Das Psycho-Problem der Rentenkasse

München - Depressionen und Manien nehmen so zu, dass Geld für Reha ausgeht. Expertin Marion Götz schlägt Alarm: „Der Bedarf könnte 2012 die Ressourcen überschreiten.“ Die tz erklärt den Reha-Skandal.
Die Deutsche Rentenversicherung schwimmt im Geld und geht an einem bestimmten Punkt trotzdem pleite: Rund 28 Milliarden Euro wird die Kasse Schätzungen zufolge am Jahresende auf der hohen Kante haben – 4,4 Milliarden mehr als ursprünglich erwartet. Gleichzeitig müssen jetzt aber kranke Arbeitnehmer darum bangen, dass ihnen künftig notwendige Rehabilitationen gezahlt werden! Denn die Politik hat auf diesen Geldtopf den Deckel gesetzt – während immer mehr und immer jüngere Arbeitnehmer wegen psychischer Erkrankungen nicht mehr arbeiten können. Reha-Expertin Marion Götz von der Deutschen Rentenversicherung schlägt Alarm: „Der Bedarf könnte 2012 die Ressourcen überschreiten.“ Die tz erklärt den Reha-Skandal:
Was heißt Rehabilitation?
Sie soll verhindern, dass Menschen vor Erreichen des normalen Rentenalters wegen gesundheitlicher Probleme aus ihrem Job ausscheiden müssen. Dazu zahlt die Rentenversicherung medizinische Betreuungen bis hin zu Umschulungen.
Warum ist die Lage so dramatisch?
Im vergangenen Jahr mussten 130 696 Arbeitnehmer wegen psychischer Erkrankungen stationär behandelt werden. Damit hat die Zahl einen neuen Rekord erreicht. Zum Vergleich: Im Jahr 2006 waren nur 86 222 Versicherte davon betroffen. Den gleichen Trend beobachtet die Versicherung bei den Menschen, die wegen ihrer Erkrankung nicht mehr arbeiten können: Rund 73 200 Betroffene bezogen wegen psychischer Probleme 2011 eine sogenannte Erwerbsminderungsrente – fast 50 Prozent mehr als noch 2006. Gleichzeitig blieb die Zahl der Menschen, die wegen Erkrankungen am Bewegungsapparat, Krebs oder wegen Herz-/Kreislaufproblemen erwerbsunfähig wurden, stabil zwischen 20 000 und 30 000 Fällen. „Psychische Erkrankungen sind ein Hochrisiko für Erwerbsminderungsrenten“, schlussfolgert Expertin Götz.
Warum nehmen die Psycho-Erkrankungen so zu?
Experten sind sich uneinig, ob die Belastungen der Menschen im Alltag so sehr ansteigen oder ob die Erkrankungen heute nur besser als früher erkannt werden. „Es gibt eine rückläufige Stigmatisierung der Betroffenen“, sagt Reha-Expertin Marion Götz und verweist auf die Fälle von Sportlern, die ihre Erschöpfungsprobleme öffentlich machen. Was Ärzte früher als bloße Rückenschmerzen abtaten, erkennen sie heute oft als psychisch motiviertes Problem. Gleichzeitig fordere die Leistungsgesellschaft ihre Opfer: „Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Anforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit in der Arbeitswelt sowie allgemein in der modernen Informations- und Mediengesellschaft gestiegen sind. Unsichere Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit kommen als weitere bedeutsame Stressfaktoren hinzu“, analysiert die Rentenversicherung. Die häufigste psychische Ursache einer Erwerbsminderungsrente sind Depressionen und Manien (30 151 Fälle bundesweit) sowie Angst- und Zwangsstörungen (15 441 Fälle im Jahr 2011).
Wen treffen psychische Erkrankungen?
Vor allem Frauen und vergleichsweise jüngere Arbeitnehmer. Frauen mussten im Jahr 2010 mit 81 013 Fällen fast doppelt so häufig stationär auf Reha wie Männer. In den Krankheitsbildern unterscheiden sich die Geschlechter jedoch nicht, ebenso beim Alter, in dem sie Fall für eine stationäre Reha-Maßnahme werden: im Schnitt mit 48. 39 Tage dauert für Männer wie Frauen eine Behandlung dort im Durchschnitt. Nur Drogen- und Alkoholsüchtige müssen früher (mit knapp 41 Jahren) und deutlich länger (88 Tage) auf Reha.
Wann steht mir eine Rehabilitation zu?
Wenn eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung die Ausübung des Berufs erheblich gefährdet. Formal müssen Betroffene entweder 15 Jahre lang oder in den letzten zwei Jahren vor dem Antrag sechs Monate in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt haben. Über weitere Ausnahmen und Voraussetzungen informiert die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd (kostenfreies Telefon 0800/100 04 80 15).
Was passiert auf einer Reha?
Die Kranken lernen vor allem, mit ihrer Krankheit umzugehen. Ziel ist schließlich, in den Job zurückkehren zu können und einem Rückfall vorzubeugen: etwa mit der Fähigkeit, Probleme und Konflikte im privaten wie beruflichem Umfeld zu lösen. Auch eine stufenweise Wiedereingliederung an den Arbeitsplatz zählt dazu. Aus Sicht der Rentenversicherer ist die Reha ein Erfolg: Zwei Jahre danach sind 71 Prozent der Arbeitnehmer wieder voll im Erwerbsleben, 15 Prozent immerhin teilweise. Ein Fall für die Rentenkasse werden dagegen nur 13 Prozent. Deshalb lautet die Parole der Versicherung auch: „Reha vor Rente.“
Warum gibt es jetzt Probleme mit dem Geld?
Schuld ist der sogenannte „Reha-Deckel“. 1997 hat die Bundesregierung die Ausgaben für Rehabilitationen bis 2017 eingefroren. Das Budget steigt seitdem nur noch wie die Löhne – obwohl mit den psychischen Erkrankungen immer mehr Fälle zu finanzieren sind. Mit 5,5 Milliarden Euro war das Budget im vergangenen Jahr zu 99 Prozent ausgeschöpft, weshalb die Experten für heuer die Pleite befürchten.
Was passiert dann?
„Es gibt keine Rehabilitation nach Kassenlage“, verspricht Marion Götz von der Rentenversicherung. Zumindest für heuer könnte der Kollaps noch abgewendet werden, was sich aber umso mehr 2013 rächen wird. „Was heuer mehr ausgegeben wird, geht vom Budget des Folgejahres ab“, erklärt Götz. Dann lösen die tückischen Psycho-Krankheiten auch einen finanziellen Teufelskreis aus.
Walther Schneeweiß