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Miet-Wahnsinn in München: Vier Münchner erzählen ihre bewegenden Schicksale

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Von: Doris Richter, Susanne Sasse

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Rosalinde Gruber und Sohn Harry haben alles verloren.
Rosalinde Gruber und Sohn Harry haben alles verloren. © Michael Westermann

Am Samstag demonstriert München gegen den Miet-Irrsinn. In der tz erzählen vier Münchner ihre Mieterschicksale und wir sagen Ihnen, wie Sie sich bei Mietproblemen wehren können

München - Horrende Mieterhöhungen, unnötige Luxussanierungen und die zunehmende Gentrifizierung der einzelnen Stadtviertel. Dazu sagen die Münchner laut und deutlich „Jetzt langt‘s“ – und gehen am Samstag auf die Straße. Organisiert wird die Großdemonstration vom Münchner Mieterstammtisch, der von den Betroffenen Tilman Schaich, Janek Schmidt und Juliane Zeißler ins Leben gerufen wurde. Nun, eine Woche vor dem Einzug der Wiesnwirte aufs Oktoberfest, ziehen die Münchner symbolisch aus der Stadt raus. 

Knapp 100 Organisationen, Parteien, Mietergemeinschaften und Initiativen unterstützen die Demonstration – darunter auch Oberbürgermeister Dieter Reiter. Treffpunkt ist um 14 Uhr der Mariahilfplatz. Von hier aus wird sich der Demo-Zug gegen 14.30 Uhr in Gang setzen. Die Abschlusskundgebung wird gegen 17 Uhr am Geschwister-Scholl-Platz stattfinden. Wer nicht mit demonstrieren will, sollte die Innenstadt aufgrund von erwarteten Verkehrseinschränkungen meiden. In der tz erzählen vier Münchner ihre Mieterschicksale und wir sagen Ihnen, wie sie sich bei Mietproblemen wehren können.

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Kampf um das Paradies

Miete, Grünflächen und Einwohner: 

Die spannendsten Fakten über Münchens Wohnsituationen

Die Unsicherheit über sein Zuhause beschäftigt Janek Schmidt seit drei Jahren. Damals starb der Eigentümer des Hauses in der Oberländerstraße 5, das die Bewohner liebevoll „O5“ nennen. Die Erben verkauften an einen Investor, und damit kamen die Fragen: Ist dieser bereit, sich die Interessen der Mieter überhaupt anzuhören? Oder will er möglichst viel modernisieren, die Kosten auf die Mieter abwälzen – und sie vertreiben? So gründeten die Bewohner eine Mietergemeinschaft. Mehrere kennen sich schon aus Schulzeiten, es sind junge Paare, Familien, aber auch ältere Bewohner. Alle unterstützen sich, passen auf die Kinder der anderen auf – eine Gemeinschaft, wie eine Stadt sie braucht. Doch die ist bedroht. Denn die Mieter fanden heraus, dass der neue Eigentümer einen Bauantrag eingereicht hatte: An die denkmalgeschützte Fassade sollen Balkone und ein Aufzug. Im geliebten Garten sollen Hecken und Bäume gerodet, die Grünfläche zum Teil bebaut, bepflastert und mit Mülltonnen zugestellt werden. Für das Paradies der O5 wäre das das Ende. 

Janek Schmidt mit dem Demo-Plakat.
Janek Schmidt mit dem Demo-Plakat. © Achim Schmidt

Nach zwei Jahren vergeblicher Mühen gab es nun zumindest ein Gespräch der Mieter mit dem Eigentümer. „Wir schätzen das, aber würden uns verbindlichere Absprachen wünschen“, sagt Schmidt. „Der Aufzug ist unnütz, da 17 Treppenstufen zu ihm führen würden und er nur im Zwischengeschoss landen soll und daher das Haus nie barrierefrei macht.“ Die Kosten von rund 180.000 Euro würden wohl trotzdem auf die Mieter umgelegt. „Zumindest wurde uns zugesagt, dass der Eigentümer keine Maßnahmen gegen die Interessen der Mieter durchsetzen wolle“, sagt Schmidt, „an dieser Aussage werden wir ihn messen.“

Nach 70 Jahren raus

„Mein ganzes Leben hat sich in diesem Haus abgespielt”, sagt Karin Jünke. 70 Jahre lang hat die frühere Sekretärin in der Wohnung in der Kurfürstenstraße in Schwabing gelebt. Schon ihre Großeltern wohnten dort. Doch vor vier Jahren änderte sich alles, wie die 75-Jährige am Mittwochabend in der ARD-Talkshow Maischberger erzählte. Der Eigentümer überschrieb das Haus seinem Enkel. „Da hab ich ihm noch gratuliert“, erzählt Karin Jünke. Schließlich kannte sie ihn schon als Baby.

