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Der seriöse Star: Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Sawallisch

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Wolfgang Sawallisch
Als Grandseigneur am Pult des Bayerischen Staatsorchesters – so kannte ihn sein Münchner Publikum. © Anne Kirchbach

Kaum ein anderer Dirigent prägte die Bayerische Staatsoper wie er. Am 26. August vor 100 Jahren wurde Wolfgang Sawallisch geboren. Eine Würdigung.

Immer wieder ist das passiert. Zum Beispiel im zweiten Akt von Wagners „Tristan und Isolde“: Da geriet der Graben des Nationaltheaters ins Glühen. Dort, wo sonst sorgsame Kontrolle war, lief die Musik plötzlich heiß, erreichte höchste Energiewerte. Klänge, die sich zur kritischen Masse ballten. Auch im Trauermarsch der „Götterdämmerung“, aus dem jedes Mal etwas Nihilistisches, Niederschmetterndes, Endgültiges sprach, sodass einem das Blut gefror. Oder man denke an den Finalakt des „Fliegenden Holländers“, der zum nervenzerreißenden Thriller überspannt wurde. Kaum ein anderer konnte das alles in dieser Intensität vorführen.

Vor allem aber: Es passte eigentlich gar nicht zu Wolfgang Sawallisch. Zu diesem Grandseigneur unter den Dirigenten, zu jenem hyperkorrekten, vollendet höflichen Künstler, der stets mit durchgedrücktem Rücken und streng zurückgekämmten Haaren zum Pult eilte und dabei die Autorität eines seriösen Herrn alter Schule verströmte. Am Pult freilich, da konnte er auch über die Stränge schlagen, um gleichzeitig, das war eben seine Kunst, nie die Übersicht zu verlieren. „Ich bin nicht der Typ, der etwas dem Zufall überlässt“, sagte Sawallisch einmal dazu im persönlichen Gespräch. „Ich möchte alles sehr impulsiv, aber doch kontrolliert haben.“ Womit er zu seinem Credo kam: „Ich glaube, dass die Disziplin eine unabdingbare Voraussetzung ist, um Zusammenhänge zu überblicken.“ Und wer Sawallisch kannte, der hört bei diesen Sätzen sein feines, kultiviertes Münchnerisch mit.

1971 wurde Sawallisch Generalmusikdirektor der Staatsoper

An diesem Samstag vor 100 Jahren ist er hier zur Welt gekommen. In München ist er aufgewachsen, an der Isar hat er studiert und seine spätere Frau Mechthild kennengelernt. Und in diese Stadt ist er nach Chefpositionen in Aachen, Wiesbaden, Köln, Wien und Hamburg zurückgekehrt. 1971 als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, später war er zeitweise sogar Operndirektor. 1992 verabschiedete sich Sawallisch von seinem selbst erklärten Heimathaus. Und wer auf seine zwei Münchner Jahrzehnte zurückblickt, muss feststellen: Es war die goldene Ära der Staatsoper. Rein musikalisch gesehen allerdings: Sawallischs Regie-Geschmack deckte sich nicht unbedingt mit dem Inszenierungsstil neueren Datums.

Seine Lieblingskomponisten deckten sich jedoch mit den Münchner Hausgöttern. Strauss, Wagner, Mozart, dort lag das Zentralrepertoire Sawallischs. Und oft dirigierte er alle drei innerhalb eines Monats, manchmal sogar innerhalb einer Woche. Der Chef war fast überpräsent in München. Was den unschätzbaren Vorteil hatte: Das Bayerische Staatsorchester war von ihm geprägt, man kannte sich wie im engsten Familienkreis. Ein „Don Giovanni“ mit nur einer Verständigungsprobe? Unter Sawallisch kein Problem, im Gegenteil: Daraus konnten Vorstellungen entstehen, die Mozartstädte wie Wien und Salzburg beschämten.

Klassischer Karrierebeginn als Korrepetitor

Regelmäßig standen dabei Stars auf der Bühne des Nationaltheaters, weil sie diese musikalische Kontinuität und dieses Niveau schätzten. Sawallisch konnte ständig auf Größen wie Margaret Price, Brigitte Fassbaender, Lucia Popp, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau oder Kurt Moll bauen. Sie alle schätzten vor allem den inspirierenden Handwerker Sawallisch. Bei ihm fühlten sie sich sicher, unter ihm konnten sie ihre ohnehin vorhandene Höchstform noch um ein, zwei Umdrehungen steigern.

Sich selbst empfand Sawallisch nie als Star – obwohl er etwa dank seiner häufigen Japan-Gastspiele dort wie ein Musikgott verehrt wurde. Vielmehr verkörperte er den Kapellmeister im besten, klassischen Sinne. Einer, der als Korrepetitor am Klavier begann, sich dadurch in die Partituren hineinfühlte und dabei auch begreifen lernte, was Sängerinnen und Sänger dort oben auf der Bühne brauchen. Sawallisch war nie ein eitler Selbstverwirklicher, einer, der sich um der Wirkung willen verausgabte. Diener der Musik, dieses Ethos lebte er vor. Und passte vielleicht bald nicht mehr in eine Musikwelt, die nach Glamour und Äußerlichkeiten gierte. Obwohl: Nach seinem Abschied von München startete Sawallisch eine symphonische Zweitkarriere als Musikdirektor des Philadelphia Orchestra – auch in den USA lag man dem fordernden, weisen Erzieher bald zu Füßen. Von 1993 bis 2003 bekleidete Sawallisch diesen Posten.

Wolfgang-Sawallisch-Stiftung in Grassau

In diese Zeit fällt auch sein größter Schicksalsschlag: 1998, mit 77 Jahren, starb seine geliebte Mechthild, die auch so etwas wie Lebenslotsin war. Obgleich Sawallisch weiterhin bei den großen Ensembles der Welt gastierte, auch beim BR-Symphonieorchester übrigens, zog er sich immer mehr in den Chiemgau zurück. In sein schönes Haus oberhalb von Grassau, das ihn bis zu seinem Tod 2013 freilich nicht der Welt enthob: In der Marktgemeinde gründete er die Wolfgang-Sawallisch-Stiftung, die sich noch heute dem musikalischen Nachwuchs widmet. Und auch am Musikleben nahm er weiterhin teil – per Radio- und TV-Sendungen. Wer ihn besuchte, staunte, wie sehr Sawallisch Bescheid wusste. Wie er manches auch kritisierte und wie er Sängerinnen und Sänger der neuesten Generation beurteilen konnte.

In seiner Gebrechlichkeit wollte er sich bald nur noch privat zeigen. Den Abschied von der Bühne, so spürte man, den hat er zwar eingeordnet, aber emotional nie ganz verwunden. Aber er empfing gern Gäste. Und nahm sich, hervorragender Pianist, der er war, irgendwann alle Haydn-Sonaten vor. „Ein langsamer Satz ist dabei, den spiele ich jeden Tag. Weil ich mir immer denke, es müsse noch ein Takt dabei sein, der noch schöner ist, als ich es mir bislang vorstellen konnte.“

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