Nach Rissen durch den Wolf: Experte warnt vor Panikmache – „für Tourismusregion nicht hilfreich“

Der Wolf ist im Landkreis, vor allem im Ammertal, ein großes Thema. Die Waldkindergärten dort bleiben trotz der Risse normal geöffnet, Eltern sind nicht verängstigt. Dafür gibt es auch keinen Grund, sagt ein Experte.
Ammertal – Man hat gesprochen, diskutiert, abgewägt. Doch letztlich ist man zum Entschluss gekommen, vorerst noch nicht handeln zu müssen. Die beiden Waldkindergärten im Ammertal, in Bad Kohlgrub und Oberammergau, bleiben weiterhin normal in Betrieb – trotz der aktuellen Wolfssichtungen und Rissen von Wildtieren. Doch könnte der Beutegreifer tatsächlich dem Menschen gefährlich werden?
„Noch haben weder Eltern noch Erzieher Bedenken geäußert“, sagt Christiane Paul, Vorstand des Waldkindergartens Bad Kohlgrub. Panik sei demnach nicht angebracht. „Es gibt noch keine Ängste bei den Eltern unserer 20 Kinder.“ Gleiches berichtet Martina Maderspacher, Leiterin des Waldkindergartens Oberammergau. „Wir haben uns schon zusammengesetzt und darüber gesprochen“, erklärt Maderspacher. Man nehme das Thema durchaus ernst. Aber auch sie sieht noch keinen Handlungsbedarf, dass die Kinder nicht mehr raus in den Wald könnten oder spazieren. Und der Standort der Einrichtung sei sowieso in der Nähe der Oberammergauer Kreuzigungsgruppe bei den Siedlungen kein abgelegener. „Wir sind ja quasi im Ort“, sagt Maderspacher.
Experte: Der Mensch passt nicht ins Beuteschema des Wolfes
Dass durch den Wolf aktuell eine Gefahr für den Menschen – egal ob Kind oder Erwachsener – ausgeht, hält Klaus Pukall für äußerst unwahrscheinlich. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik der TUM ist Naturpark-Koordinator und entsprechend viel in den Ammergauer Alpen unterwegs. „Natürlich können die Kinder auch des Waldkindergartens bedenklos in der Natur umherlaufen.“ Und ein kleines Kind alleine in den Wald zu schicken, würden Eltern hoffentlich so oder so nicht machen – „das war auch schon vor der Ausbreitung des Wolfes keine gute Idee. Für Kinder ist immer noch der Straßenverkehr deutlich die größere Gefahrenquelle.“

Nicht nur, dass es seit der Ausbreitung des Wolfes in Deutschland noch keinen Wolfsübergriff gab, der ernsthafte Verletzungen bei Menschen mit sich brachte, sei es bislang in den vergangenen 50 Jahren in ganz Europa gerade Mal zu neun tödlichen Angriffen gekommen. „Und die Hälfte davon hatten mit der Krankheit Tollwut zu tun.“ Der Mensch passt nicht ins Beuteschema des Tieres. Es flüchtet in der Regel bei lautstarken Rufen.
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Sichtungen und Wildtierrisse sind laut Experten noch unbedenklich
Die Sichtungen und Wildtierrisse wie kürzlich jener in der Scherenau seien noch unbedenklich. Es sei noch winterlich und der hohe Rotwild-Bestand im Ammertal drängt die Tiere an die Ortsränder und in bebautes Gebiet. „Der Wolf folgt dem Wild natürlich bei seiner Suche nach Nahrung.“ Doch müssten sich die Ammertaler dennoch nicht fürchten – selbst wenn ein Wolf direkt an Ortschaften entlang oder durch Siedlungen läuft. „Wölfe meiden zwar Menschen, aber keine menschlichen Strukturen“, zitiert Pukall aus dem Aktionsplan Wolf, dem Managementplan der Bayerischen Staatsregierung.
Selbst wenn ein Wolf nicht sofort beim Anblick eines Menschen flüchtet, stehen bleibt und beobachtet, ist das noch kein Grund zur Panik. Besonders junge Wölfe reagieren eher unbedarft und neugierig.
„Man muss sich groß machen, laut reden und sich langsam zurückziehen.“
Eine genauere Analyse der Situation sei erst nötig, wenn der streng geschützte Beutegreifer sich stark an den Menschen gewöhnt (habituiert) oder gar angefüttert wird. Dann könnte er wiederholt in unmittelbare Nähe von bewohnten Häusern auftauchen. „Das könnte dann auch an der Anziehung zu Hunden liegen.“ Gefährlich wird es erst, wenn der Wolf unprovoziert aggressiv auf Menschen und Hunde reagiert. Da würde letztlich nur noch eine Entnahme, also der Abschuss, helfen.
„Man muss sich groß machen, laut reden und sich langsam zurückziehen.“
Was tun, wenn man einem Wolf begegnet? Auch hier gibt Pukall klare Handlungsempfehlungen: „Man muss sich groß machen, laut reden und sich langsam zurückziehen.“ Wie kam es dann zu den dokumentieren Kindstötungen im Mittelalter? Verlässliche Quellen belegen, dass damals tatsächlich Kinder von Wölfen angefallen wurden. „Kinder hatten damals die Aufgabe, alleine eine die Herde zu hüten“, erklärt Pukall. „Und da haben Wolfsrudel bei der Jagd nach Schaf und Ziege keinen Unterschied gemacht.“ Doch würde heutzutage kein Kind mehr alleine mit einer Schafherde in der Dämmerung im Wald unterwegs sein.
Allerdings ist für Pukall klar, dass „der Wolf eine große Gefahr für die Weidetiere und damit für die Biodiversität unserer gewachsenen Kulturlandschaft ist“. Dieses Thema muss nach Berlin und nach Brüssel getragen werden – „hier haben wir die überzeugenden Argumente“. Er macht aber auch klar: „Angst bei Einheimischen und Gästen vor dem Wolf zu schüren, ist für eine Tourismusregion wie die Zugspitz Region nicht hilfreich.“
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