Von seinen Plänen zur Modernisierung verrät der neue Eigentümer nichts. Nach und nach trudeln bei Karin Jünke Briefe ein, die unter anderem von einem neuen Lift berichten. Vom alten Eigentümer bekam Jünke die Zusage, dass sie keine Mieterhöhung zu fürchten hat. Ein leeres Versprechen, wie sich herausstellte.

Karin Jünke musste nach 70 Jahren ihre Wohnung in Schwabing wegen Mieterhöhungen aufgeben.
Karin Jünke musste nach 70 Jahren ihre Wohnung in Schwabing wegen Mieterhöhungen aufgeben. © Screenshot ARD

Zuletzt habe Jünke für die 110 Quadratmeter große Wohnung 880 Euro Kaltmiete gezahlt. Aufgrund der vielen Zuschläge seien es dann aber über 2000 Euro Miete gewesen, die Jünke laut eigener Aussage hätte zahlen müssen. Auf Anfrage der Redaktion gab der neue Eigentümer an, dass die Modernisierungsmaßnahmen in dem Altbau dringend notwendig gewesen waren. Dem widerspricht Karin Jünke. „Bereits 2000 wurde alles auf den neusten Stand gebracht.“

Karin Jünke und ihre Nachbarn suchten sich Hilfe beim Mieterverein München. Dieser konnte für sie zumindest eine Abfindung raushandeln. Inzwischen sind laut Jünke alle Wohnungen in dem Haus verkauft. Sie selbst wohnt jetzt am Münchner Stadtrand.

Alle vier Wochen kommt Karin Jünke wieder zu dem Haus an der Kurfürstenstraße. Denn noch immer hat sie ihre Fußpflege dort. Doch der Weg ist jedes Mal bittersüß. „Wenn sich die Tram dem Haus nähert, greife ich noch immer automatisch nach meinem Schlüssel“, erzählt Jünke. „Es ist noch immer wie nach Hause kommen.“ Wenn sie mit ihrer Freundin am Elisabeth­platz im altvertrauten Biergarten sitzt, stellt sich für sie doch das vertraute Gefühl ein. „Das ist noch immer meine Heimat.“

Miete soll sich verdoppeln

Der Kampf um das Haus in der Thalkirchner Straße 80 geht weiter. Einer der Kämpfer ist Tilman Schaich (48). Der Industrie-Designer zahlt für seine 70 Quadratmeter Wohnung nach der Mieterhöhung 675 Euro warm. „Ich wusste immer, dass meine Wohnung ein Glücksfall ist“, sagt Schaich. „Doch nach der Modernisierung soll meine Wohnung nur noch 65qm haben und ich soll 830 Euro mehr zahlen!“ Das Schicksal des Künstlerhauses, wie es im Viertel liebevoll genannt wird, ist in München längst kein Einzelfall mehr. Ein Investor kaufte Vorder- und Rückgebäude, kündigte alle Ateliers, erhöhte die Mieten, und kündigte eine lange Liste an Modernisierungen an. Er wandelte die beiden Mietshäuser in Eigentumswohnungen um und verkaufte sie kurz darauf im Ganzen weiter an den jetzigen Eigentümer. „Die Meisten von uns sind schon ausgezogen, einige Mieter haben seit über 30 Jahren hier gelebt“, erzählt Schaich. „Meine Wohnung soll im Verkauf über 900.000 Euro kosten.“

Tilman Schaich kämpft um das Künstlerhaus.
Tilman Schaich kämpft um das Künstlerhaus. © Markus Götzfried

