Pietätlose Beileidsbekundung: Ärger über anonymes Schreiben mit Flyer
Wenige Tage, nachdem die Todesanzeige für ihren Mann veröffentlicht worden ist, erhält Rosina Paulus aus Niederhummel einen anonymen Brief. Der Inhalt empört die Trauernde.
Niederhummel – Noch immer kann es Rosina Paulus aus Niederhummel im Landkreis Freising nicht fassen: Wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes hat sie Post erhalten. In dem Brief, der in sauberer Handschrift verfasst und ohne Absender abgeschickt worden ist, heißt es: „Aus der Zeitung konnte ich entnehmen, dass Sie einen lieben Menschen durch den Tod verloren haben. Bitte gestatten Sie mir, Ihnen auf diesem Wege mein allerherzlichstes Beileid zu entbieten.“ Die 71-jährige Rentnerin traut ihren Augen nicht.
Weiter heißt es: „Auch wenn wir uns nicht persönlich kennen, möchte ich Ihnen sagen, dass ich Ihre Trauer nachempfinden kann, bleibt doch keinem von uns diese bittere Erfahrung erspart.“ Zum Trost lässt der unbekannte Briefeschreiber der Seniorin ein „Traktat“ zukommen. Der Flyer wiederum trägt das Logo mit der Internet-Adresse „JW.ORG“. JW steht für das englische „Jehovah’s Witnesses“.
Ein Sprecher der Zeugen Jehovas distanziert sich
Die allerdings distanzieren sich von der Vorgehensweise, obgleich diese in der Zentrale der Religionsgemeinschaft im Taunus nicht unbekannt zu sein scheint. Er würde „nicht ausschließen“, dass Mitglieder vereinzelt solche Schreiben verfassen, lässt Wolfram Slupina, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, gegenüber unserer Zeitung wissen. Es handele sich allerdings um eine rein private Angelegenheit, die Gemeinschaft würde generell nicht zu dieser Art der Mitgliederwerbung aufrufen. Slupina: „Es sind ja freie Mitglieder. Das muss jeder selbst entscheiden.“
Rosina Paulus und ihre Schwiegertochter Yasmin finden den Brief dennoch eine Unverschämtheit: „Wie kann man jemandem schreiben, dass man ihn trösten will, wenn man ihn nicht kennt?“ Mehr noch: „Hier wird die Situation einer älteren Frau, die gerade ihren Mann verloren hat, schamlos ausgenutzt“, zeigt sich Rosina Paulus verärgert. Es würden Leute, die nach dem Verlust eines Partners in ein tiefes Loch fallen, möglicherweise „in etwas reingezogen, was sie unter normalen Umständen gar nicht wollen“.
„Die Person, die den Brief geschrieben hat, sollte sich schämen“
Sich über Todesanzeigen Zugang zu potenziellen neuen Mitgliedern zu verschaffen, findet Familie Paulus „geschmacklos“: „Man veröffentlicht Todesanzeigen nicht, damit jemand Schindluder damit betreibt oder eine Sekte einem das Leben schwer macht.“ Es sollten ausschließlich Verwandte, Freunde und Nachbarn über den Tod des Angehörigen informiert werden. „Die Person, die diesen Brief geschrieben hat, sollte sich schämen.“ Mehr noch: „Wenn man sowas schreibt, soll man sich auch dazu bekennen.“
Dreist sei es zudem, die Beileidsbekundung mit Werbung zu kombinieren. Schließlich hätte Rosina Paulus eine Broschüre zum Thema Tod und Trauer mit dem Titel „Eine gute Botschaft von Gott“ anfordern oder via Internet ein Gespräch über die Bibel vereinbaren können.
Warnung vor dreister Werbe-Masche
All das will die Familie Paulus aber nicht: „Wir haben unseren Glauben, die haben ihren – das ist ok. Aber die sollen uns mit ihrem Glauben in Ruhe lassen“, sagt Rosina Paulus. Sie ist überzeugt: „Glaube braucht keine Werbung“ – schon gar nicht die einer anonymen Beileidsbekundung samt Flyer. „Das ist eine ganz schlechte Masche. Ich finde es anmaßend, so etwas zu tun.“
Für Rosina Paulus bleibt die Frage: „Wie kommt jemand auf den Gedanken, so einen Brief zu schreiben?“ Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit wollen sie und ihre Schwiegertochter nur eines erreichen: „Dass keine andere Familie, die so ein Schicksal ereilt, einen Brief bekommt, auf den man keinen Wert legt.“ Und vor allem ältere Leute vor dieser dreisten Werbe-Masche warnen.