Interview: Darum fährt Bestsellerautor Pfarrer Rainer Maria Schießler zum Schreiben ins Ötztal
Ob Sie dieses Jahr auf der Wiesn wieder eine Maß mit ihm trinken können und warum man als Geistlicher Fußballfan sein muss, verrät der Kult-Pfarrer aus München im Exklusiv-Interview.
Am Wochenende feierten zahlreiche Menschen den Auftakt des Oktoberfests 2023. Im Vorjahr hat Pfarrer Rainer Maria Schießler aus München das Buch „Wiesn-Glück: Eine Liebeserklärung“ im Droemer Knaur Verlag veröffentlicht. Darin schildert er seine Erfahrungen als Wiesn-Bedienung. Im Interview mit IPPEN.MEDIA verrät er, wie er mit Schreibblockaden umgeht, welche Bücher er selber gerne liest und welche Wiesn-Geschichte ihm besonders in Erinnerung geblieben ist.

Herr Schießler, erzählen Sie doch einmal eine kleine, schöne Anekdote aus Ihrer Zeit als Wiesn-Bedienung.
Ich war damals Gartenbedienung und wir hatten draußen eine Ecke, wo wir unser Geschirr und die Besteckkübel verstaut haben. Auf einmal kommt jemand aus dem Zelt heraus. Er hatte vom Alkohol leuchtende Augen und bittet uns um eine gebrauchte Gabel. ‚Warum denn eine gebrauchte? Nimm halt eine neue.’ ‚Nein, gib mir eine gebrauchte.‘ Irgendwann habe ich mir gesagt, gib ihm eine gebrauchte, sonst gibt er gar keine Ruhe. Er nimmt die gebrauchte Gabel, fängt an sich zu kämmen und sagt: ‚So, jetzt sitzt es wieder‘, und geht wieder ins Zelt. Wir sind dagestanden und waren völlig baff. Das ist für mich Wiesn.
Sieht man Sie dieses Jahr auch wieder auf der Wiesn?
Ja, aber nur als Gast. Jedes Jahr fragt mich der Wirt vom Schottenhamel-Zelt, ob ich nicht wieder Lust zu bedienen hätte und wenn ich „Let me entertain you“ von Robbie Williams im Radio höre, juckt es mir schon wieder in den Fingern. Der Song wurde im Zelt bei jedem Reservierungswechsel gespielt. Aber die Zeiten sind vorbei. Heuer gehe ich mit meiner VIP-Karte auf die Wiesn und feiere ein bisschen mit Freunden und Bekannten. Aber auf den Bänken tanze ich nicht mehr. Solange man ein Teil von dem ganzen Betrieb war, ging das. Dennoch liebe ich die Wiesn genauso ungebrochen wie damals.
Wenn Sie nicht mehr auf die Wiesn gehen, bleibt Ihnen mehr Zeit zum Schreiben. Wo haben Sie das Wiesnbuch geschrieben?
Dafür bin ich zu meinen Freunden ins Ötztal gefahren. Ich brauche ein Zimmer, WLAN, eine Kaffeemaschine. In drei Tagen war das Buch fertig.
Ein Buch in drei Tagen? Das ist unglaublich – Kennen Sie dann überhaupt so etwas wie Schreibblockaden?
Absolut. Ich stecke mittendrin. Es sind keine Schreibblockaden in dem Sinne, dass ich nicht wüsste, was ich schreiben soll. Ich brauche jetzt diesen berühmten Tritt in den Hintern.
Vielleicht sollten Sie wieder zum Schreiben ins Ötztal fahren.
Es ist eigentlich wurscht, wo der Raum ist. Solange die Atmosphäre stimmt und ich mit dem Buch, das entstehen soll, eins werden kann. Im Büro kann ich allerdings nicht schreiben. Da ist einfach zu viel Ablenkung, wenn ständig das Telefon klingelt.
Woran schreiben Sie momentan?
Das Buch heißt „Heiliger Rasen“. Darin geht es um die Europameisterschaft 2024, besonders um die Verbindung von Fußball und Religion. Aber es werden auch wieder autobiografische Elemente zu lesen sein.
