Herzinfarkt auf der Autobahn? Patient schildert sein Erlebnis

Albtraum Herzinfarkt: Es gibt, abgesehen von Schlaganfall und Krebs, keinen medizinischen Notfall, der so gefürchtet wird. Ein Patient erzählt seine Geschichte.
Pro Jahr erwischt es rund 220 000 Menschen, etwa 50 000 Betroffene sterben, fast jeder vierte Herzinfarkt endet also tödlich. Oliver Gaw (52) aus Türkheim im Unterallgäu hat den GAU im menschlichen Maschinenraum gleich zweimal überlebt – obwohl er denkbar schlechte Voraussetzungen hatte.
Beim zweiten Mal erlitt er ausgerechnet im Auto einen schweren Hinterwandinfarkt. Noch dazu wartete Gaw zunächst vergeblich auf Hilfe. Etliche Augenzeugen ließen ihn einfach am Straßenrand liegen.
Patient Oliver Gaw schildert Herzinfarkt-Erlebnis
Seine Erlebnisse hat der Vater eines 18-jährigen Sohnes zunächst in einem Internet-Blog und später in einem Buch verarbeitet. „Es ist ein eindrucksvoller Erfahrungsbericht – vor allem deshalb, weil er auch Einblicke in die seelischen Folgen eines Herzinfarkts bietet“, kommentiert Professor Dr. Heribert Schunkert, Chefkardiologe des Deutschen Herzzentrums München und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung.
Er konnte Gaw für eine Patienten-Infoveranstaltung mit Autorenlesung gewinnen. Sie beginnt am morgigen Donnerstag um 18 Uhr in der Aula des Herzzentrums in der Lazarettstraße (Eintritt frei). Neustart. Ein Herzinfarkt kann das Ende sein – oder der Anfang. Passend zu diesem Buchtitel schildert Gaw im großen tz-Report seine dramatische Rettung und die Veränderungen in seinem Leben. Dazu erklärt Professor Schunkert, wie man einen Herzinfarkt erkennt und im Ernstfall richtig handelt.
"Als würde mir jemand in die Brust treten"
„Die Schmerzen fühlten sich brutal an – so, als ob mir jemand mit dem Stiefelabsatz in die Brust treten würde“, erinnert sich Oliver Gaw an den Tag, der zu einem Wendepunkt in seinem Leben werden sollte. Es war ein gewöhnlicher Alltagsabend. Genauer gesagt Donnerstag, der 28. Juli 2011: Gegen 18.10 Uhr ist der Außendienstler im Druckereiwesen auf der Lindauer Autobahn unterwegs. Er freut sich auf den Feierabend und die Familie daheim in Türkheim im Unterallgäu. Gaw ruft noch schnell seine Chefin an, um ihr von dem Kundentermin zu berichten, den er gerade in München wahrgenommen hat.
Plötzlich wird ihm schlecht, der Schweiß rinnt ihm von der Stirn, er muss auflegen. Mit letzter Kraft steuert Gaw sein Auto in die Ausfahrt Schöffelding, bringt es an einer Bushaltestelle zum Stehen. Er stößt die Tür auf, taumelt aus dem Wagen, sackt vor dem Wartehäuschen zusammen. In Todesangst kniet der damals 47-Jährige auf der Erde, ringt nach Luft. Doch keiner hält an, um ihm zu helfen – im Gegenteil: „An dieser Stelle ist die Straße recht schmal. Manche sind sogar extra noch einen Bogen gefahren.“
In seiner Verzweiflung und Benommenheit handelt Gaw irrational. Er schleppt sich zurück in sein Auto, fährt wieder auf die Autobahn in Richtung Heimat. Gaw wählt nicht den Notruf, sondern die Kurzwahlnummer seiner Frau: „Komm’ zum Park-und-Ride-Parkplatz Landsberg Ost – schnell.“ Irgendwie schafft er es, unfallfrei dorthin zu gelangen. Seine Frau nimmt ihn in Empfang, rast mit ihrem Mann ins nahe Landsberger Krankenhaus.
Diagnose: Herzinfarkt
Es folgt ein Untersuchungsmarathon, an dessen Ende für Gaw eine schockierende Diagnose steht: Es war bereits sein zweiter Herzinfarkt. „Offenbar muss ich unbemerkt schon mal einen Infarkt gehabt haben – und dabei ist viel Herzmuskelgewebe zerstört worden.“ Gaw wurde ins Uniklinikum Großhadern verlegt, musste sich dort einer Bypass- Operation unterziehen und schwebte nach Komplikationen mehrfach in Lebensgefahr. Ausgelöst durch Vorhofflimmern, einer Form von Herzrhythmusstörungen.
