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Heftiges Heuschnupfen-Jahr - trotz Dauerregen im Frühjahr: Expertin erklärt „neues“ Phänomen

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Von: Andreas Steppan

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Hatschi! Das können Sie bei Verdacht auf Heuschnupfen tun
Schwere Zeiten für Allergiker: Die Pollensaison setzte wegen des warmen Winters heuer besonders früh ein. © Zacharie Scheurer

Die Expertin Prof. Edda Weimann erklärt, warum Allergiker heuer besonders leiden. Sie spricht auch von einem Zusammenhang zwischen Heuschnupfen und dem Klimawandel.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Das Frühjahr ist Heuschnupfenzeit. Heuer allerdings waren von vielen Allergikern schon viel früher im Jahr Klagen über Pollenflug zu hören – und die allergischen Reaktionen fielen oft besonders heftig aus. Auch das ziemlich verregnete Frühjahr schien keine echte Linderung zu bringen.

Heftiges Heuschnupfen-Jahr: Expertin erklärt, woran es liegt

Edda Weimann, Professorin für Kinderheilkunde und planetare Gesundheit an der TU München, bringt dieses Phänomen ganz klar mit dem Klimawandel in Verbindung. Die Folgen der Erderwärmung auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist das Spezialgebiet der renommierten Expertin. 2022 hatte sie zu diesem Thema die Fachtagung „Gaißacher Tage“ organisiert.

Frau Prof. Weimann, täuscht der Eindruck, oder ist heuer tatsächlich ein besonders heftiges Heuschnupfen-Jahr?

Der Pollenflug fing in diesem Jahr ganz besonders früh an. Zu Weihnachten und Silvester bis in den Februar hinein hatten wir ungewöhnlich warme Temperaturen. Das hat die Pflanzen stimuliert und ihnen signalisiert: Jetzt ist Frühjahr. Deswegen haben teils im Dezember schon Haselnuss und Erle geblüht, und auch die Birkenpollen flogen besonders früh. Allgemein kann man sagen: Dadurch, dass wir immer wärmere Winter- und auch Herbstmonate bekommen, fängt die Pollensaison früher an und hört später auf.

Lebensbedingungen für Birken verschlechtert

Die Pollensaison ist also länger. Ist sie auch intensiver?

Ja, teilweise ist sie auch intensiver. Das haben zum Beispiel Untersuchungen mit Birken gezeigt. Prinzipiell haben sich die Lebensbedingungen für die Birke aufgrund der zunehmenden Trockenheit verschlechtert. Darauf reagiert sie, indem sie aggressivere Pollen produziert.

Heftiges Heuschnupfen-Jahr - trotz Dauerregen im Frühjahr: Expertin erklärt „neues“ Phänomen

Von Trockenheit ist in diesem Frühjahr nicht so viel zu spüren. Das ständige Regenwetter müsste Allergikern doch Erleichterung verschaffen, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Wie kann das sein?

Dauerregen klärt eigentlich die Luft, und das ist gut für Allergiker. Aber auch das kann man nicht mehr so generell sagen. Evolutionär ist es so, dass sich Organismen auf veränderte Bedingungen einstellen, etwa darauf, dass es häufiger Starkregen gibt – wir hatten ja jetzt sogar schon Gewitter, im Mai ist das ungewöhnlich. Die Natur reagiert darauf, indem sich die Art und Weise ändert, wie Pollen weiterverbreitet werden. Es ist zu beobachten, dass Pollen mit dem Regen als Ganzes auf die Erde fallen, dort geradezu explodieren und noch mehr Allergene freisetzen. Das ist ein neues Phänomen.

Prof. Edda Weimann, Professorin Kinderheilkunde
Prof. Edda Weimann, Professorin Kinderheilkunde. © arp

Hat der Klimawandel noch mehr Auswirkungen auf Heuschnupfen-Geplagte?

