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Experte klärt auf - Zeitumstellung 2021: „Dieser soziale Jetlag macht uns dicker, dümmer und depressiver“

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Von: Nina Praun

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Die Zeiger einer Uhr stehen auf 3 Uhr.
„Sozialer Jetlag schadet der Gesundheit“, sagt Till Roenneberg. © Friso Gentsch/dpa

Die Corona-Pandemie und die Zeitumstellung beeinflussen unsere Innere Uhr maßgeblich, sagt Professor Till Roenneberg. Als Chronobiologe warnt er vor dem „sozialen Jetlag“.

München - Till Roenneberg ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Chronobiologe und erforscht etwa den Einfluss des Lichts auf den Tagesrhythmus des Menschen. Wir haben mit ihm über die Innere Uhr, den „sozialen Jetlag“ und die Uhrenumstellung in der Pandemie* gesprochen.

Till Roenneberg ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Till Roenneberg ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. © Privat

Herr Roenneberg, was macht die „Innere Uhr“?

Roenneberg: Die Innere Uhr ist die innere Repräsentation des Zeitraums „Tag“, dem 24-Stunden-Ablauf von hell und dunkel, ein biochemischer Prozess, der sich in Zellen abspielt. Jede Zelle in uns hat ihre eigene Innere Uhr, und dieser Uhrenladen ist individuell auf den persönlichen Tag-Nacht-Rhythmus eingestellt.

Bestimmt sie, welcher Chronotyp ich bin, also Früh- oder Spätaufsteher?

Roenneberg: Grundsätzlich ja - aber eigentlich gibt es keine klaren Typen, keine Kategorien. Es ist eher eine Glockenkurve: Von den extremen Frühaufstehern gibt es sehr wenige, im mittleren Bereich werden es immer mehr, und dann gibt es wieder wenige Menschen, die extrem spät ins Bett gehen.

Wie groß ist der Zeitunterschied zwischen den ganz frühen und ganz späten Typen?

Roenneberg: In unserer urbanisierten Gesellschaft? Zwölf Stunden. Denn unsere Innere Uhr ist auch davon abhängig, wie stark der Unterschied zwischen Licht und Dunkel ist. Bei jemandem, der im Büro arbeitet, ist die Lichtintensität tagsüber und abends recht ähnlich. Diese Licht- und Dunkelheit-Schwäche führt dazu, dass die Innere Uhr früher oder später werden muss, damit sie richtig geht.

Nun zur Zeitumstellung…

Roenneberg: Achtung! Die Zeit wird nicht umgestellt - nur die Uhren.

Okay, die Uhrenumstellung. Stört sie uns überhaupt noch?

Roenneberg: Ja, sehr. Wir haben ein Merkmal in die Welt gerufen, das „Social Jetlag“ heißt - er beschreibt die Diskrepanz zwischen dem, was die Innere Uhr will, und dem, was die soziale Uhr will. Die Literatur dazu explodiert gerade, und alle Studien zeigen, dass Social Jetlag Folgen für die Gesundheit hat. Durch diesen sozialen Jetlag wird man dicker, dümmer und depressiver. Nicht plötzlich, wie ein Beinbruch, aber wir alle kennen das: Wenn wir mal ein paar Tage lang nicht mit dem Wecker aufstehen müssen, sondern ausschlafen können, dann sind wir tagsüber ein bisschen fröhlicher, haben mehr Energie, bekommen eben keinen Schnupfen. Und wir können besser Kopfrechnen!

Bezieht sich der „Social Jetlag“ nur auf die Sommerzeit oder auf den gesamten Alltag?

Roenneberg: Er bezieht sich auf jede Art von „Missmatch“, also dem Missverhältnis zwischen dem, was meine Innere Uhr will, und dem, was mein Arbeitgeber oder die Schule oder die Gesellschaft will. Aber dadurch, dass wir ab Ende März plötzlich eine Stunde früher aufstehen müssen, erhöhen wir diesen „Missmatch“ noch - über die gesamten sieben Monate hinweg.

Viele Leute beschweren sich darüber, dass sie durch die Pandemie ihr Zeitgefühl verloren haben, dass sie etwa den Überblick über die Wochentage verlieren.

Roenneberg: Ja, das ist tatsächlich so, dazu haben wir auch eine Arbeit veröffentlicht. Der Lockdown hat dazu geführt, dass man bei vielen Menschen am Schlafverhalten kaum noch Wochentage und Wochenenden unterscheiden kann, während es vor dem Lockdown*, gerade bei Spätaufstehern, große Unterschiede zwischen Wochenenden und Arbeitstagen gab.

Das heißt, eigentlich sollte man sich nicht darüber beschweren, dass sich alles gleich anfühlt, weil das eine gute Entwicklung ist?

Roenneberg: Nein, das ist leider komplizierter, denn unser Gehirn mag es eigentlich ganz gerne, wenn es ein bisschen Abwechslung hat. Aber: Der soziale Jetlag ist zurückgegangen, die Schlafdauer hat zugenommen. Wir haben in der Pandemie entdeckt, dass wir sehr viel gesünder leben können, weil wir nicht dauernd in der Früh irgendwo sein müssen.

Wird uns die Umstellung dieses Jahr dann wegen dem verlorenen Zeitgefühl weniger ausmachen?

Roenneberg: Nun, das „Zeitgefühl“ hat mit der Uhrenumstellung nicht so viel zu tun - aber die Tatsache, dass wir durch das Homeoffice flexibler arbeiten können, schon.

Man könnte also dieses Jahr gegen die Umstellung rebellieren und sagen: Dann sitze ich eben erst eine Stunde später vorm Computer?

Roenneberg: Das ist eine großartige Idee. In diesen flexiblen Zeiten können wir Arbeits- und Besprechungszeiten demokratischer vereinbaren - und nicht mehr einfach einem Diktat folgen.

Nur die Kinder müssen weiter um acht Uhr, also eigentlich um sieben Uhr, in die Schule…

Roenneberg: Ja, da ist natürlich ein Problem. Die Kinder werden auch dieses Jahr wieder unter der Uhrenumstellung leiden. Dagegen sollten ihre Eltern protestieren.

Interview: Nina Praun

*Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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