Die Grenzerfahrung und die Folgen haben den reflektierten Menschen dazu gebracht, sein Leben radikal zu ändern. Dabei spielte auch ein Besuch seines damals 13-jährigen Sohnes Lucas am Krankenbett eine große Rolle. „Er war schockiert, als er mich sah – und stellte nur eine Frage: ,Papa, hättest du tot sein können?‘“ Als Gaw die Frage bejahte, brach sein Sohn in Tränen aus. „Ich versuchte, ihn zu trösten und sagte: ,Aber ich bin nicht tot. Und ich werde gesund. Gesünder als früher. Das verspreche ich dir‘.“
Umstellung der Lebensgewohnheiten
Seit diesem Gespräch arbeitet Gaw nachhaltig daran, sein Versprechen einzulösen. „Das ist mir anfangs alles andere als leicht gefallen, denn eigentlich bin ich ein Couch-Potato.“ So nennt man jemanden, der Sport eher passiv im Fernsehen genießt. Doch inzwischen geht Gaw jeden zweiten Tag etwa eine Stunde lang radeln und regelmäßig mit seinem Hund spazieren. Wenn er mit dem Auto zu Kundenterminen unterwegs ist, verkneift er sich Fastfood wie Hamburger oder Pizza, zu Hause wird jetzt möglichst oft frisch gekocht – mit viel Gemüse und weniger Fleisch.
Er nimmt keinen Zucker mehr in seinen Kaffee, hält sich beim Naschen von Süßigkeiten zurück. Auf die Zigarren, die er früher ab und zu geraucht hat, verzichtet er jetzt ganz und achtet darauf, dass er sich Wein oder Bier nur in Maßen gönnt. „Man muss ja nicht immer das ganz große Rad drehen“, sagt Gaw. „Es helfen auch viele kleinere Schritte.“
Eine neue Chance
Das Ergebnis kann sich sehen lassen – auch, was die Figur angeht: Inzwischen wiegt der 1,88 Meter große Mann noch 93 Kilo – 13 Kilo weniger als zum Zeitpunkt seines Herzinfarkts. Und die regelmäßigen Kontroll- Untersuchungen belegen, dass sich sein Herz gut erholt hat.
Man sieht es ihm an – was auch Herzspezialist Schunkert bestätigt: „Herr Gaw ist ein Paradebeispiel dafür, dass es sich lohnt, eingefahrene Lebensgewohnheiten zu hinterfragen und zu verändern.“
Wie man im Notfall richtig handelt
Wenn es um Herzleiden geht, ist der Begriff Volkskrankheit alles andere als übertrieben: Allein 2015 sind mehr als 1,6 Millionen Bundesbürger wegen diverser Herzerkrankungen in Kliniken eingeliefert worden – das geht aus dem aktuellen Deutschen Herzbericht hervor, den die Herzstiftung in Zusammenarbeit mit den ärztlichen Fachgesellschaften herausgibt. Der Herzinfarkt gehört dabei zu den meistgefürchteten Notfällen.
„Wenn der Verdacht auf einen Herzinfarkt besteht, dann sollte man entschlossen handeln. Das bedeutet: sofort eine Klinik aufsuchen, am besten mit einer Brustschmerzambulanz, einer sogenannten Chestpain-Unit. Falls die Beschwerden bereits zu stark sind, wählt man den Notruf 112 – lieber einmal zu viel als zu wenig“, betont Professor Dr. Heribert Schunkert im Gespräch mit der Redaktion.
Aber wie erkennt man einen Herzinfarkt?
Die häufigsten Alarmzeichen hat die Herzstiftung in einer Symptom-Checkliste zusammengestellt:
- Schwere, länger als fünf Minuten anhaltende Schmerzen im Brustkorb, die in Arme, Schulterblätter, Hals, Kiefer ausstrahlen können oder im Oberbauch lokalisiert sind.
- Starkes Engegefühl, heftiger Druck, Brennen im Brustkorb, Atemnot; zusätzlich: Übelkeit, Brechreiz, Angst
- Schwächegefühl (auch ohne Schmerzen), eventuell Bewusstlosigkeit.
- Blasse, fahle Gesichtsfarbe, kalter Schweiß können Anzeichen für einen Herzinfarkt sein.
- Nächtliches Erwachen mit Schmerzen im Brustkorb ist ein besonderes Alarmzeichen.
- Bei Frauen sind Atemnot, Übelkeit, Rückenschmerzen, Schmerzen im Oberbauch, Brechreiz und Erbrechen häufiger als bei Männern alleinige Alarmzeichen.
- Wenn Brustschmerzen bei minimaler Belastung oder in Ruhe auftreten, muss genauso schnell wie beim Herzinfarkt gehandelt werden.
„Ein Herzinfarkt kann aber auch sehr tückisch sein“, erläutert Prof. Schunkert. „Manchmal sind die Herzkranzgefäße bereits seit Wochen oder gar Monaten verschlossen, ohne dass der Patient heftige Symptome bemerkt beziehungsweise diese Alarmsignale klar zuordnen kann.“ So war es auch bei Oliver Gaw, der gar nichts von seinem ersten Herzinfarkt wusste.
Besonders hellhörig sollte man beispielsweise dann werden, wenn Luftnot oder Brustenge öfter vorübergehend für ein paar Minuten auftreten – und dann wieder nachlassen. „Dieses Krankheitsbild nennen wir Ärzte Angina pectoris, welche meist bei körperlicher Belastung auftritt“, erklärt Prof. Schunkert. „Treten die Beschwerden neu auf, ist es sogar eine instabile Angina pectoris“. Auch dann gilt: schnellstens zum Arzt gehen!
Von Andreas Beez