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Wie gut ist die neue Disney+-Serie „Deutsches Haus“?

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Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“
Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“ © Disney+

Die Historien-Dramaserie „Deutsches Haus“ auf Disney+ behandelt mit den Auschwitz-Prozessen der frühen 60er Jahre auf sehenswerte Weise das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Warum sollte man unbedingt einen Blick riskieren?

Spoilerwarnung - diese Meldung kann Hinweise auf die Fortführung der Handlung enthalten!

Das passiert in der Serie „Deutsches Haus“

Deutschland im Jahr 1963: Eva Bruhns (Katharina Stark) ist in Deutsches Haus eine junge Frau, die als Polnisch-Dolmetscherin für das Gericht arbeitet. Gemeinsam mit ihren Eltern, die in Frankfurt die Gaststätte „Deutsches Haus“ führen, lebt sie ein relativ unbeschwertes Leben und freut sich auf ihre baldige Ehe mit dem Unternehmenserben Hans Kübler (Max von der Groeben).

Vom Krieg und den Gräueltaten der Nationalsozialisten hat die 24-Jährige nicht viel mitbekommen und die allgegenwärtige Kultur der Verdrängung und des Schweigens verhindert, dass sie nähere Informationen über die Judenvergasungen und Massenmorde in Ausschwitz und den anderen Konzentrationslagern der Nazis erhält. Als sie im Dezember 1963 als Dolmetscherin für die Frankfurter Auschwitz-Prozesse angeheuert wird und die Aussagen der Zeugen übersetzt, wird ihr das ganze Ausmaß der Schuld bewusst, die die vorherige Generation auf sich lud.

Ein kurzer historischer Überblick

Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“
Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“ © Walt Disney/Gaumont

Nach den Nürnberger Prozessen und der weniger beachteten Verhandlung gegen das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt markieren die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt zwischen dem 20. Dezember 1963 und dem 20. August 1965 einen Höhepunkt der deutschen Strafverfolgungsbehörden. Angeklagt waren insgesamt 20 KZ-Mörder und Helfershelfer, die vornehmlich zwischen 1943 und 1945 tausende Menschen quälten, folterten und auf bestialische Weise töten.

Allein dem Prozess namensgebenden ehemaligen Adjutanten des Lagerkommandanten Robert Mulka (die Anklage lautete auf „Strafsache gegen Mulka u. a.“) wurde Beihilfe zum Mord an mindestens 3000 Menschen vorgeworfen, wofür er die viel zu milde Strafe von 14 Jahren Haft erhielt. Andere, wie der Sanitäter Josef Klehr, dem man 475 Morde nachweisen konnte, oder der in der Serie von Heiner Lauterbach dargestellte Wilhelm Boger, der für seine Foltermethode der „Boger-Schaukel“ berüchtigt war, landeten lebenslang im Zuchthaus.

Insgesamt verhängte das Gericht sechsmal lebenslang und erließ zwei Freisprüche aus Mangel an Beweisen. Auf der Website www.auschwitz-prozess.de sind bis heute die Tonbandmitschnitte dieses wichtigen Meilensteins für die deutsche Justiz, deren Studium eine erschreckende Verleugnungs- und Abstreitungskultur offenbart, zu hören.

Alles vergessen

Mit eben jenem Bild des Verdrängens beginnt die Serie „Deutsches Haus“. Die 24-jährige Gastwirttochter Eva hat die Schrecken der Deportationen nicht miterlebt und noch nie etwas von den Massenermordungen der Nazis gehört. Selbst das Wort Auschwitz sagt der jungen Frau nichts, weil viele Deutsche lieber das Wirtschaftswunder genießen, statt ihre jüngste Geschichte aufzuarbeiten. Unschuldig, so viel wird schon in den ersten Minuten deutlich, ist indes kaum jemand.

Die meisten Menschen haben die Abtransporte ihrer Nachbarn erlebt und die Novemberprogrome vom 9. auf den 10. November1938 in Erinnerung. Sie sahen die Judensterne auf der Kleidung einstiger Freunde und schwiegen, als Juden enteignet, auf offener Straße misshandelt oder kaltblütig erschlagen oder erschossen wurden.

Doch der neu gewonnene kleine Luxus ist zu wichtig, um sich zu erinnern, deshalb schalten Evas Vater und Mutter (gut von Hans-Jochen Wagner und Anke Engelke gespielt) regelmäßig das Radio ab, wenn es Neuigkeiten über die anstehenden Prozesse gibt. Eine polnische Jüdin, die mit aufgenähtem Judenstern provokativ nach dem Weg fragt, wird von den Passanten abschätzig ignoriert und zwei Polizisten zwingen sie sogar, den Stern von ihrem Mantel zu entfernen.

