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Aus Abfall gebaut: Marius lebt in einer Jurte – „Teil von mir, will noch weiter weg von der Zivilisation“

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Von: Tanja Kipke

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Eine Jurte auf weggeworfenen Sachen: Marius Diab lebt mitten in der Natur.
Eine Jurte auf weggeworfenen Sachen: Marius Diab lebt mitten in der Natur. © Tanja Kipke

Ein Nomaden-Zelt als Zuhause: Marius Diab wohnt in einer Jurte. Jahrelang lebte er von dem, was Leute wegwarfen. Jetzt will er wieder umziehen und hat große Pläne.

Dießen am Ammersee – Der Matsch schmatzt. Bei jedem Schritt durch die Wiese sinken die Stiefel tiefer in die braune Masse. Versteckt auf einer winzigen Lichtung taucht sie endlich auf: Marius‘ Jurte. Ein blaues Planendach überspannt die runde Behausung. Sein Zelt steht auf Stelzen, ein rund 15 Meter langer Holzsteg schlängelt sich durch das hohe Gras zum Eingang. Vier Stufen führen zur Tür, die Treppe ist rutschig. Marius Diab öffnet und lächelt. Der 33-Jährige trägt einen Wollpulli, seine langen Haare sind am Hinterkopf lose zusammengebunden, sie fallen ihm über die rechte Schulter.

Selbstgebaute Jurte aus weggeworfenen Sachen: Marius Diab lebte im Konsumstreik

Seit über acht Jahren lebt Diab in seiner Jurte. Zuerst in München, dann in der Hallertau und jetzt in der Nähe vom Ammersee. Die „Kulturjurte“ in München brachte ihn auf die Idee, sie ist ein Freiraum für alle möglichen Gruppen und Veranstaltungen, Diab war damals im Organisationsteam. Ab und an wohnte er in dem mongolischen Zelt, die längste Zeit zwei Wochen. „Das hat mir super gefallen, ich bin dann irgendwann aufgewacht und wusste: Hey, ich will eigentlich immer in einer Jurte leben“.

Das zu bewerkstelligen war nicht so einfach wie gedacht, da Diab zu der Zeit in einem Konsumstreik lebte. „Ich hab nur von dem gelebt, was andere wegwerfen“. Damit wollte er auf die Wegwerfgesellschaft aufmerksam machen. Also zeigen, dass die Gesellschaft so viel wegwirft, dass man davon leben kann. Der Kunststudent schaffte es, die Jurte komplett aus weggeworfenen Sachen zu bauen. Die Bauweise ist angelehnt an die traditionellen Nomaden-Jurten aus der Mongolei.

Auf einer kleinen Lichtung: Ein selbstgebauter Holzsteg führt in Marius Diabs Zuhause.
Auf einer kleinen Lichtung: Ein selbstgebauter Holzsteg führt in Marius Diabs Zuhause. © Tanja Kipke

„Die Wände bestehen aus Werbebannern, der Boden ist aus Werbetafeln konstruiert“, erklärt Diab. Als Seile benutzte er ausrangierte Kletterseile, die Lkw-Plane fürs Dach bekam er vom Messebau. „Das sind alte Bettlaken und Tischtücher“. Diab zeigt an die Decke, eine blaue Stickerei ist auf dem weißen Stoff zwischen den Holzbalken zu sehen. „Dann gab es noch ein Hostel, das all seine Betten weggeworfen hat, insgesamt 180“. Das Holz davon benutzte Diab, um seine Dachluke sowie seinen Türrahmen zu zimmern. „Wand und Dach hab ich mit Wollfilz isoliert. Schafwolle ist auch so ein Wegwerfprodukt, weil es zu teuer ist, das von kleineren Herden zu verarbeiten.“ Er bekam sie daher geschenkt.

Seine zweieinhalbjährige Tochter wohnt oft mit ihm in der Jurte

Im Innern der Jurte ist es durch das Feuer eines Ofens sehr warm. Nur das Trommeln des Regens auf der Dachplane ist zu hören. Ab und an auch das Klimpern eines Glockenspiels. Vor einem großen Schrank sitzt Diabs zweieinhalbjährige Tochter und spielt munter auf dem Instrument. Sie trägt eine hellgrüne Alpaka-Strickjacke. In der einen Ecke liegen Matten mit Decken, daneben hängen zahlreiche Klamotten auf einer Schnur. Durchnässt vom Dauerregen. Gegenüber befindet sich die „Küche“, eine Arbeitsplatte mit zwei Gaskochplatten, dahinter der Ofen mit einem großen gusseisernen Topf. Auch ein Küchenschrank, eine Truhe und ein Stuhl finden Platz in der Jurte.

