„Mein Vater darf nicht umsonst gestorben sein!“

Münchsmünster - Wenn Christina L. (27) in das lachende Gesicht ihres Vaters auf dem Foto schaut, stehen ihr die Tränen in den Augen. Dreieinhalb Jahre ist es jetzt her, dass der Feuerwehrmann Josef L. (44) starb – bei einer Explosion im Chemiewerk Basell(Kreis Pfaffenhofen).
So lange schon hofft die junge Frau, dass das Unglück aufgeklärt wird. Doch jetzt hat die Staatsanwaltschaft Ingolstadt das Verfahren eingestellt! Christina L. ist verzweifelt: „Niemand kann mir meinen Vater wiederbringen. Aber es kann nicht sein, dass niemand für seinen Tod geradestehen muss. Mein Vater darf doch nicht umsonst gestorben sein!“

Der Tag des Infernos ist der 10. Dezember 2005, ein eiskalter Wintertag. Drei Arbeiter sind an einem Rohr beschäftigt, um eine Verstopfung zu lösen. Dabei vergessen sie offenbar, einen Schutzverschluss zu lösen. Hexan, ein hochentzündlicher Stoff, strömt aus.
Josef L. und Einsatzleiter Karl N. werden per Notruf aus der Messwarte informiert. Sie rasen los, werden von zwei Arbeitern bis direkt vor das Gebäude eingewiesen. Mitten in die Todeszone. Denn um 18.14 Uhr explodiert das Gas. Karl N. wird zu Boden gedrückt und leicht verletzt. Josef L. aber wird von einer gewaltigen Druckwelle viele Meter durch die Luft geschleudert. Er ist sofort tot. Insgesamt werden fünf Menschen verletzt.
Die Tochter des Feuerwehrmanns meint: Es gibt einige Menschen, die Schuld an dem Tod ihres Vaters tragen. Nicht nur die Männer, die vergaßen, das Rohr zu schließen. Da sind auch die Arbeiter, die bei der riesigen Menge an Hexan, das auslief – über 80.000 Liter –, keinen Katastrophenalarm auslösten. Da sind Verantwortliche, die, statt das Gebiet abzusperren und zu evakuieren, die Feuerwehrmänner mitten in den Gefahrenbereich schickten – „ein Himmelfahrtskommando“. Und da sind Menschen, die verantwortlich sind für einen verheerenden Fehler: An dem Tag war eine Gaswarnmeldeanlage offensichtlich ausgeschaltet – wegen vorangegangener Fehlalarme.

Erst vor Kurzem soll ein neues Gutachten von einem Bauoberrat des Landeskriminalamts an die Staatsanwaltschaft gegangen sein, das genau Christina L.’s Befürchtungen bestätigt: Dass die einweisenden Arbeiter ihren Vater in den Tod schickten. Darin heißt es laut Information der tz wörtlich: „Die falsche Aufstellung ist offenbar erfolgt, weil das Betriebspersonal das Feuerwehrfahrzeug (…) in den Gefahrenbereich ,eingewiesen‘ hat und die Feuerwehr in Unkenntnis der Ausdehnung des Gefahrenbereichs dieser Einweisung gefolgt ist.“ Aufgrund eines „Ausbildungsdefizits“ hätten die Arbeiter die Feuerwehrmänner an die falsche Position geführt.
Trotz dieses neuen Gutachtens wurden die Ermittlungen vergangene Woche eingestellt. Die ermittelnde Staatsanwältin ist versetzt worden, deshalb erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt Dr. Helmut Walter der tz die Gründe für den Stopp: „Man kann keiner einzelnen Person einen konkreten Vorwurf machen. Es trifft keinen so ein Verschulden, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn vorgehen kann.“
Für Christina L. ist das ein Irrsinn: „So ein Unfall kann doch nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Kleine Verbrecher kommen ins Gefängnis, doch hier, wo ein Mensch starb, und noch viel mehr sterben hätten können, passiert nichts?“ Zumal die Firma Basell planen soll, mit Hilfe eines Investors wieder eine Chemiefabrik in Münchsmünster zu bauen – womöglich unter den selben Sicherheitsbedingungen …
Oberstaatsanwalt Walter deutet zumindest an, dass mit diesen an jenem Dezembertag 2005 nicht alles in Ordnung war: Dass das Verfahren eingestellt ist, heiße ja nicht, „dass die Firma nicht innerbetrieblich etwas ändern muss“.
Andrea Stinglwagner