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Bereitschaftspflegefamilien des Salberghauses in Putzbrunn nehmen kleine Kinder in Not auf
Bereitschaftspflegefamilien des Salberghauses in Putzbrunn nehmen kleine Kinder in Not auf © Salberghaus

Die Bereitschaftspflegestellen des Salberghauses in Putzbrunn sind dann zur Stelle, wenn Säuglinge und Kleinkinder vom Jugendamt in Obhut genommen wurden und kurzfristig versorgt werden müssen. Diese Aufgabe ist ebenso herausfordernd wie erfüllend.

Putzbrunn – Ob wegen Überforderung der Eltern oder zum Schutz vor Vernachlässigung und körperlicher sowie psychischer Misshandlung – rund 47.500 Inobhutnahmen durch das Jugendamt fanden 2021 in Deutschland statt. Das war nach vier Jahren des Rückgangs erstmals wieder ein Anstieg der Fallzahlen. Doch was passiert mit den Kindern, nachdem sie in Obhut genommen wurden?

Für Säuglinge und Kleinkinder aus München und der Region ist das Salberg­haus in Putzbrunn da die erste Anlaufstation. Neben der Aufnahme in eine der stationären therapeutischen Wohngruppen besteht dort für besonders betreuungsbedürftige Kinder auch die Möglichkeit, an eine Bereitschaftspflegestelle vermittelt zu werden. Das sind Familien oder auch alleinstehende Personen, die ein Kind von null bis vier Jahren für einen begrenzten Zeitraum bei sich aufnehmen und betreuen wollen. Das kann von einen Tag auf den anderen passieren, etwa wenn ein Kind aufgrund einer unmittelbaren Gefährdungslage sofort aus einer Familie geholt werden muss.

„Jedes Kind bringt sein Päckchen mit, häufig sind sie traumatisiert“, erklärt Andrea Kirsch, Sozialpädagogin beim Fachdienst Bereitschaftspflege im Salberg­haus. Daher seien für diese Kinder ein stabiler familiärer Rahmen und eine feste Bezugsperson besonders wichtig. Um diese herausfordernde Aufgabe zu meistern, ist ein pädagogischer Hintergrund bei Bereitschaftspflegestellen Voraussetzung.

Ebenso müssen Bereitschaftspflegeeltern aber auch gewillt sein, Kontakte mit den leiblichen Eltern wahrzunehmen. Schließlich ist zum Zeitpunkt der Aufnahme bei einer Bereitschaftspflegefamilie noch nicht klar, ob die Kinder nach diesem begrenzten Zeitraum, in der Regel sechs Monate bis zu über einem Jahr, zurück zu den leiblichen Eltern kommen oder an eine dauerhafte Pflegestelle vermittelt werden. Auch besteht die Möglichkeit, einen stationären Platz in einer Wohngruppe, etwa im Salberghaus, zu bekommen. „Das A und O ist, dass die Herkunftsfamilien akzeptiert werden“, betont Tina Löser, Teamleitung der Bereitschaftspflege. Man müsse in Kontakt zu den leiblichen Eltern treten. „Die Eltern gehören zum Kind und dessen Biografie dazu“, so Löser.

Der Kontakt zu den leiblichen Eltern erfolgt maximal dreimal pro Woche im Besucherzimmer des Salberghauses. Dort können die leiblichen Eltern im geschützten Rahmen ihre Kinder sehen. Ob und wie häufig Besuchskontakte stattfinden, wird mit den leiblichen Eltern und dem Jugendamt als Maßnahmenträger vereinbart. Im Vorfeld der Zusammentreffen gebe es Gespräche zwischen Fachpersonal und den Eltern, erklärt Sozialpädagogin Kirsch. „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit den Zusammentreffen. Die Eltern lieben ihre Kinder und wollen das beste für sie“, erklärt Löser. Den Eltern werde in den Gesprächen vermittelt, dass die Bereitschaftspflege dafür da ist, das Kind in der Krisensituation gut zu versorgen. „Im Laufe der Zeit merken wir teilweise, dass die Eltern dankbar für die Betreuung durch die Bereitschaftspflege sind“, so Kirsch.

Die Bereitschaftspflegestellen erhalten pro Tag eine Pauschalzahlung und werden bei der Ausstattung und fachlichen Begleitung vom Salberghaus unterstützt. Dennoch stellt Sozialpädagogin Kirsch klar: „Die Familien dürfen nicht finanziell auf das Geld angewiesen sein.“ Zudem betont sie: „Die Bereitschaftspflege ist keine berufliche, sondern eine Lebensentscheidung.“ Schließlich betreffe es nicht nur das eigene Leben, sondern auch das der ganzen Familie.


Weil der Prozess, zu dem auch das Abschiednehmen gehört, emotional sehr einnehmend sei, erfolge nach einer längeren Belegung eine Belegungspause, die individuell besprochen wird. „Wir finden, das ist für die Kernfamilie sehr wichtig, damit diese sich regenerieren kann“, erklärt Kirsch. Da momentan von den Bereitschaftspflegestellen mehrere in Belegungspausen sind, sucht das Salberg­haus aktuell Menschen, die bereit sind, diese Aufgabe zu übernehmen. Die Familien werden dazu umfassend von dem Fachpersonal im Salberghaus beraten. „Wir nehmen uns für den Prozess und das Kennenlernen sehr viel Zeit“, verdeutlicht Tina Löser. Die Familien erfahren davon, wie der Alltag bei der Bereitschaftspflege abläuft und was – auch schwieriges – auf sie zukommen wird. „Man muss da ehrlich sein“, sagt Löser.

Doch warum entscheiden sich Menschen dazu, ein kleines, oft traumatisiertes Kind bei sich aufzunehmen, ihm Liebe und Geborgenheit zu schenken, um es dann nach kurzer Zeit wieder abzugeben? „Sie wollen Kindern einen guten zweiten Start ins Leben ermöglichen“, meint Löser. Jedes Kind bringe so seinen Rucksack mit.„Die Aufgabe der Bereitschaftspflegefamilie ist es, diesen mit positiven Erfahrungen zu befüllen.“ Die Leute, die sich darauf einlassen, würden viel Herzblut reinstecken, berichtet Kirsch.

„Viele sehen das als sehr erfüllende Aufgabe und lassen sich auf den ganzen Prozess, auch den Abschied, emotional ein“, so die Sozialpädagogin weiter. Der Abschied bedeute auch nicht, dass sie von heute auf morgen nicht mehr im Leben des Kindes vorkommen dürfen. Stattdessen würde für einen sanften Übergang gesorgt. „Viele haben über einen weiten Zeitraum noch losen Kontakt zu ihrer Bereitschaftspflegestelle“, so Kirsch. Den schönsten Satz zu ihrer Motivation habe ihr einmal eine Familie beim Erstgespräch gesagt: „Wir haben Platz in unserem Haus und Platz im Herzen.“

Iris Janda

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