Hightech gegen den Brustkrebs

In der neuen Serie Spitzenmedizin in München berichtet die tz über innovative Therapien und OP-Verfahren, über hochwirksame Medikamente und wissenschaftliche Erkenntnisse. Heute geht es um den Kampf gegen Brustkrebs.
Mammografie schon ab 40!
Die Albtraum-Diagnose Brustkrebs trifft immer mehr Frauen: Nach Berechnungen des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) gab es im vergangenen Jahr so viele Neuerkrankungen wie nie zuvor! Zwar liegt für 2012 noch keine genaue Statistik vor. Aber in ihrer jüngsten Prognose gehen die RKI-Experten bereits von ungefähr 74 500 Fällen aus. Inzwischen erkrankt in Deutschland jede achte Frau an Brustkrebs. Das Mammakarzinom ist zur Volkskrankheit geworden.
Im Rahmen der neuen tz-Serie Spitzenmedizin in München analysiert Professorin Marion Kiechle die besorgniserregende Entwicklung. Kiechle, die zu den renommiertesten Brustkrebsexperten zählt, leitet die Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Hier werden jährlich etwa 6000 Patientinnen stationär und 12 000 ambulant behandelt. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Warum erkranken immer mehr mehr Frauen? Für diesen Trend gibt es bislang noch keine eindeutige wissenschaftliche Erklärung. Fakt ist: „Wir verzeichnen seit etwa sechs Jahren eine auffälligen Anstieg der Neuerkrankungen“, berichtet Kiechle. Zum Vergleich: 2006 waren in Deutschland bei 57 970 Frauen Mammakarzinome entdeckt worden. Ein Jahr später gingen bereits 66 490 Fälle in die Statistik ein. 2008 steigerte sich der Wert erneut gewaltig auf 71 660, und 2012 erreichte die Entwicklung mit besagten 74 500 Erstdiagnosen einen vorläufigen traurigen Höhepunkt.
„Man hat diesen sprunghaften Anstieg zunächst nur auf das Mammografie-Programm zurückgeführt“, erläutert die Wissenschaftlerin. Dieses gesetzliche Früherkennungsprogramm wurde zwischen 2005 und 2008 in Deutschland eingeführt. Seitdem erhält jede Frau zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre eine Einladung zur Mammografie – eine Röntgenuntersuchung der Brust.
Die simple These der Statistiker: Weil plötzlich mehr Frauen untersucht worden sind, stieg auch die Kurve der Neuerkrankungen steil an.
Inzwischen ist die Mammografie fest in der Gesellschaft etabliert, der Entdeckungs-Effekt müsste längst ausgereizt sein. Aber die Zahl der Brustkrebsfälle schnellt trotzdem weiter in die Höhe.
„Das kann an der stetig steigenden Lebenserwartung liegen“, erklärt Kiechle. Krebs ist eine Alterserkrankung. Je älter die Menschen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Lauf ihres Lebens daran erkranken. „Ein weiterer Grund für die Zunahme der Neuerkrankungen könnten auch schädliche Umwelteinflüsse sein“, sagt Kiechle. Welche Faktoren genau den Brustkrebs verursachen, müssen die Wissenschaftler allerdings erst noch genauer erforschen.
„Auch spielt die steigende Gewichtszunahme in der Bevölkerung eine Rolle“, so die Klinikdirektorin weiter. „Denn Frauen mit Übergewicht haben ein signifikant erhöhtes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, und auch eine schlechtere Prognose.“
Wie gefährlich ist Brustkrebs? „Die ermutigende Nachricht ist, dass heute viel weniger Patientinnen an Brustkrebs sterben als noch vor 20 Jahren“, betont Kiechle. „Das haben wir verbesserten Früherkennungstmethoden und Therapien zu verdanken.“ Nach der jüngsten belastbaren Statistik des Robert-Koch-Insituts, die allerdings aus dem Jahr 2008 stammt, verloren damals 17 209 Frauen ihr Leben. Bereits seit 1990 ist die Sterberate – trotz steigender Neuerkrankungen – nahezu konstant. Unterm Strich bekommen die Ärzte die bösartigen Brusttumore immer besser in den Griff.
Wie hoch sind die Überlebens- beziehungsweise Heilungschancen? Kiechle erklärt eine Faustregel: „Wenn der Tumor in einem Stadium erkannt wird, in dem er noch auf die Brust beschränkt ist und weniger als vier Lymphknoten befallen sind, dann liegt die Heilungschance bei über 80 Prozent. Finden sich in mehr als vier Lymphknoten Krebszellen, halbiert sich die Chance auf 40 Prozent.“ Zum Vergleich: Bei Bauspeicheldrüsenkrebs beträgt die Überlebenschance ungefähr fünf Prozent.
