Theater, das nicht den Mainstream bedient

In Ottobrunn startet die Kultur-Saison traditionell mit einer Eigenproduktion des Regisseurs Bernd Seidel. Gemeinsam mit seinem Ensemble inszeniert der in Spanien lebende Künstler dort ein Stück des Österreichers Werner Schwab. Wenige Tage vor der Premiere fliegen Regisseur und Schauspieler dann von Spanien nach Deutschland.
Das Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ des österreichischen Dramatikers Werner Schwab wurde 1991 in München uraufgeführt. Die Radikalkomödie gehört nicht zu den Stücken, die in jedem Theater in einer Saison auf dem Spielplan stehen. Aber genau das macht für den Regisseur Bernd Seidel den Reiz aus. Seit mehr als 30 Jahren ist er für die Kultur im Wolf-Ferrari-
Haus in Ottobrunn verantwortlich. Und wie immer hat Seidel den Anspruch, „nicht den Mainstream zu bedienen“ oder „Theater von der Stange“ zu machen. Seit Jahrzehnten bemüht sich der 1953 geborene Theaterregisseur, seinem Publikum ein Theater zu bieten, das auch mal nicht einer Erwartungshaltung entspricht.
Das aktuelle Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ liefert ein Unsittenbild eines Mittelstandes, in dem den Menschen alle Freiheiten, ihr Leben zu verwirklichen, gegeben werden, sie diese aber nicht nutzen können. Die überzogenen Figuren scheitern an ihrer Dummheit, Borniertheit und Engstirnigkeit.
„Es ist eine witzige, freche Inszenierung“, so Seidel, der von Andalusien aus das Gespräch führt. Seit Jahren wohnt Seidel mit seinem Mann, dem Schauspieler Patrick Gabriel, in Spanien. Dort, in ihrem Haus, proben sie derzeit die neue Inszenierung mit dem Ensemble. „Es macht uns viel Spaß, eine lustige, aber auch makabre und ebenso spannende Inszenierung zu entwickeln, die gut anzuschauen ist“, so der Regisseur. In Andalusien arbeiten sie an dem Stück bis vier Tage vor der Premiere. „Gemeinsam fliegen wir dann nach Deutschland, die Haupt- und Generalproben finden dann schon auf der großen Bühne im Wolf-Ferrari-Haus statt.“
Die Kostüme tragen die Schauspieler bereits auf der Probebühne in Andalusien, bei Requisiten und Bühnenbild wird noch improvisiert. Erst in Ottobrunn dann wird alles — dank der guten Zusammenarbeit mit dem Ottobrunner Team —die endgültige Gestalt annehmen. Doch typisch ist für Seidels Stil ohnehin, dass er nicht naturalistisch inszeniert, also ein realistisches Bühnenbild benötigt. „Ich bin ein Freund der Abstraktion“, betont er, und so immer auf der Suche nach Stücken, die zu seinem Stil passen. Das Werner-Schwab-Stück sei ideal, denn es habe eine Allgemeingültigkeit. „Die Sprache der Figuren ist zwar gewöhnungsbedürftig, das Stück durchaus sarkastisch, aber nach so etwas suche ich immer.“
Seidel hat sich in seiner Karriere bewusst gegen eine Intendanz an einem Stadt-
theater entschieden, um als Theaterregisseur auch mal „anders arbeiten“ zu können und sich Flexibilität zu bewahren. „Ich wollte nicht an eine Institution gebunden sein“, betont er. Die Verantwortung für das kulturelle Programm am Wolf-Ferrari-Haus zu tragen, das von Horst Frank geleitet wird, bereite ihm indes seit Jahrzehnten große Freude. „Ich muss für die gelungene Zusammenarbeit ein großes Lob aussprechen“, so Seidel.
Der Theatermacher ist auch mal darauf gefasst, Kritik einzustecken. Oder dass eben über ein Stück, einen Kulturabend oder eine Inszenierung diskutiert werde. Doch genau das ist für Bernd Seidel Theater. „Ich habe in all den Jahren nie aufgegeben. Theater darf auch experimentell oder alternativ sein“, stellt der Theaterregisseur klar. Und er sieht es ebenso als seine Aufgabe an, dem Publikum etwas zu präsentieren, das es bisher so nicht kannte.
Vor der Corona-Pandemie hatte Seidel nach seiner erfolgreichen „Macbeth“-Inszenierung ein Stück mit einem schweren Stoff vorgesehen. Aids und Vergewaltigung wären die Themen gewesen, um die es in der geplanten Inszenierung gegangen wäre. „Doch das haben wir jetzt abgeblasen“, so Seidel.
Nun also ist es das Werner-Schwab-Stück, mit dem Seidel und sein Ensemble nach der langen Corona-Pause wieder auf die Bühne zurückkehren. „Künstlerisch haben wir natürlich gehungert“, sagt der Theatermann über die vergangenen Monate. Doch so bitter es für ihn, seinen Mann und andere Kollegen war, er habe es natürlich immer eingesehen, dass mit Corona ein Theaterbetrieb nicht möglich war.
Nun allerdings schwingt beim Kultur-Neustart auch ein wenig die Hoffnung mit, dass es in der Kulturszene Raum für Veränderungen geben könnte. Seidels Wunsch wäre es, noch enger mit den Kollegen aus den Nachbargemeinden zusammenzuarbeiten. „In der Krise sollte man doch zusammenrücken“, so sagt er. „Das wäre doch viel besser, als wenn jeder nur für sich kleine Brötchen backt.“ Ebenso wäre es ihm ein Anliegen, Theater noch mehr in Kindergärten und Schulen zu bringen. „Wir werden sehen, wie es für die Kultur weitergeht.“ Eine Krise mache ja auch Aussicht auf einen Neuanfang unter veränderten Bedingungen. Doch dazu müsse es auch ein Publikum geben, das neugierig sei. Und wer Kultur wolle, so Seidel, der müsse auch hingehen, wenn es Kultur gebe.
Premiere für das Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ ist am Samstag, 23. Oktober, um 19.30 Uhr im Wolf-Ferrari-Haus am Rathausplatz 2 in Ottobrunn. Karten gibt es unter Telefon 60 808 302 sowie im Internet unter www.reservix.de. Die Inszenierung ist danach im Münchner „theater...und so fort“ zu sehen.