Die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion, die nun am vergangenen Donnerstag stattfand, warf Fragen auf, mit denen sich auch die Gemeinde konfrontiert sieht. Wie können Akteure auf den verschiedenen Seiten des Konflikts miteinander umgehen? Welche Handlungsoptionen gibt es? Kann die kommunale Ebene von den Auswirkungen der „großen“ Politik getrennt werden?
Moderiert vom Historiker Florian Kührer-Wielach stellten sich der Schriftsteller Alexander Estis, die Präsidentin der Bundeswehr-Universität und Historikerin Merith Niehuss, Hermann Rumschöttel, ehemaliger Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayern sowie langjähriger Vorsitzender des Gemeinde Partnerschaftsvereins und die Referentin für Mittel- und Osteuropa der Bundeszentrale für politische Bildung, Kateryna Stetsevych, diesen Fragen.
„In der aktuellen Situation hat man Schwierigkeiten, sich die Aufbruchstimmung von damals vorzustellen“, erklärte Rumschöttel eingangs zur Gründung der Städtepartnerschaft mit Tschernogolowka. Mehrere Faktoren seien damals Auslöser gewesen, unter anderem die engen Verbindungen der Universität der Bundeswehr zu der russischen Wissenschaftsstadt. Man habe die „weltpolitische Sternstunde“ der frühen 90er-Jahre nutzen wollen.
Auch Universitätspräsidentin Niehuss berichtet von der großen Aufbruchstimmung, die seit 1990 in der Wissenschaft spürbar war. Gleichzeitig hätte die russischen Institute aber finanziell auch sehr unter Glasnost und Perestroika gelitten, weil Gelder weggebrochen waren.
Inwiefern Wissenschaft und Kultur politisch involviert sind, war eine der großen Fragen des Abends. Rumschöttel zeichnete das Bild von einem Meer, in dem in der Tiefe – also auf Ebene der Wissenschaft und des städtepartnerschaftlichen Austauschs – die Abläufe sehr ruhig seien, während an der Oberfläche, der „großen“ Politik, die wilde See tobe.
„Die Ruhe ist jetzt aber vorbei“, stellte Niehuss klar. Bei kritischen Bereichen in der Forschung, etwa der Satellitentechnik, sei die wissenschaftliche Zusammenarbeit eingefroren. Es werde darauf geachtet, wer in diesen Bereichen an der Bundeswehr-Uni tätig ist. Derzeit gebe es acht russische Studenten und Doktoranden dort. „Acht habe ich zum Gespräch eingeladen, vier sind gekommen“, berichtet Niehuss.
Alexander Estis, der russische, ukrainische und jüdische Wurzeln hat, meinte, dass die Frage, ob Kunst politisch sei, ein Dilemma aufmache: Ist etwas politisch oder wird es politisiert? Es komme immer darauf an, in welchem Kontext ein Werk eingebettet und inwiefern es instrumentalisiert werde.
Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es nun? Kateryna Stetsevych appellierte, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und Ost- und Mitteleuropa nicht weiter zu übersehen. Als sie 2003 aus der Ukraine nach Deutschland kam, hätten viele sich unter ihrem Heimatland nichts vorstellen können und es mit Russland gleichgesetzt.
Autor Estis, der ein Buch über die russische Seele geschrieben hat, warb genauso wie Rumschöttel dafür, auch auf das andere Russland zu schauen. Es gebe auch eine russische Opposition, doch sei von dieser kaum etwas zu hören, weil die Menschen verhaftet werden und ihre Sprachrohre zerstört seien.
Nach Ende der Diskussion meldete sich eine Zuhörerin namens Elena, die vor sieben Jahren aus Russland nach Deutschland kam. Sie habe dort unter der staatlichen Propaganda gelebt, aber gemerkt, dass das was dort passiert, für sie und ihre Kinder nicht gut sei. „Es heißt schon seit vielen Jahren ,Der Westen ist gegen uns‘, das bleibt in den Köpfen“, erklärt sie.
Nur 30 Prozent der Russen hätten einen Reisepass und damit überhaupt die Möglichkeit, den Westen kennenzulernen. Gerade deshalb sei Neubibergs Städtepartnerschaft mit Tschernogolowka so wichtig. „Ich verurteile den Krieg“, schloss sie ihren Beitrag, „und in Russland würde ich für diesen Satz schon verhaftet werden.“
Iris Janda
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