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Münchner Philharmoniker: Wird er der neue Chefdirigent?

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Von: Markus Thiel, Michael Schleicher

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Lahav Shani bei einem Konzert mit den Münchner Philharmonikern im September 2022
Die Chemie stimmte: Lahav Shani und die Münchner Philharmoniker im vergangenen September in der Isarphilharmonie. Es war das bislang letzte Zusammenspiel der Musikerinnen und Musiker mit dem israelischen Dirigenten. Bislang. © Tobias Hase

Seit sich die Münchner Philharmoniker von Valery Gergiev getrennt haben, ist der Posten des Chefdirigenten vakant. Nun gibt es einen heißen Kandidaten für die Nachfolge.

Wer wird Chefdirigent der Münchner Philharmoniker? Bekanntlich ist der Posten vakant, seit Valery Gergievs Vertrag im vergangenen März aufgelöst wurde, wenige Wochen nach dem Angriff seines Heimatlandes auf die Ukraine. Der 69-jährige Russe hatte sich nach Meinung des Stadtrats nicht ausreichend von Russlands Präsident Wladimir Putin distanziert. Im Dezember hatte dann Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mitgeteilt, dass er damit rechne, dass der Stadtrat im ersten Quartal 2023 über den neuen Chef abstimmen werde.

Dieser Zeitplan scheint nun aufzugehen. Nach Informationen unserer Zeitung stehen die Philharmoniker mit Lahav Shani kurz vor der Unterzeichnung eines Vertrags. Der Israeli dirigierte das Orchester im März 2022 beim „Benefizkonzert für die Ukraine“ – und war zuletzt im vergangenen September in der Isarphilharmonie zu Gast. „Dass die Chemie mit dem Mann am Pult stimmt, zeigte sich ähnlich eindrucksvoll bei der ,Symphonie fantastique‘ von Berlioz“, notierte unser Kritiker damals, nachdem er beobachtet hatte, dass bereits „nach Dvořáks flotter ,Karneval‘-Ouvertüre die Mundwinkel der Philharmoniker mit großer Mehrheit nach oben zeigten“.

Lahav Shani wird von Zubin Mehta gefördert

Lahav Shani kam im Januar 1989 in Tel Aviv-Jaffa zur Welt; sein Vater war Chordirigent. Im Alter von sechs Jahren begann der Bub mit dem Klavierunterricht, lernte später auch Kontrabass. Seine akademische Ausbildung führte ihn an die Buchmann-Mehta-Musikschule der Universität seiner Heimatstadt, bevor er sein Dirigier- und Klavier-Studium an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ aufnahm. Daniel Barenboim wurde sein Mentor. Nach dem Sieg beim Dirigentenwettbewerb „The Mahler Competition“ 2013 in Bamberg war Shani rasch eines der Nachwuchstalente am Pult, über das die Musikwelt intensiv diskutierte.

Im Jahr 2016 debütierte er schließlich beim Rotterdam Philharmonic Orchestra als Dirigent und Solo-Pianist. Knapp zwei Monate später folgte seine Ernennung zum Chefdirigenten von 2018 an – mit damals 29 war er der Jüngste auf dieser Position in der Historie des Orchesters. In der Saison 2020/21 wurde er Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra und damit Nachfolger von Zubin Mehta. Die enge Beziehung zwischen Shani und dem legendären Klangkörper hatte sich über viele Jahre entwickelt, seit er mit 16 dort sein Debüt gab – und fortan immer wieder mit dem Israel Philharmonic musizierte.

Lahav Shani, Dirigent.
Lahav Shani, Dirigent. ©  Hase/dpa/Marco Borggreve

Sollte sich die Verpflichtung Shanis bewahrheiten, käme das einem Paradigmenwechsel bei den Philharmonikern gleich. In den vergangenen Jahrzehnten holten Orchester und Stadt gern teure, etablierte Stars, auch um sich Ruhm und internationale Bedeutung gleichsam zu erkaufen. Dies betraf, nach dem Tod des legendären Sergiu Celibidache, seinen Nachfolger James Levine (Chefdirigent von 1999 bis 2004), Christian Thielemann (2004-2011), Lorin Maazel (2012-2014) und Valery Gergiev (2015-2022). Das wurde zusätzlich mit der Position auf dem Tournee-Markt begründet, um sich dank der Promis internationale Engagements zu verschaffen. (Lesen Sie hier: Unser großes Interview mit Christian Thielemann)

Gut möglich, dass bei der Lösung Shani der Ehrendirigent der Philharmoniker, Zubin Mehta, eine Rolle spielte. Auch ihm ist es zu verdanken, dass der junge Kollege Mehtas Thronfolger beim Israel Philharmonic Orchestra wurde. Seinen dortigen Chefposten dürfte Shani nicht aufgeben, wohl aber den beim Rotterdam Philharmonic Orchestra. Sein Vertrag in den Niederlanden gilt eigentlich bis August 2026.

Ein kleiner Kreis entscheidet über die Dirigenten-Frage

Wer in Münchner Orchesterkreise hineinhört, vernimmt nur Gutes über Shani. Von „ganz toll“ bis „unglaublich begabt“ reichen die Reaktionen. Interessant, dass offenbar die meisten Mitglieder der Philharmoniker bislang im Dunkeln tappten. Dort kümmere sich eine kleine Gruppe um die Verpflichtung des künftigen Chefs, sagte ein Musiker unserer Zeitung. „Nicht einmal ein Gerücht“ dringe nach draußen. Wobei doch zwei Namen in der Debatte auftauchten. Doch mit Daniel Harding und Andris Nelsons kam es wohl zu keiner finalen Annäherung.

Es gibt einen privaten Videoschnipsel von Lahav Shani, aufgenommen zum Purim-Fest 1992. Gerade drei Jahre alt geworden, dirigiert da der Bub mit schwarzer Fliege die Filmmusik zum Disney-Klassiker „Fantasia“: kaum doppelt so groß, wie der Taktstock lang ist, den er munter zwischen linker und rechter Hand wechselt. Doch die Leidenschaft für die Musik, die Empathie – sie sind bereits in dieser Sequenz zu sehen. Wer diese Hingabe des Israeli jetzt erleben will: Am 19. und 20. Januar 2023 gastiert der 34-Jährige beim BR-Symphonieorchester im Herkulessaal. Auf dem Programm stehen Adams, Barber, Rachmaninow.

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