Haltungsschäden bei jedem zweiten Kind!
München - Immer mehr Kinder und Jugendliche weisen gravierende Haltungsschäden auf und laufen damit Gefahr, später an chronischen Rückenleiden zu erkranken.






Es wird Millionen Patienten treffen und Milliarden Euro verschlingen: Immer mehr Kinder und Jugendliche weisen gravierende Haltungsschäden auf und laufen damit Gefahr, später an chronischen Rückenleiden zu erkranken. Inzwischen seien mehr als 50 Prozent aller Schüler zwischen sieben und 14 Jahren betroffen, in der Altersgruppe der Acht- bis 18-jährigen hätten sogar 61 Prozent eine fehlerhafte Haltung. Das geht aus einer Patienten-Analyse hervor, die das Marianowicz Medizin Zentrum in Bogenhausen zum Tag der Rückengesundheit an diesem Samstag vorstellte.
Die Wirbelsäulen-Experten haben eigene Untersuchungsergebnisse, Krankenakten, Statistiken sowie andere Studien von Wissenschaftlern und Krankenkassen ausgewertet. Ergebnis: „Wir erleben eine dramatische Entwicklung. Die haltungskranken Kinder von heute sind die Rückenpatienten von morgen“, warnt Dr. Martin Marianowicz.
Sein Kollege Wolfgang Sohler, Leiter der Abteilung für Kinderorthopädie, rät Eltern, ihre Kinder regelmäßig zur Bewegung zu ermuntern: Dies sei angesichts des veränderten Alltags- und Freizeitverhaltens der „Generation Haltungsschäden“ wichtiger denn je.
Besonders oft sehen die Orthopäden Kinder mit einem Hohlkreuz und einer schwachen Rumpfmuskulatur. „Sie bewegen sich zu wenig, sind zudem oft übergewichtig“, diagnostizieren Marianowicz und Sohler. Verschärft werde das Pro-blem dadurch, dass Kinder heute früher in die Pubertät kämen als noch vor 30 Jahren und der Wachstumsprozess schneller voranschreite: „Dadurch verfestigen sich Bewegungs- und Haltungsdefizite deutlich früher“, betont Marianowicz.
Wie rasant das Problem wächst, zeigt auch eine Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK). Danach kommen immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene wegen Bandscheibenschäden und Kreuzschmerzen ins Krankenhaus. Seit dem Jahr 2000 sei die Zahl der Fälle um 30 Prozent gestiegen.
Wenn die Entwicklung nicht gebremst werde, könne dies sogar zu einem Kollaps des Gesundheits- und Solidarsystems führen, fürchtet Dr. Marianowicz: „Schon heute sind Rückenerkrankungen für rund die Hälfte aller Frühverrentungen verantwortlich. Und mit 75 Millionen Krankheitstagen pro Jahr zählen chronische Rückenleiden zur zweithäufigsten Krankheitsursache überhaupt.“
Andreas Beez
10 Tipps für den Kinderrücken
Wie kann man Haltungsschäden vermeiden? Die Münchner Orthopäden Dr. Martin Marianowicz und Wolfgang Sohler geben praktische Alltagstipps.
1. Kindern Zeit lassen: Eltern sollten ihr Kleinkind nicht drängen, möglichst früh zu stehen oder zu laufen, sondern ihm die Zeit geben, bis es dies von selbst tut.
2. Auf dem Boden krabbeln: Säuglinge müssen die Möglichkeit haben, auf dem Boden zu spielen. Kinder brauchen die Krabbelphase für ihre körperliche Entwicklung. Keine Angst vor ein wenig Schmutz – denn Babys entwickeln auf diese Weise ihre Abwehrkräfte weiter.
3. Raus auf den Spielplatz: Klettergerüste sind ideal, um die körperlichen Fähigkeiten zu trainieren und Ängste abzubauen.
4. Schneidersitz ja – aber richtig: Beim Spielen sitzen Kinder häufig auf dem Boden. Am gesündesten ist dazu der Schneidersitz. Allerdings sollten sie dabei möglichst gerade sitzen.
5. Individualität akzeptieren: Jedes Kind entwickelt sich anders. Es macht keinen Sinn, vom zweiten Kind die selben Entwicklungsschritte zur gleichen Zeit zu erwarten, zu der sie beim ersten eintraten.
6. Nicht zu früh mit Sport beginnen: Generell sollte man nicht vor dem fünften Geburtstag mit regelmäßigem Sport beginnen. Wenn es soweit ist, darf dies nur eine Disziplin sein, die dem Kind gefällt.
7. Spielerisch üben, mitmachen und belohnen: Spielerische Übungen helfen, den Bewegungsapparat zu stabilisieren. Beispiel: Ein Kind muss je eine Runde auf Zehenspitzen, auf den Fersen, auf den Außen- und den Innenseiten der Füße um einen Teppich laufen. Eltern sollten mitmachen und ihre Kinder anschließend belohnen.
8. Schulranzen richtig packen: Das Kind sollte immer nur die Bücher und Hefte mitnehmen, die auch tatsächlich benötigt werden. Mehr als zehn Prozent des Körpergewichts auf dem Rücken zu tragen, sollte tabu sein.
9. Schuhe ohne Einlegesohlen: Eltern sollten auf die Schuh-Qualität achten, um ihren Kindern einen optimalen Gang zu ermöglichen. Bis zu einem Alter von acht Jahren keine Einlegesohlen verwenden.
10. Nie barfuss auf Steinboden: Kinder sollten möglichst niemals barfuß auf nacktem Steinfußboden laufen. Der ist zu hart für die jungen Knochen und in den Herbst- oder Wintermonaten auch oft zu kalt.