Seit Februar hat Schaich von den Hauseigentümern Kiefer+Remberg nichts mehr gehört, dafür häufen sich „zufällige“ Vorkommnisse: Bei einem Bewohner fällt Ende Januar die Heizung aus . Es dauert ganze zwei Wochen, bis die Eigentümer reagieren. Im Februar wird der Dachboden im Vorderhaus geräumt, wobei ein Dachbodenabteil aufgebrochen und eine wertvolle DJ-Anlage, entwendet wird. Die Anlage taucht ‚zufällig‘ Mitte März wieder auf, nachdem mit einer Anzeige gedroht wurde. Bei einem persönlichen Gespräch mit dem Eigentümer heißt es, dass alles im Einklang mit den Mietern geschehen soll. Doch kurz vor Pfingsten kommt plötzlich ein Bagger, die Asphaltdecke im Hof wird aufgerissen und zwei Meter tiefe Gräben werden entlang der Hausmauer gegraben um den Keller trocken zu legen. Solche Maßnahmen müssen in der Tat nicht angekündigt werden – im Einklang mit den Mietern ist das aber nicht. Seit den Arbeiten ist der Hof eine Bauwüste und im Treppenhaus des Rückgebäudes riecht es modrig. Vermehrt werden im August sowohl tote als auch lebendige Ratten gesichtet. Erst als sich die Bewohner an die Behörde wenden, reagiert der Eigentümer und beauftragt einen Kammerjäger.

„Wir merken deutlich, dass man uns raushaben will. Aber wir bleiben hier“, sagt Tilman Schaich. Und dafür wird er weiter kämpfen – und am Samstag demonstrieren.

Die Existenz ist ruiniert

Rosalinde Gruber ist verzweifelt. Die letzten eineinhalb Jahre haben die 77-Jährige viel Kraft gekostet – und sie noch dazu um ihre Existenzgrundlage gebracht. „Uns wurde einfach alles genommen“, sagt Rosalinde Gruber. Uns, das sind sie und ihr Sohn Harry. Im Januar 2017 mussten sie ihr Restaurant in der Frauenhoferstraße nach langem Kampf mit dem Hauseigentümer zusperren. Und dieser ist in München kein Unbekannter. Er war es auch, der im vergangenen Jahr ohne Genehmigung das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl in Giesing abgerissen hatte.

Nun ist sie zum Mieterstammtisch gekommen, weil sie nicht mehr weiter weiß. „ Mein Sohn und ich haben gar nichts mehr“, sagt Rosalinde Gruber unter Tränen. Ihr Sohne habe seit der Pleite gesundheitlich zu kämpfen, ist zu ihr gezogen. Rosalinde Gruber geht nun wieder dreimal die Woche arbeiten – und das mit 77 Jahren! „Ich muss – leider“, sagt sie.

Rosalinde Gruber und Sohn Harry haben alles verloren.
Rosalinde Gruber und Sohn Harry haben alles verloren. © Oliver Bodmer

Als Rosalinde zusammen mit ihrem Sohn das Restaurant übernimmt, gehört das Gebäude noch einer Erbengemeinschaft. Nach dem Verkauf an den neuen Eigentümer begannen die Probleme. Im ganzen Haus wurde sofort saniert. Doch der Eigentümer versicherte immer wieder, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, erzählt Gruber. „Wir hätten das schönste Lokal, hat er immer gesagt.“ Mündlich hatte der Eigentümer ihrem Sohn Harry zugesagt, aufgrund der Bauarbeiten die Miete auszusetzen, so Gruber weiter. Als er das schriftlich bestätigt bekommen wollte, folgte die fristlose Kündigung.

Doch die Grubers hatten über 150.000 Euro Ablöse für den Laden bezahlt. „Da kannst du nicht einfach gehen.“ Also blieben sie. Der Eigentümer zog vor Gericht und gewann – denn sie hatten einen Mietrückstand von 15 Monaten. „Wer Geld hat gewinnt“, sagt Rosalinde traurig.

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So will die Stadt München die Mieten bremsen

Die Forderung der Mieter, die an diesem Samstag unter dem Motto „ausspekuliert“ auf die Straße gehen, kann Münchens ­Sozialreferentin Dorohee Schiwy gut nachvollziehen. Auch sie will, dass sich die ­Situation bald verbessert. „Doch der Stadt fehlt das Instrumentarium“, sagt Schiwy.

Sie fordert Bund und Land auf, die ­rechtlichen Bedingungen dafür zu schaffen. So brauche es etwa neue Regeln zur ­Erstellung des Mitspiegels, der sich ­zunehmend zu einem „Mieterhöhungs­spiegel“ entwickle. Als zahnloser Tiger entpuppt sich auch die Mietpreisbremse. Mieter ­würden oft zu viel akzeptieren – aus Angst eine Wohnung nicht zu bekommen oder sie zu verlieren. Schiwy will den Vermieter dazu verpflichten, die ­Vormiete offenzulegen. ­Zudem solle es eine Rückzahlungspflicht bei zu hoher Miete ­geben.