Eine neue Generation Deutscher

Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“
Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“ © Walt Disney/Gaumont

Nichts scheint sich also seit 1945 geändert zu haben. Doch Eva gehört einer neuen Generation an, die niemals den Neid und Hass auf Juden und alles aus der Norm Fallende erlebt hat. Höflich beantwortet sie die Frage nach dem Weg und begleitet die Dame sogar in ihr Hotel, wo der Hotelier sie zunächst beinahe abweist. Nach einer Aussage, die Eva zuvor im Auftrag des Staatsanwalts übersetzte und die sie zutiefst verstörte, ist dies das zweite Erlebnis, das sie prägt und dazu veranlasst, den Job als Dolmetscherin bei den Auschwitz-Prozessen anzunehmen.

„Deutsches Haus“ bleibt dabei keineswegs an der Oberfläche, sondern arbeitet den Kontrast zwischen der allgegenwärtigen Nachkriegsunbeschwertheit und der Aufarbeitung der grausamsten Taten, die je von Deutschen ausgeübt wurden, klar heraus. Mit diesem Kontrast im Gepäck stellt sich der Prozessauftakt, der übrigens ein zwar aus dramaturgischen Gründen gekürztes, aber dennoch wörtliches Zitat darstellt, als äußerst bedrückend dar.

Die Frage, wie eigentlich ganz normale Menschen, die sich im „Deutschen Haus“ bei Bier und Gänsebraten ein Stelldichein geben, den entmenschlichten Verbrechen der Nazis tatenlos zusehen konnten. schwingt wie ein Damoklesschwert über der Episode. Hinzu kommt, dass Evas Verlobter ihre Motivation, die Wahrheit zu ergründen, nicht nachvollziehen kann, was dem großen Drama noch ein kleines hinterhersetzt. Viel Mitleid empfindet man mit dem Unternehmerssohn allerdings nicht. Vielmehr beginnt man Eva immer mehr für ihren Mut zu bewundern.

Als sie den Gerichtssaal zur Anklageverlesung betritt, tut sie dies noch mit einer kindlichen Neugier, die die Serienmacher in naiven Scherzen zum Ausdruck bringen. Doch als der Richter die Anklageschrift verließt, stockt ihr der Atem. Der nüchtern vorgetragene Text erzählt die Schicksale tausender Menschen, die zur Vergasung ausgesondert, an der berüchtigten „schwarzen Wand“ erschossen, oder „bei verschärften Vernehmungen so mißhandelt“ wurden, „daß sie unmittelbar darauf an den Folgen starben“ (so ein Zitat aus der Anklage).

Als die Schrift zu den fürchterlichen Kindermorden übergeht, die viele der Angeklagten auf dem Gewissen haben, rinnen Eva schließlich Tränen der Erkenntnis über die Wangen. Dieser emotionale, mitreißende Augenblick bleibt im Gedächtnis haften und ist Vorbote für die nächsten Jahre, in denen Eva in die tiefen Abgründe des menschlichen Seins blicken wird. Schuldverschiebung, Verleugnung, Verneinung und fehlende Reue werden das Bild der Menschen prägen, die für die Taten verantwortlich sind...

Fazit

Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“
Szenenfoto aus der Serie „Deutsches Haus“ © Walt Disney/Gaumont

„Deutsches Haus“ beginnt leichtfüßig, verwandelt sich aber von der Tonalität her schnell in das Drama, das einem Ereignis wie den Frankfurter Auschwitz-Prozessen angemessen ist. Die Serie ist audiovisuell hervorragend in Szene gesetzt und führt mit der Figur der Eva Bruhns einen starken Charakter ein, der zudem exzellent von Katharina Starck gespielt wird.

Die unmenschlichen Verbrechen der Nazis aus Sicht einer unbedarften jungen Frau zu thematisieren, erweist sich zudem als kraftvolle Idee, zumal mehr als 80 Jahre nach Kriegsende kaum noch Zeugen leben und Millionen junge Menschen auf Geschichtsbücher und andere Medien angewiesen sind. Dass diese aber den wahren Schrecken der Nazizeit nicht annähernd so eindrücklich wie Zeitzeugen transportieren können, zeigt sich in den jüngsten politischen Verirrungen, die nicht nur unser Land in ein gesellschaftliches Chaos zu stürzen drohen.

Denn die Blindheit für die deutsche Vergangenheit sowie die Verrohung und Entmenschlichung schreiten dieser Tage unaufhaltsam voran. Deshalb ist es eine der vordringlichsten Aufgabe der Kreativen und Medienschaffenden, dem Vergessen durch gutes, anschauliches Material entgegenzuwirken. Genau das schafft „Deutsches Haus“ bereits in der Pilotfolge. Viereinhalb von fünf Punkten.

Mehr Infos zur Serie „Deutsches Haus“ finden Sie bei Serienjunkies.de (Reinhard Prahl)

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