Was bringt die Mammografie? „Der Nutzen ist weitaus größer als der Schaden, weil die erforderliche Dosis Röntgenstrahlen relativ gering ist. Ich gehe selbst alle zwei Jahre zu dieser Untersuchung“, argumentiert Kiechle. Ihrer Meinung nach müsste das Vorsorgesystem sogar noch ausgebaut werden: „Ich plädiere dafür, dass bereits alle Frauen ab 40 Jahren zur Mammografie eingeladen werden.“
Den Zeitabstand von zwei Jahren zwischen den Untersuchungen hält Kiechle für ausreichend. „Es gibt zwar besonders aggressive Tumore, die sich innerhalb eines Jahres entwickeln. Die meisten brauchen allerdings länger als zwei Jahre, bis sie so groß werden, dass man sie auf dem Röntgenbild entdecken kann.“
Welche Fortschritte macht die Brustkrebs-Forschung? Wissenschaftler haben einen neuen Gentest entwickelt, mit dem sich das Metastasen-Risiko ermitteln lässt. Der funktioniert so: Nach der OP wird das Krebsgewebe im Labor auf bestimmte genetische Merkmale untersucht. Im Ergebnis liefern diese EndoPredict-Tests eine Unterscheidung zwischen hohem und niedrigem Metastasenrisko.
Niedriges Risiko bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Bruskrebs innerhalb der nächsten zehn Jahre streut, liegt bei unter zehn Prozent. „Diesen Patientinnen können wir dann eine leidvolle und kräftezehrende Chemotherapie ersparen“, erklärt Kiechle. „Wir gehen davon aus, dass immerhin 60 Prozent unserer Patientinnen in die Niedrig-Risiko-Gruppe fallen. Sie haben dank des Tests eine erheblich bessere Lebensqualität."
Unsere Expertin

Marion Kiechle (52) ist die erste Frau in Deutschland, die eine gynäkologische Uniklinik leitet. Sie steht bereits seit über zwölf Jahren an der Spitze der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München und hat 2007 das Bundesverdienstkreuz am Bande bekommen. Vor ihrer Münchner Zeit hat die Krebsspezialistin als Oberärztin an den Unikliniken in Freiburg im Breisgau und in Kiel gearbeitet. Kiechle stammt aus Offenburg in Baden und ist mit dem Sportmoderator Marcel Reif verheiratet.
Kiechles wichtigste Vorsorge-Tipps
Frauen ab 20 sollten einmal im Jahr zur Vorsorgeuntersuchung zum Frauenarzt gehen. Dazu gehört neben dem Abtasten der Brust der so genannte PAP-Test. Er dient dazu, Gebärmutterhalskrebs frühzeitig zu erkennen. Bei dem Abstrich wird mit einer Art Wattestäbchen eine Gewebeprobe vom Muttermund entnommen. Im Labor wird das Material eingefärbt und unterm Spezialmikroskop auf gefährliche Zellveränderungen (Krebsvorstufen) hin untersucht.
Diese Methode ist eine Erfolgsgeschichte: Seit es den PAP-Test gibt, sind die Neuerkrankungen an Gebärmutterhalskrebs in Deutschland um 75 Prozent zurückgegangen.
Außerdem sollten Frauen ab 50 die Einladung zum Mammografie-Screening alle zwei Jahre lückenlos wahrnehmen. Ich rate Frauen auch, an einem Tastkurs für die Brust-Selbstuntersuchung teilzunehmen.
Trinken Sie Alkohol nur in Maßen: höchstens ein Glas Wein oder zwei Gläser Sekt oder eine Halbe Bier! Zu viel Alkohol kann ein erhöhtes Krebsrisiko bedeuten.
Machen Sie pro Woche mindestens vier Stunden Sport. Beginnen Sie damit schon in jungen Jahren.
Vermeiden Sie Übergewicht, bzw. nehmem Sie ab! Im Fettgewebe werden Hormone produziert, die Krebserkrankungen begünstigen können. Frauen mit einem Body-Mass-Index (BMI) haben ein extrem hohes Brustkrebsrisiko. Ideal ist ein BMI zwischen 20 und 25, über 30 wird’s gefährlich.
Pflegen Sie Freundschaften und soziale Kontakte. Das ist wichtiger für die Gesundheit als viele denken. Man weiß heute aus Studien, dass glückliche Menschen länger leben.
Andreas Beez