Trauer um Vivienne Westwood: Die Königin der Rebellion

Die eigenwillige britische Star-Designerin Vivienne Westwood ist mit 81 Jahre gestorben. Unser Nachruf auf die Punk-Rebellin, die die Modewelt verändert hat.
Vivienne Westwood. Tot. Und die Gefühle der Autorin dieser Zeilen völlig durcheinandergewirbelt. Denn dieses Jahr 2022, es hatte ihr persönliches „Vivienne-Westwood-Jahr“ werden sollen. Oder besser: die zwölf Monate vom 8. April 2022 bis 8. April 2023. Der 8. April: ihr Geburtstag und der der Star-Designerin. Und weil nach diesem ganzen Corona-Irrsinn ja mal irgendwie wieder Leben in die Bude kommen musste, war klar: Es braucht eine Extraportion Vivienne für den Neustart in einen Alltag, wie wir ihn mal kannten. Wer hätte da eine bessere Inspiration sein können als dieses vogelwilde Gesamtkunstwerk von einer Frau? Westwood, Mensch-gewordener Monat April: Sie machte, was sie will.

In die Welt war das „Vivienne-Westwood-Jahr“ schnell hinausposaunt. Zur Geburtstagssause gab’s von der besten Freundin, was eine echte beste Freundin nach einer solchen Ansage eben schenkt: „Catwalk“, Bildband aller (!) Kollektionen der Modekünstlerin. So inspiriert zog man los, in die Innenstadt, gewillt, viel Geld für ein Kleid der Vivienne Westwood auszugeben. Doch siehe da: kannste vergessen. Ach, München, nicht bereit für so viel (Mode-)Rebellion?
Ja, die Westwood liebte es, zu provozieren. Ihr Vater Schuhmacher, ihre Mutter Baumwollspinnerin, wollte Vivienne, die 1941 nahe Manchester zur Welt kam, schon immer eines werden: Künstlerin. Zwar brach sie ihr Kunststudium nach einem Semester ab, eine Kreateurin wurde sie jedoch auch ohne Universitätszertifikat. Zusammen mit ihrem zweiten Ehemann Malcolm McLaren, späterer Manager der Sex Pistols, eröffnete sie 1970 auf der Londoner King’s Road einen Laden für Schallplatten und von ihr entworfener Mode. Er wurde zum Treffpunkt der Punk-Rock-Szene. Und Westwood zu ihrer Ikone. Die jungen Wilden liebten ihre damaligen Kreationen aus Sicherheitsnadeln, Netzhemden und Nietenarmbändern. So wurde sie zur Erfinderin des Punk-Looks.

Das Designen hatte sie sich selbst beigebracht. Sie tat einfach, was sie schon als Mädchen mit ihrer Schuluniform getan hatte: bestehendem provokante Details hinzufügen. Nähte auftrennen, um Schnittmuster zu verstehen – und nach eigenen Entwürfen Neues kreieren.
Diese Frau mag 2006 von der Queen zur Dame ernannt worden sein – doch im Herzen blieb sie Punk. Eine, die selbst während der Ehrung von höchster königlicher Stelle keine Unterwäsche trug. Es ist eine gern erzählte Geschichte: Als Fotografen sie am Tag der Auszeichnung baten, sich im Kreis zu drehen, damit ihr Rock Marilyn-Monroe-artig für die Fotos flöge, entdeckten sie darunter – nichts. Denn die Westwood trug niemals Höschen unterm Röckchen. Vielleicht aus Provokation, vielleicht aus Bequemlichkeit. In jedem Falle: weil sie sich nichts vorschreiben ließ.
Vivienne Westwood lebte bescheiden in London
Sie tanzte zwischen den Welten und blieb dabei immer ganz bei sich. Zwischen Popkultur und Untergrund, zwischen Königshaus und Arbeiterklasse, zwischen Catwalk und Wiener Burgtheater. 30 Jahre lang lebte sie bescheiden in London; engagierte sich unaufhörlich für Klimaschutz, Frieden, Menschenrechte, und plädierte für ein „Weniger ist mehr“ – statt billige Kleidung in Massen zu kaufen, solle man, so appellierte sie, lieber auf hochwertige, langlebige Stücke setzen.
Würde man ja gern! Und sich am liebsten gleich in all die verspielten Kostüme hüllen, die einem in besagtem Bildband „Catwalk“ entgegenleuchten. Mein Gott, diese Flügelschuhe! Diese Reifröcke! Diese Korsagen und Spitzen und Schulterpolster und Harlekin-Farben und Krönchen! Bausch, Schleifen und immer wieder: Schottenmuster! In der Mode „kommt alles wieder“? Stimmt. Aber niemand hat so virtuos dieses Alles kreuz und quer und kunterbunt zusammengefügt wie Vivienne Westwood.

Klar gab’s Kritiker. Einschnürende Korsagen? Frauenverachtend! Die Dame nahm’s mit britischer Gelassenheit: „Ich wollte die Frauen nie wie Opfer aussehen lassen und die Korsage bewirkt genau das Gegenteil. Außerdem ist sie sehr gut für die Haltung. Sie bringt den Busen zur Geltung.“ Den darf man nämlich zeigen. Wie man überhaupt zu dem stehen darf, was man ist. Darüber wird ja zurzeit gern geredet. Die Westwood aber, die hat’s gemacht. Hat ganz selbstverständlich mit dem 25 Jahre jüngeren österreichischen Designer Andreas Kronthaler zusammengelebt, ihn geheiratet, und gemeinsam mit ihm Designgeschichte geschrieben.
Nun ist die große Modekünstlerin Vivienne Westwood gestorben. Sie hinterlässt zwei Söhne – den Fotografen Ben Westwood und Joseph Corré, Gründer der (ebenfalls hinreißenden) Dessous-Firma Agent Provocateur. In einer Mitteilung auf Westwoods offiziellem Instagram-Account heißt es: „Vivienne tat bis zum letzten Moment weiter die Dinge, die sie liebte, sie designte, arbeitete an ihrer Kunst, schrieb ihr Buch und veränderte die Welt zum Besseren... Die Welt braucht Menschen wie Vivienne, um etwas zum Besseren zu verändern.“ Der Spirit des Vivienne-Westwood-Jahres, er wird nie enden. Weil ihre Energie unsterblich ist.