Aortenaneurysma: Die Bombe im Bauch

Im Rahmen der tz-Serie über Spitzenmedizin in München erklärt Professor Hans-Henning Eckstein, warum das Aortenaneurysma häufig lebensgefährlich ist und wie man die Patienten mit einem High-Tech-Eingriff retten kann.
Amerikanische Ärzte sprechen vom „silent killer“, der seine Opfer schleichend und praktisch geräuschlos umbringt. Unter deutschen Spezialisten hat sich eine ähnlich furchteinflößende Umschreibung durchgesetzt: die Bombe im Bauch. Beide Begriffe stehen für eine der tückischsten Gefäßerkrankungen überhaupt: das Aortenaneurysma. Im Rahmen der neuen tz-Serie über Spitzenmedizin in München erklärt Professor Hans-Henning Eckstein, warum dieses Leiden häufig lebensgefährlich ist und wie man die Patienten mit einem High-Tech-Eingriff retten kann.
Beim Aortenaneurysma vergrößert sich die Hauptschlagader immer mehr, am häufigsten im Bereich der Bauchaorta. „Auf dem Röntgenbild erinnert ihre Form an einen Ballon oder an einen Sack. In besonders schlimmen Fällen beträgt der Durchmesser schon mal mehr als acht Zentimeter“, berichtet der erfahrene Chef der Gefäßchirurgie am Klinikum rechts der Isar.
Die Wissenschaft weiß heute, dass sich Aneurysmen in Folge von chronischen Entzündungen in der Gefäßwand entwickeln. Die Erkrankungen treten im Regelfall erst im fortgeschrittenen Alter auf, die meisten Patienten sind jenseits der 60. Aneurysmen werden aber auch von Risikofaktoren gefördert – der schlimmste ist Rauchen, aber auch ungesunde Ernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel und Herzkreislaufprobleme können die Entstehung vorantreiben.
Der Patient bemerkt diese Entwicklung so gut wie nie, sie verursacht in der Regel keine Schmerzen. Aber wenn das stark erweiterte Blutgefäß dem Druck nicht mehr standhalten kann und scheinbar urplötzlich platzt, kommt meistens jede Hilfe zu spät. Eckstein: „Der Riss eines Aortenaneurysmas endet in 90 Prozent aller Fälle tödlich. Der Patient wird sehr schnell bewusstlos und verblutet innerlich.“ So sterben in Deutschland jedes Jahr mindestens 10 000 Menschen.
Dabei könnten viele noch leben. Denn die „Bombe im Bauch“ lässt sich mit einer einfachen Ultraschalluntersuchung feststellen. „Leider wird diese Sonografie viel zu selten gemacht“, beklagt Eckstein. Nach wie vor müssen Patienten selbst zahlen – die Sonografie der Bauchaorta ist eine Individuelle Gesundheitsleistung (IGEL).
„Das ist eine Schwachstelle in unserem Vorsorge-System“, kritisiert Eckstein. Er plädiert für ein flächendeckendes Screening-Programm – ähnlich wie bei der Mammografie, der Röntgenuntersuchung der Brust: „Alle Männer ab 65 sollten zu einer Ultraschalluntersuchung der Bauchschlagader eingeladen werden – sie haben das höchste Risiko, an einem Aneurysma zu erkranken. Aber es kann auch Frauen treffen, insbesondere wenn sie rauchen oder an einer Herzkreislauferkrankung leiden. Wenn jemand in der Familie an einem Bauchaortenaneurysma erkrankt ist, muss man sich unbedingt sonografieren lassen.“ In England gibt es bereits ein entsprechendes Screening-Gesetz für die Bauchschlagader. „Die Kosten sind überschaubar. Wir reden von höchstens 25 Euro pro Ultraschallbild“, argumentiert Eckstein.
Je mehr das Bauchaortenaneurysma wächst, desto gefährlicher wird es. Ab einem Durchmesser von vier Zentimetern bei Frauen und fünf Zentimetern bei Männern steigt das Rupturrisiko steil an – also die Wahrscheinlichkeit, dass der Gefäßsack reißt. Eckstein: „Bei einem Durchmesser von acht Zentimetern liegt dieses Risiko bei über 50 Prozent.“
Unser Experte
Professor Hans-Henning Eckstein (57) – hier mit einer Stent-Prothese – engagiert sich seit vielen Jahren für eine bessere Gesundheitsvorsorge im Bereich der Blutgefäße, unter anderem als früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG). Der dreifache Familienvater stammt aus Goslar im Harz, arbeitete früher in Heidelberg und als Chefarzt in Ludwigsburg. Vor acht Jahren übernahm Eckstein die Leitung der Gefäßchirurgie am Klinikum rechts der Isar. Allein an der Aorta operiert sein erfahrenes Spezialisten-Team pro Jahr etwa 200 Patienten.
