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Stierhatz: Das Leidens-Protokoll des Navajito

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Bei der Stierhatz in Pamplona sind in diesem Jahr 48 Bullen ums Leben gekommen © dpa

Pamplona - Bei der Stierhatz von Pamplona sind in diesem Jahr 48 Bullen gestorben, darunter auch Navajito. Hier lesen Sie das grausame Protokoll seines letzten Lebenstages.

Punkt acht Uhr knallt ein Böllerschuss und die Stiere rennen los. Navajito überholt in Panik die Ochsen, die den Tieren den Weg weisen sollen. Es kommt zu gefährlichen Szenen: In Angst und Panik läuft er in Menschen. Für junge Männer aus aller Welt, besonders für Australier, Amerikaner und Briten, ist es eine Mutprobe geworden, mit den mächtigen Tieren um die Wette zu rennen, sie zu berühren und zu schlagen. Diese jungen Leute feiern und trinken eine Woche durch, sie wollen Spaß haben, das Leid der Tiere kümmert sie nicht. Navajito rennt drei Menschengruppen um, darunter eine junge Frau. Einem 73-Jährigen schlitzt er mit seinem scharfen Horn den Oberschenkel auf. Die Tiere rennen zur Arena, in der sie am Abend grausam getötet werden. Auch Navajitos Blut färbt den Sand rot, als er als letzter Stier des Tages erstochen wird.

Pamplona: Verletzte bei der Stierhatz

Das Festival beruft sich auf Traditionen, ist aber zum Sauf- und Feiergelage von Hunderttausenden Touristen aus aller Welt verkommen. Jedes Jahr vom 6. Juli an findet im spanischen Pamplona die Stierhatz durch die engen Gassen der Altstadt statt. Acht Tage lang werden unter großem Gejohle 48 Stiere in die Arena gejagt und dort getötet. ­Navajito war einer dieser Tiere, ein prächtiges 640 Kilo schweres Tier mit glänzendem dunklen Fell. Das Protokoll seines letzten Lebenstages:

6.35 Uhr: Die Sonne geht auf, der Stier Navajito steht mit fünf anderen Tieren aus der Miura-Ranch in einem kleinen umzäunten Gehege am Rande der Altstadt. Die Tiere wurden am Nachmittag zuvor dorthin gebracht, damit sie von den Läufern betrachtet werden konnten. Navajito ist sechs Jahre alt, sein Name bedeutet kleines Messer. Er wuchs auf der Miura-Ranch bei Sevilla auf. Die Tiere gelten als wendig und schnell, sind aber sehr scheu. Tierschützerin Mechthild Mench von der Initiative Anti Corrida war schon undercover auf solchen Farmen: „Ich ging in ein Gehege und die großen Stiere hatten Angst vor mir und wichen zurück.“ Kampfstiere sollen sich nicht an Menschen gewöhnen, daher haben sie so wenig Kontakt wie möglich.

8.00 Uhr: Vom Rathausbalkon wird ein Raketenböller gezündet. Die Tore werden geöffnet. Drei zahme Ochsen mit Kuhglocken um den Hals stürmen los. Diese Tiere kennen den Weg. Mechthild Mench: „Rinder sind nicht gern allein. Daher laufen die anderen Tiere einfach hinterher. Das ist der Herdentrieb.“ Auch Navajito stürmt los – hinein in die johlende Menschenmenge, vor der er Angst hat und nur eines will: „Weg hier!“ Mechthild Mench: „Für den Stier sind die Menschen eine Bedrohung.“

8.01 Uhr: Der Stier hat die Ochsen überholt, er weiß nicht wohin. In Panik rast er auf eine Wand zu, an die sich Menschen drücken, um sich vor den gefährlichen Tieren in Sicherheit zu bringen. Deren schärfste Waffe sind ihre spitzen Hörner. Navajito erwischt einen 73-Jährigen am Oberschenkel, die 25 Zentimeter lange Wunde wird später im Krankenhaus genäht. Navajito rennt um sein Leben, er schlittert mit einem Tempo von 25 km/h über das rutschige Pflaster der Straßen, die noch nass sind vom Trinkgelage der Feiernden. Kurz darauf nimmt er gleich zwei Wagemutige zwischen die Hörner, reißt einem anderen mit der Spitze das Hemd auf, und versetzt einem weiteren Mann einen Huftritt.

8.02 Uhr, 28 Sekunden: Navajito stürmt in die Stierkampfarena. Er läuft in eine Gruppe von sechs jungen Männern, bringt sie zu Fall und strauchelt selbst. Ein dritter Raketenschuss meldet: Alle Tiere sind in der Arena. Die Stiere folgen den Ochsen, die den Weg in die Ställe kennen. Navajito ist völlig verstört. Mechthild Mench: „In den dunklen Ställen kommen die Stiere etwas zur Ruhe, vermutlich gibt es Wasser.“

18 Uhr: Die Arena ist vollbesetzt. Zehn Stunden nach der Ankunft beginnen die blutigen Spiele. Auf der Sonnenseite sitzen die Schaulustigen, die Party machen wollen, und trinken und verspritzen Sangria und Rotwein. Auf den Plätzen im Schatten haben sich die Experten versammelt, um die Qualität des Todeskampfes zu begutachten. Ein Stierkampf dauert 20 bis 30 Minuten. Sind die Zuschauer vom Kampf enttäuscht, wird gepfiffen, sind sie zufrieden, klatschen sie. Ein guter Matador darf sich zur Belohnung ein Ohr des Tieres abschneiden.

20.30 Uhr: Navajito wird als letzter Stier des Tages in die Arena gejagt. Ihn erwartet der Torero Javier Castano (32). Navajito wird vom Pferd aus mit Lanzen gestochen, der Torero beobachtet, wie er sich bewegt. 20.40 Uhr: Die Gehilfen stecken sechs mit bunten Bändern geschmückte Spieße mit Widerhaken in den Rücken. Blut läuft, Navajito wird schwächer.

20.46 Uhr: Musik, ein Paso Doble, erklingt. Javier Castano mit Degen und Tuch kämpft mit dem schwankenden Stier.

20.54 Uhr: Ein Stich in den Nacken, Navajito verblutet. Applaus brandet auf, der Torero schneidet ein Ohr ab. Ein Seil wird um die Hörner geschlungen, Maultiere ziehen Navajito aus der Arena, das sterbende Tier bäumt sich ein letztes Mal auf.

sus

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