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Bezahlkarte für Asylbewerber: „Ich empfinde das als Erniedrigung“

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Bezahlkarte statt Bargeld: Der Freistaat Bayern versucht, an den „Pull-Faktoren“ für den Zuzug von Asylbewerbern zu schrauben. Doch greift diese Maßnahme überhaupt? Der Integrationsbeauftragte im Landkreis Miesbach, Max Niedermeier, lehnt das Modell Bezahlkarte ab, wie er im Interview erklärt.

Landkreis – Die bayerische Staatsregierung plant eine Bezahlkarte für Asylbewerber. Das hat das Kabinett in seiner jüngsten Sitzung beschlossen. Dadurch soll die Auszahlung von Bargeld möglichst reduziert werden. Max Niedermeier ist Integrationsbeauftragter im Landkreis Miesbach. Wir wollten wissen, wie er den Beschluss einordnet.

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Integrationsbeauftragter für Miesbach im Interview: Bezahlkarte für Asylbewerber

Herr Niedermeier, was halten Sie von der Bezahlkarte für Geflüchtete?

Max Niedermeier: Ich finde es ganz schwierig, das zu bewerten. Ich denke, es wird sich erst in der Praxis zeigen, ob das überhaupt umsetzbar ist. 2015 wurde das schon im Landkreis Erding getestet – mit mäßigem Erfolg und vielen Diskussionen.

Welche Probleme sehen Sie?

Max Niedermeier: Natürlich ist das für die Behörden mehr Arbeit, die sie aktuell nicht brauchen. Und dann müssen auch die Geschäfte mitspielen. Wir leben hier im ländlichen Raum, da kann ich mir nicht vorstellen, dass jeder Händler mitmacht. Da wird es vielleicht auch Firmen geben, denen der technische Aufwand zu groß ist. Aber auch das wird die Praxis zeigen.

Bezahlkarte für Geflüchtete „bedeutet eine wahnsinnige Einschränkung“

Wie wirkt sich die Bezahlkarte auf die Geflüchteten hier im Landkreis aus?

Max Niedermeier: Die Bezahlkarte bedeutet eine wahnsinnige Einschränkung im Aktionsradius der Geflüchteten, der ohnehin nicht sehr groß ist. Und es schürt Ängste und Hilflosigkeit, wenn man immer hoffen muss, dass die Karte funktioniert. Besonders, wenn die Sprache noch eine Herausforderung ist. Wie soll ein Flüchtling erklären, dass er mit dieser Karte zahlt, wenn er der Sprache nicht mächtig ist?

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Umstritten: die Bezahlkarte für Geflüchtete. © PayCenter GmbH

Die Geflüchteten bräuchten dann Unterstützung.

Max Niedermeier: Wieder einmal wird sich zum Großteil auf Ehrenamtliche verlassen, die dann mitgehen müssen. Den Ukrainern, die kein Geld hatten, als sie kamen, haben auch die Ehrenamtlichen Geld geliehen. Das kann auch nicht der Sinn dahinter sein.

Bargeld als wichtiges Element für Integration von Geflüchteten

Ist Bargeld für die Integration denn wichtig?

Max Niedermeier: Ich empfinde die Bezahlkarte schon als ein Problem für die Integration. Geflüchtete werden damit als Menschen zweiter Klasse behandelt. Bargeld hat auch etwas mit Verantwortung zu tun. Wir wollen ja, dass Geflüchtete sich der Gesellschaft anpassen und angleichen. Aber wenn man ihnen das Bargeld wegnimmt, sind sie doch wieder nicht gleich. Ich empfinde das als eine Erniedrigung. Von uns würde das ja auch keiner wollen. Zumal den Geflüchteten das Geld ja nicht hinterhergeschmissen wird, das ist sowieso sehr knapp berechnet. Sicher hat die Bezahlkarte vielleicht auch Vorteile, aber wenn ich so darüber nachdenke, finde ich die Idee nicht gut.

Welche Vorteile könnte es denn geben?

Max Niedermeier: (überlegt) Da fällt mir keiner ein.

Ein Ziel der Bezahlkarte ist ja, die Überweisungen ins Heimatland zu reduzieren.

Max Niedermeier: In diesem Zusammenhang fällt oft das Wort „Wirtschaftsflüchtling“. Ist jemand, der zu Hause nichts mehr zu essen hat, wirklich ein Wirtschaftsflüchtling? Wenn jemand Geld nach Hause schickt, damit die Familie essen kann, ist der dann ein Wirtschaftsflüchtling? Ich finde, die menschliche Komponente wird bei dieser Diskussion sehr oft übersehen.

Skepsis gegenüber Politik von Söder: „Ob das nun gut ausgeht, wird sich zeigen“

Auch von Markus Söder und seiner Regierung?

Max Niedermeier: Der Ministerpräsident ist wirklich in keiner einfachen Rolle. Für mich sind das aber einzig und allein politische Gründe, aus denen er hier vorgeht – und keine christlich-sozialen.

Söder bezeichnet Bayern als „Vorreiter“. Gehen Sie da mit?

Max Niedermeier: Söder hat von Anfang an bekannt gegeben, dass er ein Vorreiter sein will. Das zieht er durch. Ob das nun gut ausgeht, wird sich zeigen.

Was wäre Ihrer Meinung nach denn eine sinnvollere Alternative?

Max Niedermeier: Bargeld. Die Leute, die herkommen, brauchen unsere Hilfe. Denen muss man das Leben nicht noch zusätzlich erschweren. Es reicht schon, wenn sie in einer Turnhalle leben und sonst nichts haben. Am härtesten trifft es dann die Allerärmsten.

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