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Professorin an der Bundeswehr Universität Neubiberg untersucht emotionale Auswirkungen der Selbstisolation

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Ein Mann und eine Frau mit grauen Haaren umarmen sich in einer Fußgängerzone innig.
Seit Pandemiebeginn wird dieser Hunger nach Berührung nicht gestillt. An der Bundeswehr Universität in Neubiberg wird untersucht, welche Auswirkungen die Selbstisolation hat. © pixabay

Abstand halten und auf keinen Fall berühren: Seit Pandemiebeginn sind soziale Berührungen auf ein Minimum reduziert. An der Bundeswehr Universität werden in einem internationalen Forschungsprojekt die emotionalen Folgen der Selbstisolation untersucht. Ein App soll dabei helfen, den Berührungssinn zu trainieren.

Seit über einem Jahr heißt es: weniger soziale Kontakte, keine Umarmungen mit Freunden und Verwandten und so wenig Berührungen wie möglich. Das soziale Leben und Miteinander hat sich seit Ausbruch der Pandemie im März 2020 stark verändert. Was macht das mit unserer Psyche?

Mit dieser Frage beschäftigt sich Prof. Merle Fairhurst, die als Professorin für biologische Psychologie an der Universität der Bundeswehr München lehrt. Um das herauszufinden, startete sie bereits im Mai 2020 in Zusammenarbeit mit der LMU München und der Liverpool John Moores University eine Studie, die untersucht, welche Auswirkungen die Selbstisolation auf das mentale, psychologische und emotionale Wohlbefinden der Menschen hat.

Seit Beginn des Projekts wurden über 1700 Personen getestet. Während der Vorbereitungen zur Studie wurde die App „HandsOn“ entwickelt, mit der „Umleitungsmechanismen“ trainiert werden können. Im Interview erzählt Prof. Fairhurst, welcher Altersgruppe Berührungen besonders fehlen, warum der fehlende Körperkontakt für manche auch Vorteile hat und wie eine App genau dabei helfen soll, den Berührungssinn zu trainieren.

HALLO: Prof. Fairhurst, können Sie einen Zwischenstand geben, zu welchen Ergebnissen Sie bis heute mit ihrer gekommen sind?

Prof. Merle Fairhurst: Seit Beginn unseres Projekts haben wir über 1700 Personen getestet. Die Studie befindet sich jetzt in der dritten von vier Datenerhebungsphasen. Unsere Studie ist die einzige, die sich mit dem anhaltenden Effekt der Selbstisolation, Änderungen des Berührungsverhaltens und den daraus resultierenden Auswirkungen auf das Wohlbefinden befasst.

In der ersten Phase sehen wir, dass eine erhebliche Anzahl von Menschen einen Hunger nach Berührung verspürte. Unsere Daten zeigen, dass dieser „Hunger“ jedoch spezifisch für Familienmitglieder ist. Wir vermeiden tatsächlich aktiv die Berührung durch einen Fremden. Diejenigen, denen die Berührung fehlt, sind einsamer und diejenigen, die sich weniger mit anderen verbunden fühlen, sind gestresster und depressiver.

Welche Altersgruppe trifft der Verzicht auf Berührung und Körperkontakt am härtesten? Und warum ist das so?

Wir hatten Menschen von 15 bis 76 Jahren getestet. Interessanterweise stellen wir einen signifikanten Alterseffekt fest, so dass jüngere Menschen die Auswirkungen der Selbstisolation am meisten zu spüren scheinen. Jüngere Menschen sind einsamer, depressiver und mehr lethargisch. Die Hypothese, die wir haben und jetzt in einem Folgeexperiment testen, lautet, dass jüngere Menschen vor Covid eher an mehr täglichen sozialen Kontakt gewöhnt waren und daher Erwartungen haben, die nicht erfüllt wurden.

Sie sagen, wenn wir umarmt werden, löst dies eine chemische Reaktion aus, die die sozialen Interaktionen erhöht, Stress reduziert und sogar die Schmerzempfindlichkeit modulieren kann. Was passiert, wenn diese Umarmung nicht mehr stattfindet?

Glücklicherweise haben wir biologisch viele Möglichkeiten, denselben chemischen Cocktail zu stimulieren. Selbstpflege, Essen und Sport verringern das Cortisol und reduzieren den Stress, während Oxytocin, das Glückshormon, erhöht wird.

