1. tz
  2. München
  3. Kultur

Wir sind so frei: Schuberts „Schöne Müllerin“ mit Konstantin Krimmel und Daniel Heide

Kommentare

Bariton Konstantin Krimmel (li.) und Pianist Daniel Heide.
Zwei, die sich sehr einig sind: Bariton Konstantin Krimmel (li.) und Pianist Daniel Heide. © Guido Werner

Den Zyklus gibt es in unzähligen Einspielungen. Und doch birgt Schuberts „Schöne Müllerin“ bei Konstantin Krimmel und Daniel Heide Überraschungen. Man hört ungewohnte Verzierungen und eine sorgfältige Artikulation bei gemäßigtem Tempo. Krimmel behauptet sich als eine der größten Lied-Hoffnungen.

Der Zweifel nagt erstmals in Nummer fünf. Wenn das Müllerstöchterlein allen, wohlgemerkt: allen eine gute Nacht wünscht. Ein Eifersuchtsmoment, anders lässt sich nicht erklären, warum der verliebte Geselle plötzlich singend auf die Bremse tritt, fast stoppt: Meint die etwa nicht nur mich? Viele andere solcher Ahnungen gibt es, die dunkelste in Nummer 16. Vier Stücke vor dem letzten Lied, so führen es Bariton Konstantin Krimmel und Pianist Daniel Heide fast überdeutlich vor, sind da nur noch Todesnähe und ein letzter Wunsch. Das Grün wird in „Die liebe Farbe“ besungen, hier klingt es wirklich nach Schwarz.

Man kann solche Inhalte auch anders transportieren, mit Silben- und Worthervorhebungen bis zum Zeigefingern, wie es Kollegen tun. Krimmel und Heide gehen subtiler vor. Nichts ist gewiss in ihrer Interpretation von Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“, nicht einmal das Grundtempo eines Lieds. Man lauscht dem teils totgenudelten Zyklus – und wird ständig überrascht. Auch von sonst nie gehörten Verzierungen, Oktavierungen, sogar Ton-Auslassungen. Das steht nicht in den Noten, doch so frei sang man damals. Krimmel weiß das – und tut’s.

Bei Krimmel erstaunen erneut Reife und Reflexion

Vor vier Jahren, mit seiner Balladen-CD „Saga“, katapultierte sich der gebürtige Ulmer ins Zentrum des Liedgesangs. Platzierte ihn die renommierte Schubertiade in Vorarlberg zunächst im Nebenprogramm, gönnt ihm das Festival jetzt mehrere Abende pro Saison. In der Londoner Wigmore Hall, auch so ein Lied-Mekka, ist Krimmel Stammgast. Seit 2021 ist er Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper. Intendant Serge Dorny darf sich auf die Schulter klopfen: Er hat die größte Hoffnung des Baritonfachs an München gebunden, im Oktober singt Krimmel die Titelpartie in der Neuinszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“.

„Die schöne Müllerin“ mag nicht das ambitionierteste CD-Programm sein. Doch Krimmel/Heide können sich mit ihrer Deutung unter den unzähligen Einspielungen locker behaupten. Außerdem: Mit Silberscheiben macht man kaum noch Geld, mit Hits wie diesem wenigstens ein bisschen. Was bei dem erst 30-jährigen Krimmel erneut erstaunt, sind Reife und Reflexion. Der Mann hat schon jetzt vollumfänglich zu seiner Stimme gefunden. Nichts ist verfärbt oder aufgedickt, man merkt es besonders am natürlichen Übergang vom Sprech- zum Singklang.

Eine helle, glasklare, flexible, sofort ansprechende Baritonstimme ist in dieser „Müllerin“ zu hören. Die frei schwingende Höhe ist ein Indiz dafür, dass Krimmel zunächst als Tenor geschult wurde, inzwischen hat er an Festigkeit und Resonanz in tieferen Lagen gewonnen. Nichts ist manieriert. Krimmel, auch das registriert man, ist Ästhet. Rundung und Schönheit des Tons werden selten dem Ausdruck geopfert. Auf ideale Weise trifft er sich da mit Daniel Heide. Das Grundtempo dieser 20 Schubert-Lieder ist gemäßigt. Das gibt Heide am Klavier genügend Raum zur Artikulation. Das Murmeln des Bachs in „Wohin?“ zum Beispiel ist klanglich klar definiert. Auch in dramatischeren Momenten spielt Heide nie angriffslustig. Wo andere wie in „Der Jäger“ fast ins Donnern geraten, hört man hier feinstes Filigranwerk.

Manchmal gibt es eine Tendenz zur Überdeutlichkeit

Abgesehen von Wut und Aufbrausen in „Die böse Farbe“ ist der in die Welt hinausziehende Müllersgeselle bei Krimmel kein Draufgänger. Eher ein Träumer, versonnen, zart, gefangen von der Schönheit der Welt. Einer, der beim gemeinsamen Spaziergang immer zurückbleibt. Und jemand, der alles eine Spur zu ernst nimmt, weil die Humor-Antennen nicht auf Empfang geschaltet sind. Den feinen Witz der „Schönen Müllerin“ hört man in dieser Einspielung nämlich nicht so ganz heraus.

Und wenn man schon beim Kritteln ist: Manchmal hat Krimmel eine Tendenz zur Überdeutlichkeit. Im Bemühen, alles richtig zu machen, werden Vokale und Konsonanten zu demonstrativ geformt – durch den nahezu perfekten Stimmsitz wäre Krimmel eigentlich verständlich genug. Und die starken Verlangsamungen wie in „Der Neugierige“, wenn auf einmal vom „Bächlein meiner Liebe“ die Rede ist, bringen eine Verdopplung der emotionalen Situation, keine echte Intensivierung.

Alles Jammern auf hohem Niveau. Denn so symbiotisch- einig sind sich nur wenige Lied-Duos. Und dass hier zwei Künstler nicht unbedingt zur ultimativen Schubert-Deutung entschlossen sind, sondern auch Experimentelles wagen, macht diese Einspielung nur umso sympathischer. Wenn dann wie in „Trockne Blumen“ Worte plötzlich plastisch und dreidimensional werden, sich dem Hörenden förmlich entgegenstrecken, müssen ohnehin Einwände verstummen – während sich die eine Karrierefrage aufdrängt: Wohin soll das noch führen?

Franz Schubert:
„Die schöne Müllerin“. Konstantin Krimmel, Daniel Heide (Alpha).

Auch interessant

Kommentare