglich, den Blutfluss sichtbar zu machen, ohne beispielsweise Kontrastmittel zu injizieren.
Im Rahmen der klinischen Studie können die Augenärztinnen und -ärzte des Uni-Klinikums Erlangen diese Untersuchungsmethode seit 2020 gezielt Patientinnen und Patienten nach ihrer COVID-19-Infektion anbieten. Erste Auswertungen zeigen: Noch Monate nach der Erkrankung ist die Durchblutung innerhalb der Netzhaut deutlich eingeschränkt, auch wenn Betroffene keine Sehbeschwerden haben. Die klinische Studie mit Patienten nach einer COVID-19-Infektion wird weiterhin fortgeführt. Gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Erlanger Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin und dem Team um Dr. Wallukat werden nun gezielt Mechanismen untersucht, die zu der eingeschränkten Durchblutung führen können und den Wirkmechanismus des erfolgreichen Heilversuches erklären können.“ (kam)
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