„Am Anfang war alles sehr abenteuerlich, keine Tür, keine Isolierung“. So habe er den ersten Winter verbracht und ziemlich gefroren. „Das war schon eine harte Nummer“. Nach und nach isolierte er die Jurte, sodass die Kälte nicht mehr hereinkroch.

Durch die Geburt seiner Tochter habe er dann noch mehr Updates in seinem Heim eingebaut. „Der neue Ofen, die Tür und der Parkettboden kamen erst beim letzten Umzug“, verrät Diab. Den Konsumstreik beendete er bereits ein Jahr zuvor. „Nach vier Jahren Streik war ich der Meinung, dass das Statement jetzt genug ist und ich das nicht mein Leben lang fortführen muss“. Es hätte schon sehr viel Kraft und Zeit gekostet, die wollte er jetzt in andere Dinge investieren. „Ich will aktiv etwas bewirken und nicht nur symbolisch wie beim Streik“.

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Er baute solidarische Landwirtschaft in der Hallertau mit auf

In der Hallertau baute er mit einer solidarischen Landwirtschaft Gemüse und Obst an. Diab sei dort irgendwann an seine Grenzen gestoßen, es seien unendlich viele Aufgaben gewesen. Mit seiner damaligen Freundin, der Mutter seiner Tochter, zog er schließlich mit seiner Jurte in die Nähe des Ammersees.

„Wir wollten eine riesige Streuobstwiese anpflanzen, langfristig einen Permakultur-Garten aufbauen und eine Gemeinschaft gründen.“ Es habe leider hinten und vorne nicht geklappt. Auch beziehungstechnisch. Aktuell arbeitet Diab sehr viel. Als Baumpfleger oder Gärtner.

Marius Diab träumt vom neuen Platz – und hat große Pläne

Sein Plan ist wieder umzuziehen – am liebsten ins südliche Münchner Umland. „Im Idealfall würde ich gern einen Ort finden, wo ich das, was ich hier vorhatte, verwirklichen kann“, verrät er. „Es ist mein Lebensziel: Einen Ort zu schaffen, wo alles, was hier wachsen kann an Essbarem auch wächst“. Diab spricht von essbaren Bäumen und Sträuchern, ganz viel Gemüse und Obst. „Einen ökologisch super vielfältigen Ort“. Sein Gesicht leuchtet. Platz zum Leben müsse auch vorhanden sein, „nicht unbedingt nur in Jurten“. Um einen Hof herum wäre sogar seine Idealvorstellung, weil es doch leichter sei, wenn man an Infrastruktur angeschlossen ist.

Während Diab erzählt, krabbelt ihm ein Käfer über den Arm, er schaut ihn an, lächelt und redet weiter. Seine Tochter hat mittlerweile Gefallen an roten Maiskörnern gefunden, die in einer Kiste auf dem Boden stehen. Diab erklärt, er habe eigenes Saatgut hergestellt. Neben Mais habe er auch Quinoa, Winterbrokkoli, Kürbis, Zucchini, Gurke, Bohnen, Spinat, Erbsen und Radieschen und verschiedene Kohlsorten vermehrt.

Das Leben in der Jurte ist hart

Leicht ist das Leben in der Jurte nicht. Es gibt kein Strom, kein fließendes Wasser. Diab wäscht sich mit einer Waschschüssel, zum Teil mit aufgefangenem Regenwasser. Auf dem letzten Platz hatte er eine Komposttoilette, die will er wieder bauen. Momentan handhabt er es wie die Pfadfinder: „In einen Graben und dann wird das mit Erde zugeschüttet“. Auch die Naturgewalten, denen Diab mit seiner Jurte ausgesetzt ist, machen ihm zu schaffen. „Wenn es tagelang oder Wochen stürmisch ist, das ist echt anstrengend.“ Es mache „super unruhig“, vor allem, wenn es lange nicht aufhört.

Zudem ist Diab einsam. Tatsächlich würde er am liebsten für immer in seiner Jurte wohnen – aber eben nicht mehr so alleine. Das sei vor allem im Winter hart. „Ein Teil von mir will eher noch weiter weg von der Zivilisation und so richtig in der Wildnis leben“, gibt er zu. „Der größere Teil in mir will dann doch kein Aussteiger sein und sich komplett abkapseln. Ich will dann doch Teil davon sein und einen sinnvollen Beitrag leisten“. (tkip)

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