Bei der Modernisierungsumlage fordert die Referentin eine Deckelung auf acht statt elf Prozent pro Jahr und eine zeitliche ­Begrenzung, bis sich die Kosten amortisiert haben. Den Geltungsbereich der ­sogenannten Erhaltungssatzungen würde sie gerne ­erweitern und die Umwandlung von Miet- in ­Eigentumswohnungen im Stadt­gebiet unter Genehmigungspflicht seitens der Stadt stellen. Zudem ­fordert sie eine ­gesetzlich Grundlage, ­Mieterhöhungen auf den Inflationsausgleich zu begrenzen.

Das ist Ihr gutes Recht als Mieter

1. An Spekulant verkauft: Was tun, wenn das Mietshaus verkauft ­wurde, im schlechtesten Fall an Spekulanten, die so viel Geld wie möglich machen wollen? Oft droht dann eine Luxussanierung, verbunden mit enormen Mietsteigerungen. Mieterschützer raten, nicht als Einzelkämpfer aufzutreten, sondern sich zusammenzuschließen. Die wichtigsten Rechte der Mieter: Ein Eigentümerwechsel muss bekannt gegeben werden. An ihrem Mietvertrag ändert sich durch diesen nichts, sie müssen auch keinen neuen Mietvertrag unterzeichnen. Mieter müssen zwar eine Sanierung/Modernisierung dulden, können aber Nein sagen, wenn eine Luxussanierung bevorsteht. „Der Mieter muss nicht dulden, dass der Zustand der Wohnung wesentlich verändert wird“, sagt Mietrechtsexpertin Anja Franz. Modernisieren darf der Vermieter außerdem nur dann, wenn er die Maßnahme drei Monate vor Baubeginn detailliert ankündigt! svs

2. Eigenbedarf: Mieter haben gegen Eigenbedarfskündigung grundsätzlich schlechte Chancen, sollten also strategisch vorgehen: Bis spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist muss der Mieter schriftlich Widerspruch gegen die Kündigung einlegen, ansonsten wird sie rechtskräftig. Bei einem Widerspruch kommt es zur Gerichtsverhandlung, und bei dieser kann das Gericht dann dem Mieter noch weitere Monate Räumungsschutz geben. Legt der Mieter aber seinen Widerspruch sofort ein, kommt es möglicherweise schnell zur Gerichtsentscheidung – und der Mieter muss im Endeffekt früher raus. Im Widerspruch müssen die Gründe stehen, warum er die Wohnung braucht (Alter, Gesundheitszustand). Der Vermieter oder ein Familienangehöriger oder ein Angehöriger seines Haushalts wiederum muss selbst Bedarf haben. Täuscht der Vermieter den Eigenbedarf nur vor, muss er Schäden ersetzen (Lagerkosten für Möbel, Maklerkosten etc.). svs

3. Schimmel etc.: Es schimmelt, die Wohnung ist feucht, Herd oder Heizung sind kaputt? Tritt in der Wohnung ein Mangel auf, sollten Mieter als Erstes den Vermieter schriftlich informieren und eine Frist setzen, in der er den Mangel beseitigen soll – im Regelfall zwei bis vier Wochen. Zudem sollten Mieter ankündigen, dass sie die Miete bis zur Beseitigung des Mangels nur unter Vorbehalt bezahlen, damit sie später rückwirkend die Miete mindern können. Lässt der Vermieter die Frist verstreichen, kann der Mieter selbst einen Handwerker beauftragen und dem Vermieter die Kosten in Rechnung stellen. In Notfällen (Heizung im Winter, Wasserrohrbruch) muss der Mieter nicht lange warten, sondern darf eine kurze Frist setzen und dann selbst einschreiten. svs

4. Hier gibt’s Hilfe

► Mieterverein München, Sonnenstraße 10, Tel: 089/5521430, www.mieterverein-muenchen.de.

► Amt für Wohnen und Migration, Franziskanerstraße 8, Telefon: 089/23396820

► Mieter Helfen Mietern, Weißenburger Str. 25, Telefon: 089/4448820

► Mieterhilfe Deutschland, Ringseisstr. 8, Tel. 089/5438353. www.mieterhilfe-deutschland.de

► Bündnis Bezahlbares Wohnen, www.bezahlbares-wohnen.de.

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