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Das Ende der „Blauen Taube“: Wenn ein Stück Ortsgeschichte verschwindet

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Von: Christof Schnürer

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Das ehemalige Gasthaus „Zur Blauen Traube“ in Scharnitz wird abgerissen
Häppchenweise frisst sich die Abrissbirne durch das alte Gemäuer. © Josef Hornsteiner

Auf einmal ist es weg: das uralte und längst verwaiste Gasthaus „Zur Blauen Traube“ in Scharnitz. Was in Bayern undenkbar wäre, ist in Tirol geschehen.

Scharnitz - Man stelle sich vor: Das Wallgauer Posthotel würde abgerissen oder in Mittenwald die „Alpenrose“. Undenkbar ein solcher Frevel. Jenseits der Landesgrenze allerdings können architektonische Schmuckstücke schon mal weichen, wie der jüngste Fall im benachbarten Scharnitz beweist. Dort läuft gerade mitten im Dorf der Abriss des ehemaligen Gasthofs „Zur Blauen Traube“. Ein Stück Ortsgeschichte – für immer verschwunden.

„Ich habe mich nicht getraut“: Investition zur Rettung war nicht gewollt

„Sehr, sehr schade“, findet das der einstige Bürgermeister Walter Lechthaler (2006 bis 2010). Dabei hatten es er und der Gemeinderat 2006 selbst in der Hand, als die Raiffeisenbank ihnen die geschichtsträchtige Immobilie zum Spottpreis von 200 000 Euro schmackhaft gemacht hatte. „Ein Superangebot, aber ich habe mich nicht getraut“, gesteht Lechthaler rückblickend. Zum einen ist der kleine Tiroler Grenzort chronisch klamm, zum anderen war eine solche Investition politisch nicht gewollt. So zumindest argumentiert Lechthaler, der vor 17 Jahren nach dem überraschenden Rücktritt von Hubert Heiß ohnehin noch ein echter Rathaus-Frischling war.

Gasthof „Zur Blauen Traube“ in Scharnitz in Tirol
Gehörte zum Ortsbild einfach dazu: das Gasthof „Zur Blauen Traube“. © Josef Hornsteiner

Die Karl-Group-GmbH aus Zirl war da schon mutiger. Vor etwa drei Jahren erwarb sie von der Raiffeisenbank die Problem-Immobilie direkt an der Hauptstraße, die jedem Durchreisenden oder Tanktouristen sofort ins Auge stach. Viele Jahre war die „Blaue Traube“ zum Verkauf gestanden, niemand hatte sich heran gewagt, bis das Unternehmen aus dem Inntal anklopfte. „Lange haben wir probiert, im Bestand zu planen“, versichert Chef Karl Schaber. „Denn wir machen sehr viel im Altbau.“ Doch die schwierige Raumaufteilung machte eine Sanierung laut Schaber unmöglich.

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Die Abrissbirne wird geschwungen: Für den Bürgermeister kein Problem

Und so kam, was kommen musste – zumal das rund 400 Jahre alte Anwesen unverständlicherweise eines nicht ist: ein Baudenkmal. Dieses Prädikat haben in Scharnitz die Porta Claudia, die Kirche oder der Bahnhof. Derzeit also wird die Abrissbirne geschwungen. Für Bürgermeister Christian Ihrenberger kein Problem. „Das war ja nur mehr eine Ruine.“

Ihm wird demnächst ein Bauantrag aus Zirl auf den Schreibtisch flattern. Denn die Karl-Group-GmbH plant auf dem 1582 Meter großen Grundstück drei Doppelhäuser. Diese sollen wahrscheinlich kommendes Jahr verwirklicht und zum Verkauf angeboten werden. Der Preis für eine der sechs Einheiten, den Karl Schaber nennt, klingt aus bayerischer Sicht geradezu magisch. Der Unternehmer spricht von 580 000 bis 680 000 Euro.

Von der „Blauen Traube“ bleibt somit nur noch die Erinnerung an eine, so Walter Lechthaler, „gewaltige Geschichte“. Ihm zufolge dürfte der Bau auf die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) zurückgehen. Seinerzeit entstand auch als Bollwerk gegen die heranrückenden und marodierenden Schweden die Befestigungsanlage Porta Claudia.

Das Ende der „Blauen Taube“: Beliebtes Wirtshaus wird nie mehr aufwachen

Die „Blaue Traube“ war seit jeher Wirtshaus und Posthaltestelle. „Da wurden die Pferde ausgetauscht“, erzählt Lechthaler. Schließlich mussten die Rösser den steilen Seefelder Schlossberg hinauf. In jener bewegten Zeit hat es auch einen Kutschenverkehr zwischen Mittenwald und Zirl gegeben.

Bei Durchreisenden war das Wirtshaus in Scharnitz ebenso beliebt wie bei Einheimischen – nicht zuletzt wegen der Kegelbahn. „Da haben meine beiden älteren Brüder als Buben immer die Kegel aufgestellt“, erinnert sich Lechthaler. Zuletzt kümmert sich eine Familie Achleitner dort um die Kundschaft. Vor mehr als 20 Jahren verfiel die „Blaue Traube“ dann in einen Dornröschenschlaf – und sollte nie mehr wieder aufwachen.

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