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Gerhard Polts „A scheene Leich“ in Münchner Kammerspielen: Carpe diem, liebe Leut’!

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Von: Katja Kraft

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Szene aus „A scheene Leich“ in den Münchner Kammerspielen mit Gerhard Polt (li.), Stefan Merki und die Laienchor-Darsteller
Ersticken Sterbensangst mit Lebensfreude: Gerhard Polt (li.), Stefan Merki und die Laienchor-Darsteller. Maurice Kobel Das beste Skript schreibt das Leben selbst © Maurice Kobel

Gerhard Polt und die Well-Brüder haben mit Regisseur Ruedi Häusermann die Erblastkomödie „A scheene Leich“ ersponnen. Nun feierten sie in den Münchner Kammerspielen umjubelte Premiere. Unsere Theaterkritik.

Selbst die alte Schweinsbraten-Nummer funktioniert immer noch. Das Premierenpublikum am Samstagabend in den Münchner Kammerspielen quietscht vor Lachen. Obwohl es diesmal kein Braten, sondern Suppe ist, durch die sich Gerhard Polt arbeitet. Löffel für Löffel. Einsamer Leichenschmaus. Und eine hübsche Reminiszenz an die Bühnen-Anfänge des 80-Jährigen. Damals, in den Siebzigern, als er Kabarettist Jörg Hube bei dessen Solo-Programm ganz einfach dadurch die Show stahl, dass er kauend dasaß. Schweinsbraten-Zerlegen als große Komödie. So einfach, so brillant.

Und so zeitlos lustig. Das Beglückende an der Erblastkomödie „A scheene Leich“, die Polt und Regisseur Ruedi Häusermann ersponnen haben, ist: Sie funktioniert noch immer, diese Mischung aus Anekdoten-Verzählen, Blas-, Quetschn-, Zupfmusik, Irrwitz und ernsthaftem Widerhall gesellschaftlicher Missstände – da giggeln sie alle im ausverkauften Haus, die jungen und die alten Premierengäste, die Normalos und die Promis, ja, selbst die zwei Berliner, denen zwar immer wieder ein „Was hat er gesagt?“ entfährt, die sich aber trotz offensichtlicher Sprachbarriere („Morgen belegen wir einen Bairischkurs!“) der Situationskomik und der feinen Spiegelung des Allzumenschlichen nicht entziehen können.

Stefan Merki (re.) in der Rolle eines Pflegeheimbewohners in Gerhard Polts Stück „A scheene Leich“
Wenn Stefan Merki (re.) in der Rolle eines Pflegeheimbewohners anfängt, aus seinem Alltag zu berichten, wird es mitunter bitter. © Maurice Kobel

Eigentlich braucht’s dazu gar kein geschriebenes Theaterstück. Wenn die Blutsbrüder Karli, Michael und Stofferl Well mit ihrem Herzensbruder Polt loslegen, vermisst keiner Bühnenbild, Kostüme oder Choreografie. Das beste Skript schreibt ihnen immer noch das Leben selbst. Ein Glück also, dass Ruedi Häusermann diese Komödie so Charivari-haft frei klimpernd zusammengefügt hat wie die Kulissen (Häusermann/Christl Wein-Engel). Stellwände mit Fototapete verwandeln die Bühne durch Schauspieler-Hand fix von Wirtshaus in Bestattungsinstitut oder Luxusappartement mit Seeblick. Letzteres war einmal das Zuhause eines Bestattungsunternehmers, der nebenher mit der „Seniorenresidenz Sonnenstrahl“ Reibach machte – und dort gleich die künftige Kundschaft rekrutierte („Nicht die Urne schütteln! Da ist ein Kunde drin!“). Jetzt ist er selbst nur noch ein Häufchen Asche – und die raffgierige jüngere Geliebte streicht das Erbe ein.

Eine bittersüße Philosophie über Leben, Siechen und Sterben

Dies umfasst grob die Ausgangslage für eine bittersüße Philosophie über Leben, Siechen und Sterben. Der Polt schlüpft in die Rolle des neuen Bestattungsunternehmens- und Seniorenresidenz-Leiters. Nicht von ungefähr liegen beide am Schliersee. Von den grausigen Missständen, die im dortigen realen Seniorenheim für Schlagzeilen gesorgt hatten, wissen auch die zwei Berliner im Publikum. Und wie allen bleibt ihnen das Lachen mitunter hörbar im Halse stecken, wenn wieder ein Sarg durch den Bühnenhintergrund getragen wird. Und der Polt trocken fragt: „Vom Schliersee?“

Gerhard Polt in „A scheene Leich“ an den Münchner Kammerspielen
Gerhard Polt in „A scheene Leich“. © Maurice Hobel

Stefan Merki spielt einen der armen Tröpfe, die von der Verwandtschaft ins „Sonnenstrahl“ abgeschoben wurden (Polt: „Wer seine Angehörigen bei uns abliefert, kann sein Gewissen gleich mit abliefern.“). Sobald Merki im Rollstuhl einrollt, hört der Spaß auf. Weil seine Geschichten wie die mit den Riesenwindeln, in die mehr reingeht, weder lustig noch lustig gemeint sind. Wenn am Personal gespart wird, das die Pampers wechseln kann, muss man als Heimbetreiber eben kreativ werden. Denn: „Bei 1845 Euro Rente wird’s mit der Würde knapp.“

Ja, sie werfen uns hier mitunter knallhart zurück auf das, was uns einmal bevorstehen könnte. Doch tun dies mit so viel Galgenhumor, dass jede Sterbensangst von Lebensfreude erstickt wird. Wenn die Well-Brüder ihre Gstanzl spielen und singen („Carpe diem, liebe Leut’!“), der Polt seine pointierten Pausen setzt („Ich bin ein Humanist ... Vom alten Schlag“) und damit jeden, den er persifliert, entlarvt; und wenn die Laienchor-Darsteller mit größter Spielfreude einstimmen in diesen köstlich hinterfotzigen Leichenschmaus, schmeckt das allen. „Danke für das schöne Geräusch“, sagt am Ende ein strahlender Polt ins jubelnde Publikum. Dieser Humor ist unsterblich. Nächste Vorstellungen am 30. Januar 2023, am 4., 5., 13., 16., 17., 27. Februar 2023 (alle ausverkauft; Restkarten mit Glück) sowie am 8., 12., 17., 21., 29. März 2023; Telefon 089/ 233 966 00.

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