Dies sind möglicherweise keine langfristigen Korrekturen, aber wir sehen aus unseren Daten, dass diejenigen, die die Herausforderungen der Selbstisolation am erfolgreichsten bewältigen, Wege finden, um einen Mangel an Berührung auszugleichen.

Historisch nachweisbar ist aber, dass die Geschichte des Händeschüttelns bis in die Antike zurückreicht. Wie groß wird die Veränderung hinsichtlich Berührungen sein, wenn die Pandemie zu Ende ist? Wird es dann ein Ritual wie das Händeschütteln überhaupt noch geben? Oder werden wir in der Zukunft andere Begrüßungsrituale entwickeln?

Ich glaube, das Händeschütteln ist nur eine der Möglichkeiten, wie wir einen sozialen Austausch initiieren können. Ein anderer ist durch Augenkontakt. Ich hoffe, wenn wir nicht in der Lage sind, Berührungen zu verwenden, werden wir andere Wege finden, um zu sagen: „Ich bin bereit zuzuhören“. Vielleicht sind wir sogar sensibler dafür, ob jemand bereit und willig ist, sich auf eine soziale Interaktion einzulassen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass manche Menschen sehr erfreut sind, andere Menschen nicht berühren zu müssen. Aus unserer Stichprobe geht hervor, dass 85 Prozent unserer Befragten sagen, dass sie weniger Kontakt bekommen, wie sie wollen, aber 15 Prozent fühlen sich immer noch zu oft berührt. Nicht jeder hat den gleichen Hunger nach Berührung.

Mit den Ergebnissen Ihrer Umfrage wird eine App entwickelt, mit der „Umleitungsmechanismen“ trainiert werden können. Wie kann man sich diese App vorstellen?

Die App wurde während der Vorbereitung der Studie entwickelt und war eine Möglichkeit, die wir in Zeiten der Not zurückgeben konnten. Wir haben eine Gelegenheit gesehen, denjenigen zu helfen, die sich von ihrem Tastsinn getrennt fühlen, so dass sie Stress abbauen und sich eher auf die Qualität der Berührung als auf ihre Quantität konzentrieren können.

Wir hoffen, dass die App durch Expertenvideos, in denen die Wissenschaft hinter Berührungen erklärt wird, und praktische Übungen, die Menschen bequem von zu Hause aus durchführen können, ihnen hilft, diese schwierige Situation besser unter Kontrolle zu halten.

In Ihrem Forschungsprojekt „Hands on“ geht es darum, den eigenen Berührungssinn zu trainieren, was zu mehr Achtsamkeit, zur Stressregulierung und zum besseren Kennenlernen des eigenen Körpers verhelfen soll. Eine Alternative gerade jetzt in Corona-Zeiten?

Das ist die Hoffnung, ja. Die Kernbotschaft ist, dass wir versuchen können, das Beste aus dieser schwierigen Situation zu machen, um die Berührung wieder in den Fokus zu rücken und uns grundlegende Fragen darüber zu stellen, so etwa: Was bedeutet für uns Berührung? Von wem werden wir gerne berührt? Auf diese Weise könnten wir es noch höher schätzen, wenn wir endlich in der Lage sind, die Menschen, die wir gerne haben, zu erreichen und zu umarmen.

ija

Den Tastsinn trainieren

Die Anwendung „Hands­On“ kombiniert Berührungs-Übungen mit Experteninterviews in Form von Kurzvideos sowie mit einer Tagebuchfunktion. Diese drei Funktionen sollen Nutzern dazu verhelfen, den Einblick in die neuesten Forschungsergebnisse zur Kraft der Berührung zu gewinnen und ihren Berührungssinn anzutrainieren.

So können Anwender Erkenntnisse über Einfluss von Berührungen auf das Wohlbefinden erlangen. Die App wurde bislang noch nicht in den App-Stores veröffentlicht. Wer sie in der Beta-Version testen möchte, kann sich per E-Mail an Olga Lantukhova unter olga.lantukhova@unibw.de wenden. Die Experteninterviews können außerdem auf dem You­tube-Kanal „Hands On Virtual Touch“ angesehen werden. 

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