Mückenplage so schlimm wie nie

Grabenstätt - Wegen der Massen an Mücken, die zurzeit ihr stechendes Unwesen treiben, wurden schon Feste abgesagt. Alle Infos zur Invasion finden Sie hier.
Schon der schrille Ton macht jeden rasend. Dieses Sirren der Mücke und die Panik, wenn es plötzlich still ist. „Wo steckt das Mistviech bloß?“ Das nervt selbst den friedfertigen Dalai Lama. „Die erste puste ich weg, die zweite streiche ich weg, bei der dritten werde ich wütend und scheuche sie fort.“
Nur – so einfach wegscheuchen lassen sich die aggressiven Mücken nicht mehr, und erst recht nicht im heurigen feucht-schwülen Sommer, der ihnen auch dank Hochwassers perfekte Voraussetzungen zum Brüten geliefert hat. In Grabenstätt am Chiemsee etwa, wo wegen des Naturschutzes kein Mückenbekämpfungsmittel eingesetzt werden darf (siehe unten), trauen sich die Menschen kaum mehr vor die Tür. Herbert Lintz vom Campinplatz Sport-Ecke ist ernüchtert: „Die Zeltwiese ist relativ leer. Normalerweise wäre da jetzt kein Platz mehr zu bekommen. Doch wenn die Urlauber durch das Gras marschieren, scheucht’s die Schwärme nach oben und die Mücken überfallen die Leute von unten her.“ Vor einer Woche war es völlig irre: „Als die Leute die Autotür aufmachten, um sie wegen der zahllosen Mücken sofort wieder zu schließen und fluchtartig davonzufahren.“
Derzeit ist sein ganzer Campingplatz nur noch zu einem Drittel belegt. Trotz Hochsaison!
Die Leiterin des Pfarrkindergartens Dorothee Weiss sprach mit der Chiemgau-Zeitung über die Situation. „Für die Kleinen ist das übel.“ Sie dürften ohne Mückenmittel eigentlich gar nicht mehr in den Garten. Inzwischen belasten die Biester das ganze Gemeindeleben. Spaziergänge? Lieber Weglaufen. Sport im Freien? „Kein Spiel, kein Training, ohne dass wir total zerstochen heimkommen“, heißt es beim TSV.
Schon Zimmerlüften ist ein Risiko. „Daran ist nicht zu denken“, klagt eine Frau aus dem Ortsteil Marwang. Alles Aspekte, die Bürgermeister Georg Schützinger stöhnen lassen. Die Situation sei „fast unerträglich“, sagt er, und: „Es ist mir unverständlich, dass der Schutz der Natur vor dem des Menschen geht.“ Gemeint ist hier der verbotene Einsatz eines helfenden Streumittels. „Allerdings finden die Mücken derzeit überall perfekte Entfaltungsbedingungen vor.“Auch die Menschen an Starnberger- und Ammersee wurden in den letzten zwei Wochen überfallen.
Ein Klassenfest am Haarsee bei Weilheim musste an einen anderen Ort verlegt werden, weil es sonst nur ein Herumschlagen nach Mücken gegeben hätte. Und nicht nur auf dem Land, auch in den Städten werden die Menschen von den Plagegeistern gepiesackt. In Wolfratshausen gab es in einem Biergarten eine Invasion von Staunzn, dass die Gäste Reißaus nahmen, Jäger gehen dort derzeit gar nicht mehr in den Wald.
Immerhin gibt es auch Lichtblicke. Seebrucks Bürgermeister Konrad Glück: „Vorgestern konnten wir wenigstens nach dem Gemeinderat draußen sitzen.“
mc, ast
Wer ist schuld an diesem Sommer?
Das Gesundheitsamt warnt: Chiemgau wird Malaria-Gebiet
Kinder mit taubeneigroßen Schwellungen auf der Haut, Menschen, die schlaflose Nächte durchleiden: Die Mückenplage ist so schlimm, dass die Experten nun Alarm schlagen. Dr. Franz Xaver Heigenhauser, Leiter des Gesundheitsamtes Traunstein warnt: „Wenn der Klimawandel so weitergeht, dann wird das Chiemgau bald zum Malariagebiet. Die Mücken können wie in den Tropen irgendwann zudem auch Krankheiten wie das Dengue-Fieber übertragen.“
Heigenhauser erinnert an den vergangenen Herbst, als man im italienischen Ravenna ein Fieber feststellte, das bis dahin nur in den Tropen vorgekommen war. „Das kann bei diesen Mücken-massen auch bei uns vorkommen. Das schreitet fort – und die Mücken machen vor Landesgrenzen keinen Halt.“
Gegen die Insekten-Invasion helfe irgendwann nur noch wenig: „Man kann den Kindern ja nicht sagen, sie dürfen nicht mehr raus ins Freie.“ Der Experte plädiert aus diesem Grund nun dringend für den häufigeren Einsatz einer effektiven Mückenwaffe: des mit dem Hubschrauber verstreuten Bekämpfungsmittels BTI (Bacillus thurigiensis israelis, ein Bakterienstamm, der die Larven der Stechmücken vernichtet). „Das wird am Oberrhein schon seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt“, sagt Heigenhauser. Am Chiemsee aber darf es nur über genau definierten Überschwemmungsflächen ausgebracht werden – unter strengen Bestimmungen: Die Wasserpegel müssen einen bestimmten Stand erreicht haben, die Konzentration an Mückenlarven in Wasserproben muss einen gewissen Wert haben.
Doch das ist bei unserem momentanen Wetter ein Problem: Ständig wechseln starke Regenfälle mit viel Sonne und schwülem Tropenklima – beste Schlüpfbedingungen für die Mückenlarven, doch die Bekämpfer dürfen nicht ausrücken! Thomas Weimann vom Abwasserzweckverband Chiemsee (AZV) erklärt zudem: „Da eine Bekämpfungsaktion rund 75 000 Euro kostet, haben wir nur einen Schuss pro Saison und müssen uns sehr genau überlegen, wann wir das tun. Quasi mit jedem Starkregen kann es aber bis August zu neuen Mückenschüben kommen.“
Gegner der biologischen Mückenbekämpfung meinen, man solle nicht in den Lauf der Natur hineinpfuschen, sie reguliere sich selbst. Mit Stichen übersähte Mückenopfer sehen das allerdings anders.