Mittlerweile hat sich Tatiana gut im Gymnasium eingelebt, sie hat sogar ihr Lieblingsfach – Chemie. „Es macht mir Spaß, weil wir im Unterricht so viel tolle Experimente machen! In der Ukraine haben wir im Fach nur Theorie gelernt“, sagt die Schülerin. Nun hat sie auch eine gute Freundin in der Klasse gefunden und beteiligt sich gerne an der DAF-Lernstunde (Deutsch als Fremdsprache). Die Sprache ist für Tatiana nicht ganz neu, bereits in Ternopil hat sie Deutsch als Wahlfach genommen, ohne es damals zu wissen, dass diese Kenntnisse für sie bald an Wichtigkeit gewinnen. „Ich mag diese Sprache, im Vergleich beispielsweise zum Englischen sogar viel mehr“, sagt das Mädchen.
Mit seinen Englischkenntnissen konnte aber der 14-jährige Mischa bereits an seinen ersten Schultagen am Pater-Rupert-Mayer-Gymnasium glänzen. Kurz nach Kriegsbeginn hat er mit seiner Mutter und Katze namens Lapka (auf Deutsch „Pfötchen“) seine Heimatstadt Odessa verlassen. „Ich wollte immer irgendwann mal ein Austauschjahr im Ausland verbringen oder vielleicht sogar studieren, deswegen lernte ich Englisch sehr fleißig“, sagt Mischa. Englisch ist sein Lieblingsfach auch in der neuen Schule. Freiwillig schreibt er auch Schulaufgaben in diesem Fach und bekommt positive Rückmeldungen von den Lehrkräften.
Deutsch schnell zu verstehen, hilft ihm ein Mitschüler, der im Lande geboren wurde, aber ursprünglich aus einer russischen Familie stammt. „Am ersten Tag ist er zu mir gekommen und hat zuerst auf Englisch und danach auf Russisch seine Hilfe angeboten. Jetzt sind wir gute Freunde“, erzählt Mischa.
Der 14-jährige Yegor besucht die Schule zusammen mit seiner Mutter Oksana, die deutsche Sprache an einer Universität in der Ukraine studiert hat und nun als DAF-Lehrerin am Pater-Rupert-Mayer-Gymnasium tätig ist. „An den ersten Schultagen stand ich unter Schock“, erzählt Yegor, der mit seinen Eltern am 24. Februar von lauten Explosionen in der Heimatstadt Charkiw aufgeweckt wurde und am nächsten Tag die Ukraine mit seiner Mutter verlassen hat.
„Ich habe mich so gefühlt, als ob ich ins kalte Wasser geschmissen worden wäre. ‚ Auf die Schule zu gehen, wo alles in einer Fremdsprache unterrichtet wird, kann es überhaupt funktionieren?‘, habe ich mich damals gefragt“, erinnert sich der Junge.
Mittlerweile hat sich Yegor an der Pullacher Schule gut eingelebt, da er sich hier gut aufgehoben und betreut weiß. „Die Lehrer bemühen sich sehr, um uns zu helfen, möglichst gut zu lernen. Sie und unsere Mitschüler geben uns Halt und vermitteln ein Gefühl, dass wir nicht alleine sind“, beteuert der Schüler. In seinem Lieblingsfach Mathe erzielt er bereits große Erfolge, da „Lernstoff nicht so kompliziert und Unterrichtstempo nicht so hoch ist wie in der Ukraine“. Dort hat Yegor ein technisch-mathematisches Gymnasium besucht. Ob die Kinder in Deutschland bleiben oder schnellst möglich nach Hause kehren wollen – auf diese Fragen gibt es noch keine Antwort.
Tatiana sieht ihre Zukunft eher in Deutschland, da ihr Heimatland in Schutt und Asche gelegt worden sei und die Menschen dort kein normales Leben jahrelang führen würden. Sie wolle aber weiter Fremdsprachen lernen, um später Stewardess zu werden.
Auch Mischa kann sich gut vorstellen, noch ein paar Jahren auf die Schule in Deutschland zu gehen, jedoch unter einer Bedienung: Er dürfe währenddessen in die Ukraine reisen. „Das Leben, wie wir es vor dem Krieg kannten, ist für immer verloren. Alles ist ungewiss“, sagt Yegor und Tränen steigen ihm in die Augen. „Unser größter Wunsch wäre, wieder am 23. Februar zuhause aufzuwachen und wissen, dass der 24. Februar, nie kommt“, fügt Yegors Mutter hinzu. Neben dem Besuch des Pullacher Gymnasiums, nehmen die drei Kinder teil am Distanzunterricht an den ukrainischen Heimatschulen. „Es ist uns enorm wichtig, dass die Kinder auch ein ukrainisches Schuldiplom erhalten. Keiner weiß, was uns die Zukunft bringt“, sagt Oksana.
PULLACH Die Brückenklasse der Pater-Rupert-Mayer-Schule ist eine von 34 im Landkreis München. Insgesamt werden in diesen 490 geflüchtete ukrainische Kinder unterrichtet. Wöchentlich werden zehn Stunden Deutsch, vier Stunden Englisch und fünf Stunden Mathe unterrichtet. An der vom Münchner Erzbistum getragenen Schule sind auch Dritt- und Viertklässler – insgesamt besuchen laut Landratsamt 480 Kinder aus der Ukraine die Grundschulen im Landkreis – untergebracht, weil sie neben einer Realschule und einem Gymnasium eine Grundschule umfasst.
Nach einem Jahr in der Brückenklasse sollen die Kinder dann fit für den üblichen deutschsprachigen Unterricht sein. Laut Viola Becker-Schwab, die DAZ (Deutsch als Zweitsprache)-Koordinatorin an der Pater-Rupert-Mayer-Schule, sei es möglich, dass das Staatsministerium für Unterricht und Kultus Ukrainisch als zweite Fremdsprache am Gymnasium anerkenne. In diesem Fall dürften die Kinder, die bereits Erfolge im Deutschunterricht erzielt hätten, als Gasthörer weiterhin an der Schule bleiben. Ob es tatsächlich dazu kommen werde, sei bislang aber ungewiss.
NYMPHENBURG Das ebenfalls vom Münchner Erzbistum getragene Maria-Ward-Gymnasium in Nymphenburg besuchen 16 ukrainische Mädchen im Alter von elf bis 15 Jahren. Sie haben täglich sechs Schulstunden Unterricht. Von den 30 Stunden pro Woche finden 24 im Klassenverband statt (Deutsch, Englisch, Mathematik), die restlichen Stunden hospitieren die Schülerinnen im Regelunterricht in unterschiedlichen Fächern. Schulleiterin Angelika Eckardt berichtet: „Aufgrund des Einsatzes unserer ukrainischen Lehrerin, die Deutsch und Englisch unterrichtet, lernen die Mädchen schnell und intensiv. Dennoch wird die Beurteilung am Ende des Schuljahres, für welche Schulart die Schülerinnen geeignet sind, schwierig werden.“ Im zweiten Halbjahr gehe es darum, wer in Regelklassen übernommen werden könne und wer eher für einen anderen Schultyp geeignet sei. „Für die 15-Jährigen könnte auch eine Berufsausbildung in Frage kommen“, ergänzt die Rektorin.
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