Die fünf Gesundheitstipps von Prof. Eckstein
1. ) Lassen Sie Ihre Halsschlagader ab dem 60. Lebensjahr regelmäßig sonografieren – vor allem dann, wenn Sie an Durchblutungsstörungen in den Beinen oder an einer koronaren Herzerkrankung leiden. Bei der Ultraschalluntersuchung lässt sich eine Verengung der Halsschlagader feststellen. Diese sogenannte Carotisstenose kann einen Schlaganfall verursachen. Zur Risko-Einschätzung: Von den circa 250 000 Schlaganfällen, die jährlich in Deutschland passieren, hängen circa 30 000 mit einer Carotisstenose zusammen.
2.) Menschen ab 60 sollten regelmäßig eine Blutdruckmessung am Bein vornehmen lassen. Diese Untersuchung kann Hinweise auf lebensgefährliche Erkrankungen an den Schlagadern geben. Studien belegen, dass Patienten mit Durchblutungsstörungen der Beine früher sterben.
3.) Rauchen ist der Gefäßkiller Nummer eins. Es lohnt sich, damit aufzuhören: Denn Ex-Raucher haben nach einigen Jahren Abstinenz wieder ein wesentlich geringeres Risiko von Gefäßerkrankungen.
4.) Wenn Sie an Durchblutungsstörungen leiden, sind zwei Medikamente Pflicht: Aspirin und Statine. Letztere sind Fettsenker, sie hemmen das Wachstum der Plaques an den Gefäßwänden, die Herzinfarkte und Schlaganfälle auslösen können.
5.) Ernähren Sie sich mediterran. Essen Sie zum Beispiel zwei Mal in der Woche Fisch, etwa Lachs, Thunfisch, Hering, Sardinen oder Makrelen. Sie enthalten Omega-3-Fettsäuren, die nachweislich die Blutgefäße schützen. Ebenso wichtig ist regelmäßige Bewegung. Wer mindestens drei Mal in der Woche eine halbe Stunde Sport macht, der bremst das Altern seiner Gefäße
So funktioniert der Eingriff
Wenn das Bauchaortenaneurysma rechtzeitig erkannt wird, können es die Gefäßchirurgen sehr effektiv behandeln – und häufig auch viel schonender als noch vor einigen Jahren: „Wir nehmen inzwischen weit über 70 Prozent der Eingriffe minimalinvasiv nach der sogenannten Schlüssellochmethode vor“, berichtet Professor Hans-Henning Eckstein. Der internationale Fachbegriff für das Verfahren heißt EVAR – eine englische Abkürzung für „endovascular aneurysm repair“. Darunter verstehen die Spezialisten den Einbau einer Stent-Prothese mit Hilfe eines Katheters.
Die Operateure punktieren zunächst die Leistenarterie, das heißt: Sie stechen ein kleines Loch hinein. Dann schieben sie den Katheter – das ist ein dünner ummantelter Spezialdraht – durch die Arterie bis in die Hauptschlagader.
An der Spitze des Katheters befindet sich eine Gefäßstütze, die sich auf Minigröße zusammenfalten lässt. Diese so genannte Stent-Prothese besteht – anders als beispielsweise ein metallischer Stent für die Herzkranzgefäße – aus einem elastischen Kunststoff. Sie wird mit Hilfe eines Röntgen-Gerätes genau an der defekten Stelle positioniert. Wenn der Operateur den Katheter-Draht zurückzieht, klappt sich die Stent-Prothese praktisch von selbst aus und verkeilt sich in der Aorta. An den beiden Enden lässt sich die Stent-Prothese zusätzlich mit kleinen Häkchen in der Aorta verankern. Nun kann das Blut nicht mehr in die ballonartige Erweiterung fließen, das Aneurysma wird praktisch vom Blut-Nachschub abgeschnitten.
Ein solcher Eingriff dauert durchschnittlich eineinhalb Stunden, der Patient muss maximal fünf Tage in der Klinik bleiben. „Dieses Verfahren ist für den Patienten weniger belastend als eine offene Operation. Der Blutverlust ist wesentlich geringer, außerdem ist das Risiko von Herzkreislauf-Komplikationen kleiner“, weiß Eckstein. Für eine herkömmliche OP brauchen die Gefäßchirurgen in der Regel zwei Stunden, und die Patienten müssen etwa acht bis zehn Tage in der Klinik bleiben.
Allerdings sind die per Schlüssellochtechnik eingesetzten Stent-Prothesen auch etwas störanfälliger als Gefäßstützen, die der Chirurg in einer klassischen Operation vernäht hat. „Es kann schon mal vorkommen, dass eine Stent-Prothese nicht auf Dauer hundertprozentig dicht bleibt. Statistisch gesehen passiert das in etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle“, sagt Eckstein. Deshalb seien regelmäßige Kontrolluntersuchungen wichtig, der Patient muss nach seiner Operation zunächst einmal im Jahr in der Klinik vorbeikommen, später nur noch alle zwei Jahre.
Andreas Beez