Das CO2 in der Luft ist geradezu ein Düngemittel für Pflanzen – je mehr CO2 in der Luft ist, desto stärker blühen sie und setzen mehr Pollen frei. Dazu kommt, dass sich aufgrund der Klimaerwärmung auch in unseren Breiten neue Pflanzen wie die Ambrosia ansiedeln, die hochpotente Allergene verteilen.

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Klimawandel wirkt sich auch auf Allergien aus

Durch den Klimawandel steigen also die Probleme für Allergiker?

Absolut! Früher wurde ja oft gesagt, dass besonders Kinder und Jugendliche von Heuschnupfen betroffen sind, und es sich in vielen Fällen mit dem Erwachsenenalter „auswächst“. Was wir heute sehen, ist, dass alle Altersklassen betroffen sind und auch insbesondere immer mehr ältere Menschen unter Allergien leiden. So kann es nicht weitergehen. Allein schon, wenn man berechnet, was es im Gesundheitssystem für Kosten verursacht, wenn die Allergiker immer länger den Allergenen ausgesetzt und somit erkrankt sind.

Was kann man gegen diese Entwicklung tun?

Es ist ganz einfach: Je weiter der Klimawandel fortschreitet, desto mehr Patienten bekommen wir. Deswegen ist es extrem wichtig, die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten. Der jüngste Weltklimabericht des IPCC (Zwischenstaatlicher Sachverständigenrat für Klimaänderungen, Anm. d. Red.) sieht schon für die nähere Zukunft Gewaltiges auf uns zukommen. Wir rutschen hier zum Beispiel ganz schnell in spanische Klimaverhältnisse. Das ist keine Frage des Wohlbefindens, sondern es geht um unsere Gesundheit und unser Überleben. Wir müssen wahrnehmen: Die Klimakrise ist eine Gesundheitskrise. Und die Gesundheit ist doch das Wichtigste, noch wichtiger als die Wirtschaft, denn ohne eine gesunde Bevölkerung und eine gesunde Umwelt gibt es auch keine gesunde Wirtschaft. Was man tun kann und sollte, ist daher: aufklären, Wissen verbreiten und an die Politik appellieren, die Klimaschutzziele strikt einzuhalten.

Wie kann ich kurzfristig als Betroffener reagieren?

Wenn man anfällig ist – übrigens sind Menschen in der Stadt gefährdeter als auf dem Land, da ihre Atemwege wegen Schadstoffen in der Luft, CO2- und Feinstoffbelastung schon angegriffen sind und sich auch Pollen besser verbreiten –, kann man sich über Apps oder Webseiten über den Pollenflug informieren und gewisse Gegenden meiden oder ganz zu Hause bleiben. Je nachdem, wie schwer man durch den Heuschnupfen eingeschränkt ist, kann man Antihistaminika einnehmen, das sind Medikamente, die die Allergenfreisetzung bremsen, oder ein Nasenspray mit lokalem Cortison benutzen. Wenn man arg leidet, ist eine Hypo- oder Desensibilisierung sinnvoll. Auch Biologika sind eine Therapieoption – aber sie sind sehr teuer und haben auch Nebenwirkungen. Und dann gibt es natürlich noch Hygienemaßnahmen, etwa, dass man sich die Haare wäscht und die Kleidung auszieht, wenn man von draußen kommt, und dass man die Bettwäsche wechselt.

Heuschnupfen kann Lebensqualität stark einschränken

Was entgegnen Sie, wenn jemand sagt, Heuschnupfen sei doch allenfalls ein bisschen lästig, aber nicht wirklich schlimm?

Es stimmt, dass viele Patienten heute besser medikamentös eingestellt sind als früher. Dass Betroffene an Asthma sterben, passiert hier zum Glück nicht mehr so häufig. Aber es gibt auch Menschen, die extrem lange und extrem schwer unter ihrer Allergie leiden. Sie kann zum Beispiel eine Obstruktion der oberen Atemwege verursachen. Nicht vergessen darf man auch die psychische Gesundheit. Wenn man nicht nach draußen gehen kann, gerade wenn Kinder nicht mit anderen spielen können, dann ist die Lebensqualität stark beeinträchtigt.

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