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Schneller, höher, intimer: Vivaldis „L‘Olimpiade“ in Innsbruck

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Bruno de Sá, Raffaele Pe und Bejun Mehta
Arien-Gymnastik für Olympia: Szene mit Bruno de Sá (Aminta, v. li.), Raffaele Pe (Megacle) und Bejun Mehta (Licida) in der Inszenierung von Stefano Vizioli. © Birgit Gufler

In seinem letzten Sommer als künstlerischer Leiter gönnt Alessandro De Marchi sich und seinem Publikum Vivaldis „L‘Olimpiade“ in Starbesetzung. Die Premiere bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik wurde entsprechend gefeiert - aber ob die Oper fürs Barockrepertoire taugt?

Die Goldmedaille taugt fürs Trophäenschränkchen, die Prämie fürs Konto. Satte 180 000 Euro strichen italienische Sieger 2022 bei Olympia in Peking ein. Was nur getoppt wird von den Gepflogenheiten im antiken griechischen Stadtstaat Sikyon, wo mit Naturalien geehrt wurde – mit der Tochter des Königs (Handlung am Ende des Textes). Eine Ausgangssituation, die den Monarchen samt Sportler auf Freiersfüßen inklusive deren eigentliche Liebschaften in ein dickes Handlungsknäuel verstrickt. Der Star-Textdichter Metastasio schuf daraus im 18. Jahrhundert mit „L’Olimpiade“ ein Libretto, das zum letzten Opernschrei wurde – gerade weil es eine Vielzahl an Verzweiflungs-, Verwirrungs-, ja Todesmomenten mit entsprechendem Arien-Futter bietet.

Antonio Vivaldi war einer der Ersten, der den Text vertonte, über 70 Kollegen folgten, darunter Giovanni Battista Pergolesi. Mit letzterer Version startete Dirigent Alessandro De Marchi 2010 seine Intendanz bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Die Vivaldi-Variante gönnte er sich nun in seinem finalen Sommer, und dies in gebührender Promi-Besetzung. Wobei diese „L’Olimpiade“ von 1734 gerade nicht mit exaltierten Nummern, Prunk und überschnappender Virtuosität aufwartet, wie man es sonst von dem italienischen Barock-Komponisten kennt. Die Partitur ist verhangener, gemäßigter. Und wenn einer der Protagonisten mal durch einen Koloraturen-Slalom wedelt, klingt das nach Innenschau, nicht nach Imponiergehabe.

De Marchi hat den Vivaldi-Groove, ist aber kein Überrumpler

Dem Naturell von Alessandro De Marchi kommt das nur entgegen. Der Italiener, der die Aufführung im Landestheater vom Cembalo aus leitet, hat zwar den Vivaldi-Groove, ist aber kein Klangmaler mit Neonlack, kein Überrumpler. Das Festwochenorchester produziert einen runden, noblen, schlanken Klang, animiert von Konzertmeisterin Sara Meloni, die eine Art Co-Dirigentin ist. Die Musik schwitzt nicht, De Marchi interessiert sich für die feinen Farbaufträge und die Melancholie von „L’Olimpiade“.

Auch die Regie besorgt kein Feuerwerker. Stefano Vizioli lässt den Dreiakter dank Bühnenbildner Emanuele Sinisi in einem doppelstöckigen Raum spielen. Der ist anfangs Turnhalle, kann aber auch höfischer Saal oder, wenn Königssohn Licida die Todesstrafe droht, Ritualplatz mit Feuerstelle sein. Für szenische Belebung sorgen ab und zu Muskelmänner an Ringen und am Turn-Pferd. Im zweiten Akt nähen Frauen Nationalflaggen, die für Olympia gebraucht werden. Kostüme (Anna Maria Heinreich), Plakate und Architektur erinnern an die Dreißigerjahre, das Setting lässt an Olympia 1936 im nahen Garmisch-Partenkirchen denken. Doch die faschistischen Details sind nur schwache Regie-Würze, werden nicht auserzählt und entfalten daher rudimentäre Wirkung.

Regie ohne Gag-Druck

Überhaupt wird in der Aufführung deutlich, dass bei Metastasio/Vivaldi die Olympischen Spiele lediglich Konstrukt bleiben und Folie sind für eine lange Folge von emotionalen Ausnahmezuständen. Damit die Sache nicht zu schwarz wird, riskiert Vizioli auch dezente Komik – die vom Premierenpublikum dankbar goutiert wird. Doch meistens lässt die Regie das Gesangspersonal (mutmaßlich nach eigenem Gusto) walten, auch die Da-capo-Teile der manchmal langen Arien werden nicht unter Gag-Druck gesetzt.

Dafür deutet Vizioli ein homosexuelles Verhältnis zwischen Prinz Licida und dessen Vertrautem Megacle an. Als Letzterer im Dampfbad auf einer Massageliege entschlummert, hebt Licida an zu seiner Arie „Mentre dormi“ (Wenn du schläfst). Bei Counter-Star Bejun Mehta wird das mit empfindsamster Phrasenbildung, fein dosiertem Vibrato und musterhafter Intervallkontrolle zur hocherotischen Szene und zu einem Höhepunkt der Aufführung.

Fachkollege Raffaele Pe ist als Megacle auf der kraftvollen Seite unterwegs, wagt auch heftige Dramatik. Die erste echte Bravour-Arie ereignet sich erst im zweiten Akt. Sopranist Bruno de Sá als Licidas Erzieher Aminta sahnt hier mit mühelosen Verzierungen, Ton-Jonglagen, atemberaubenden Ausflügen in Sphären oberhalb des Notensystems und Entertainer-Qualitäten ab.

Die beiden Damen können sich dagegen schwer behaupten. Benedetta Mazzucato gelingt dies als Licida-Geliebte Argene mit warmer, beseelter Mezzo-Kultur, während Margherita Maria Sala als olympische Preistochter Aristea eine Umdrehung dramatischer singt. Christian Senn gibt den König Clistene mit grautöniger Würde, überhaupt ist dies ein hochklassiges Ensemble, dem eine CD-Konservierung zu wünschen wäre. Schon nach den beiden Pausen gibt es Jubel für Alessandro De Marchi, es ist auch eine Verbeugung vor dem scheidenden Chef. Im letzten Jahr als künstlerischer Leiter gibt er wieder den Opernschürfer. Ob Vivaldis „L’Olimpiade“ als Trouvaille fürs Barock-Repertoire taugt? Die Aufführung lässt das allenfalls erahnen – vielleicht mit Athleten am Pult und im Regiestuhl.

Die Handlung: Clistene, König von Sikyon, ist Regent der Olympischen Spiele. Der Sieger bekommt seine Tochter Aristea. Doch die liebt Megacle. Prinz Licida will die Schöne erringen, ist aber zu schwach. Daher bittet er seinen Freund Megacle, für ihn zu kämpfen. Der tut das aus Loyalität – Aristea verzweifelt. Dummerweise gibt es noch Licidas Verlobte Argene. Der König erfährt alles, schickt Licida ins Exil, der daraufhin den Monarchen töten will und verurteilt wird. Argene möchte statt seiner sterben. Am Ende entpuppt sich Licida als verschollener Sohn Clistenes. Er bekommt Argene, Megacle dafür seine Aristea.

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