Was hat Religion mit Fußball zu tun?
Begeisterung. Dank der neuen Kameratechnik kommt man ganz nah an die Menschen heran und sieht, wie sie bei einem Elfmeter bibbern. Die ganzen Emotionen, wie die Fans leiden oder sich freuen. Ich bin Löwenfan – zwar kein fanatischer, aber wenn ich in der Öffentlichkeit sage, ich bin Löwen- und kein Bayernfan, hat das schon Außenwirkung. Es ist aber nicht so, dass ich die Bayern nicht mögen würde. Wenn man guten Fußball sehen will, dann muss man zu den Bayern gehen.
Also kann man Löwen-Fan sein und trotzdem die Bayern nicht verteufeln?
Und sogar einen Philipp Lahm verheiraten, oder Mats Hummels’ Baby Ludwig taufen. Ich gebe das offen zu und bediene mich auch dessen. So kann ich mich, also nicht mich als Person, sondern die Kirche, für die ich unterwegs bin, interessanter machen. Dann habe ich schon mal die Fußballfans, die mich lieben – und die könnten dann ja auch mal in die Kirche gehen.
Der Papst ist ja auch Fußballfan.
Ja, das muss er sein. Wenn ich Papst bin und Fußball interessiert mich nicht, oder wie mein Vater gesagt hat ‚das ist ein blöder Sport‘ dann hat man schon viele Sympathien verloren.
Kommen wir zurück zum Thema Bücher: Sie sind nicht nur Autor, sondern auch Leser: Welches Buch, abgesehen von der Bibel, sollte man unbedingt lesen?
Bücher zu empfehlen ist genauso schwierig wie Reisen oder Filme.
Welches war denn das Buch, das Sie zuletzt besonders begeistert hat?
Ich bin ein wahnsinniger Fan von Reinhold Stecher, nicht nur als Geistlicher, sondern auch als Mensch. Er war Bischof in Innsbruck, ein ganz normaler Tiroler, der im Krieg einiges erlebt hat. Wenn man seine Biografie einmal gelesen hat, stellt man fest: er war auch ein begeisterter Bergsteiger. Das ist eine Welt, die mich fasziniert.
Gibt es bestimmte Genres, die Sie bevorzugen?
Ich liebe Biografien. Ich bin gefesselt davon, wie sich das Leben von Menschen entwickelt. Die Biografie von Hillary Clinton habe ich vor vielen Jahren gelesen. Das war ein dicker Wälzer. Eigentlich habe ich immer ein bisschen Scheu vor dicken Büchern, weil die so schwer sind. Aber dieses Buch habe ich verstanden. Dann bin ich über Gabriella Baumann-von Arx an Lotti Latrous hingeführt worden, die in der Elfenbeinküste das Zentrum der Hoffnung aufgebaut hat.
Gibt es Bücher, um die Sie einen Bogen machen?
Was ich überhaupt nicht gerne lese, ist Science-Fiction. Ich brauche keine Scheinwelten – mit der realen Welt bin ich schon genug beschäftigt.
Wenn Sie gerne Geschichten aus Bayern lesen, sollten Sie sich die Eberhofer-Krimis von Rita Falk nicht entgehen lassen. Weitere Buchtipps zur Wiesn gibt es hier.
Autor
Rainer Maria Schießler ist ein echtes Münchner Kindl. 1960 in der bayerischen Landeshauptstadt geboren, wurde er 1987 in Freising zum Priester geweiht. 2006 bis 2012 arbeitete Schießler jedes Jahr im Schottenhamel-Zelt auf dem Oktoberfest als Bedienung. Das dort verdiente Geld spendete er für wohltätige Zwecke. 2016 erschien sein literarisches Debüt „Himmel, Herrgott, Sakrament. Auftreten statt austreten“ im Kösel-Verlag. In seiner Gemeinde St. Maximilian im Glockenbachviertel ist er unter anderem für die „Viecherl-Messe“, bei der er Tieren Segen spendet, bekannt.